Wenn es bei uns kalt und grau wird, gönne ich mir mit Silke immer gerne noch ein paar sonnige Tage im Süden. Dass dabei noch ein Marathon herausspringt ist selbstverständlich, da mir Silke die Planung ohne Einschränkungen überlasst. In diesem Jahr entscheide ich mich für sechs Tage in Palermo. Die Hauptstadt Siziliens bietet zu dieser Jahreszeit neben angenehmen Temperaturen auch viel Kultur und Geschichte, die man in Ruhe und ohne großen Touristenandrang genießen und erleben kann. Günstige Flüge findet man problemlos, allerdings nicht ohne einen kurzen Zwischenstopp in Rom. Auch die Hotels in der Altstadt von Palermo sind in der Nachsaison verhältnismäßig günstig.
Der Marathon in Palermo findet bereits in seiner 24. Auflage statt. Die Anmeldezahlen sind in den letzten Jahren konstant, aber überschaubar. Etwa 1100 Teilnehmer nehmen den Halbmarathon unter die Füße, gut 400 wagen sich an den Marathon. Die Strecke ist eine Mischung von Stadtmarathon auf der ersten Hälfte und einem Landschaftslauf auf der zweiten Runde. Die Anmeldung erfolgt, wie bei den meisten Laufveranstaltungen in Italien über Endu. Das Anmeldeportal ist etwas unübersichtlich, aber mit etwas Geduld und Fantasie erhalte ich irgendwann zwei grüne Haken und somit war die Anmeldung auch erfolgreich. Das erforderliche ärztliche Attest wurde also ebenfalls akzeptiert.
In Palermo angekommen bleiben uns zwei Tage vor dem Marathon, um die Stadt selbst zu erkunden. Mein erster Eindruck von Palermo war dabei nicht gerade berauschend. Palermo ist laut, Palermo ist dreckig und Palermo ist chaotisch. Man muss sich auf Palermo einlassen, dann entdeckt man auch die wirklich schönen Seiten der Hauptstadt Siziliens. So gilt es unter anderem das Teatro Massimo, eines der schönsten und größten Opernhäuser Europas zu bewundern. Die Cappella Palatina im Palazzo die Normanni ist einfach nur der Wahnsinn. In einem tollen, sich selbst überlassenen Botanischen Garten finden wir auch wieder etwas Ruhe. Auch die Cattedrale dei Palermo sollte man sich nicht entgehen lassen, genauso wie eine Pause in einem der vielen kleinen Cafés, die man überall finden kann. Mein zweiter Eindruck von Palermo ist nach ein paar Stunden ein ganz anderer. Palermo ist temperamentvoll. Palermo hat Charme. Palermo ist eine Stadt mit viel Licht und Schatten.
So freue ich mich schließlich auch auf den bevorstehenden Marathon, der dank einer Erkältung, die ich von zu Hause mitgebracht habe, erst noch auf etwas wackligen Füßen stand. Am Samstagnachmittag hole ich im Athletics Stadium „Vito Schifani“ meine Startunterlagen und bin zuversichtlich, dass ich – wenn auch nur gemütlich – den Marathon unter die Füße nehmen kann. Am Abend treffen wir uns noch mit den „Mering Runners“, einem kleinen Lauftreff aus meinem Heimatort, die zufällig auch beim Palermo Marathon am Start sind. Nach einem gemütlichen Abend gehen wir auseinander und verabreden uns gleich für den nächsten Morgen, um gemeinsam mit dem Bus zum Start zu fahren.
Eigentlich befand sich die Bushaltestelle direkt vor unserem Hotel, doch wie uns ein paar italienische Marathonis erklären, wird diese am Sonntagvormittag nicht angefahren. Also folgen wir den ortskundigen Italienern in Richtung Hafen und quetschen uns mit ihnen zusammen in den Bus. Es geht also endlich los, wir sind auf dem Weg in Richtung „Vito Schifani“. Die Tribüne ist schon gut mit Teilnehmern gefüllt und überall herrscht hektisches Treiben. Von ein paar entspannten Minuten vor dem Marathon halten die Italiener üblicherweise gar nichts. Es wird gelacht, gesungen und natürlich unendlich viel geredet. Ich treffe mich nochmal mit den „Mering Runners“ für ein Gruppenfoto und gebe rechtzeitig meinen Kleiderbeutel ab.
Der Start wird um 09:15 Uhr auf der Tartanbahn des Stadions erfolgen. Der Zutritt dorthin wird uns aber aus unerklärlichen Gründen bis kurz vor dem Start verwehrt. Lediglich die beiden Kenianer, die sicherlich den Sieg beim Palermo Marathon unter sich ausmachen werden, können die Bahn zum Warmlaufen nutzen. Als sich die Tore zum Startbereich öffnen, strömen gut 1.500 Athleten auf die Bahn und es ertönt die italienische Nationalhymne „Il Canto degli italiani“. Die Italiener sind eine stolze Nation und singen natürlich lautstark mit. Ich suche derweil nach dem richtigen Platz in der Startaufstellung und der ist heute ziemlich weit hinten. Die Halbmarathonis werden mir natürlich von Beginn an enteilen und auch in dem überschaubaren Feld an Marathonläufern sehe ich mich heute eher weit hinten. Als der Startschuss ertönt, wird nicht nur unter den Teilnehmern lautstark gejubelt, auch auf der Tribüne brandet Jubel auf. Es geht also los.
Der Palermo Marathon ist gestartet. Noch ehe ich an der Startlinie ankomme, sind die beiden Kenianer nach einer Runde auf der Tartanbahn schon aus dem Stadion enteilt. Die Bahn ist nun gefüllt mit Läufern und bietet ein herrliches Bild. Während vorne die Schar ihre Runde dreht, erhebt sich im Hintergrund der Monte Pellegrino. Der imposante „Pilgerberg“ hat eine maximale Höhe von 606 Metern. Er ist seit dem 17. Jahrhundert ein bedeutender Wallfahrtsort. In einer tiefen Höhle wurde 1625 der unverweste Leichnam der Heiligen Rosalia gefunden und nach Palermo gebracht. Mit ihrer Ankunft endete eine Pestepidemie und man erklärte die Heilige Rosalie somit zur Schutzpatronin von Palermo. Im Jahr 1996 wurde das Gebiet rund um den Monte Pellegrino zum Naturschutzgebiet Riserva Naturale Monte Pellegrino erklärt.
Schließlich verlasse auch ich das Stadion und wir drehen eine kleine Runde unterhalb des Monte Pellegrino und werden in Richtung Altstadt geführt. Für mich ist es an der Zeit, mein Wohlfühltempo zu finden und festzustellen, ob ich aufgrund der Erkältung noch etwas Geschwindigkeit herausnehmen muss. So ist es dann auch. Ich fühle mich nicht einhundertprozentig fit und werde den Marathon heute eher mit gemäßigtem Tempo joggen. Da man bis zum Zielschluss sechs Stunden Zeit hat, sehe ich dem Ganzen aber eher gelassen entgegen und trabe gemütlich vor mich hin. Vorbei an der Friedensäule „Statua della Liberta“ kommen wir wenig später in der Neustadt von Palermo an.
Die breite Viale della Leberta wird uns nun auf den kommenden Kilometern immer gerade aus in das historische Zentrum von Palermo führen. Dabei kann man schon gut erkennen, dass das Streckenprofil des Palermo Marathons durchaus anspruchsvoll ist, auch wenn sich die zu erlaufenden Höhenmeter in Grenzen halten. Stetig und oft über mehrere Kilometer geht es leicht bergan und wieder bergab. Dadurch habe ich einen guten Blick über die Strecke, die gerade vor mir liegt. Eine große Läuferschar kann ich in der Ferne erkennen und sie enteilt mir langsam aber sicher. Bei einem Blick nach hinten wird es übersichtlicher. Ich erreiche die erste Verpflegungsstelle nach fünf Kilometern und gönne mir einen Becher Iso, bevor ich mich wieder in Richtung Altstadt aufmache.
Noch bevor ich das Teatro Massimo erreiche fliegen mir die beiden Kenianer schon wieder entgegen. Ich habe zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, wie viele Kilometer Vorsprung die zwei nun schon haben. Nach ihnen kommt aber erst mal lange Zeit niemand mehr. So komme ich dann auch am Teatro Massimo vorbei. Dabei handelt es sich um das größte Opernhaus in Italien. Es wurde 1897 nach über zwanzig Jahren Bauzeit fertiggestellt und mit der Aufführung von Verdis Falstaff eröffnet. 1974 musste das Teatro Massimo aufgrund baulicher Mängel vorübergehend geschlossen werden. Korruption und mafiöse Baupolitik führten dazu, dass es auch über zwanzig Jahre geschlossen blieb. In Francis Ford Coppolas Film „Der Pate III“ diente die Oper als Schauplatz für die Schlussszenen der Mafia-Trilogie. Heute ist das Teatro ein Symbol für Palermos Kampf gegen die Mafia.
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