Östlich von Imst zweigt das Ötztal vom Inntal nach Süden ab. Das 65 Kilometer lange Tal trennt die Ötztaler und die Stubaier Alpen. Am Ende des Tals liegen auf etwa 2.000 m Höhe Obergurgl und Hochgurgl. Start und Ziel des Gletscher Trailruns befinden sich in der Ortsmitte von Obergurgl, direkt zwischen der Kirche und dem Denkmal für den Ballonfahrer Auguste Piccard und dem Bergführer der damals seine Rettung durchführte.
In den letzten 150 Jahren hat sich Obergurgl von einem kleinen Kirchdorf zu einer Skihochburg entwickelt und gilt als eines der schneesichersten Skigebiete der Alpen. Auf die etwa 400 Einwohner und 600 auswärtigen Arbeitskräfte entfallen 600.000 Nächtigungen pro Jahr. Der Großteil davon natürlich im Winter. Somit ist auch im Sommer für beste Infrastruktur gesorgt, obwohl ich mir nicht sicher bin ob auch wirklich alle Hotels und Unterkünfte jetzt gerade geöffnet haben. Aber Trailrunner finden jederzeit ein schönes Plätzchen um zu Übernachten.
Vielleicht noch bekannter als Obergurgl-Hochgurgl wird wohl vielen die Timmelsjoch Hochalpenstraße sein, direkt im Anschluss an Hochgurgl. Es wird auch als das Tor zum Süden bezeichnet und führt über das 2.509 m hohe Timmelsjoch nach Südtirol, weiter zum Gardasee und ans Mittelmeer.
Hoch hinaus geht es beim Gletscher Trailrun auf dem Rundkurs rund um Obergurgl-Hochgurgl. Im Bereich zwischen 2.000 und 3.000 Höhenmetern führen die Trailstrecken durch das hintere Ötztal. Längste Strecke ist die Marathondistanz, sie beinhaltet 2.800 Höhenmeter und führt ebenso wie die des 22K mit 1900 hm auf den höchsten Punkt des Rennens, dem Ramolhaus auf 3.000 m.
Bereits am Freitag wird der Top Mountain Run vom Dorfzentrum in Obergurgl nach Hochgurgl ausgetragen. Beim Night-Run sind auf 12,2 km 1.280 Höhenmeter zu absolvieren. Für den Nachwuchs ist auch etwas geboten, in verschiedenen Kategorien (Bambini, Kinder I & II, Schüler I & II sowie Jugend) dürfen sie sich auf einem abwechslungsreichen Parcours mit Hindernissen und über verschiedene Distanzen (200 m bis 1,5 km) austoben.
Zum zweiten Mal startet heuer der Gletscher Trailrun, bei der Premiere im Vorjahr scheiterte unser TR-Reporterpaar Judith und Andreas noch an den engen Cut-Off-Zeiten. Heuer hat man aber alle Zeitlimits angepasst und spürbar erhöht. Obwohl Jan und ich heute die Dinos in der Startliste sind, habe ich eigentlich wenig Bedenken, die Cuts nicht zu schaffen. Auf dem Papier sehen alle Durchgangszeiten machbar aus. Die Rechnung stelle ich nach den Erfahrungen aus den letzten Wochen und auch dem Vorjahr auf, aber natürlich ohne den Aspekt der Ötztaler Höhenluft darin zu berücksichtigen. So hoch und dazu über die komplette Distanz war ich noch nie. Es bleibt also schon noch spannend. Schau mer mal.
Leider macht uns das Wetter, zumindest am Freitag noch einen dicken Strich durch die Rechnung. Tief hängen die Wolken im Tal und lassen vorerst wenig Aussicht zu. Aber es soll besser werden und auch am Raceday, laut Vorhersage einige Sonnenstunden geben. Neidvoll schaue ich auf die Live-Bilder vom Rosengarten auf Facebook, wo bereits an Abend Bilder von einem herrlichen Sonnenuntergang gepostet werden. Aber das macht natürlich auch Hoffnung, dass das Wetter vom etwa 100 km entfernten Bozen zu uns noch rechtzeitig rüber ziehen wird.
Übernacht hat sich aber leider optisch noch nichts an unserer „aussichtslosen“ Lage geändert und auch die Temperaturen sind zumindest nicht im Wohlfühlbereich, mal vorsichtig ausgedrückt. Die Liste der Pflichtausrüstung ist lang. Jan und ich beschließen letztendlich aufgrund der niedrigen Temperaturen bereits auf Starthöhe, die geforderten langen Hosen, statt in den Rucksack, gleich anzulegen. Außer Haus ist es dann noch ungemütlicher als es eigentlich von innen aussah. Beim Anmarsch zum Start regnet es auch noch ganz leicht dazu. Wir sind etwas spät dran, so verpassen wir die Hälfte des Race-Briefings, das um 6.30 Uhr, eine halbe Stunde vor dem Start angesetzt ist. Ich benutze die Einweisung im Piccardsaal um mit Regenjacke, Langarm-Shirt, Handschuhe und warmer Kopfbedeckung weitere Teil der Pflichtausrüstung auszupacken und gleich anzulegen. Aber, ich habe kurze Hose und Shirt im Gepäck. Die Hoffnung stirbt zuletzt und ich glaube immer noch an Sonne …irgendwann wird sie kommen, bin ich fest davon überzeugt.
Vor dem Einlass in den Startbereich wird stichpunktartig die Pflichtausrüstung kontrolliert. Ich muss nichts mehr auspacken, bin ja gut eingepackt. Ein Liter Flüssigkeit ist noch vorgeschrieben, dazu ein eigener Becher, es werden keine an den VPs ausgeteilt. Um 7 Uhr wird pünktlich gestartet. Wenigstens der Regen hat wieder nachgelassen. Wie mittlerweile schon gewohnt, setzt sich das Hauptfeld fluchtartig in Bewegung und nur ein paar wenige lassen es langsamer angehen. Die ersten fünf Kilometer führen mit ein paar Wellen garniert leicht Talabwärts an der Gurgler Ache entlang. Ein paar hundert Meter sind dabei auch auf Asphalt auf dem Seitenstreifen der Gurgler Straße dabei.
Zum Einlaufen für „höhere Aufgaben“ ist das ideal. Wir sind jetzt schön im Rhythmus, es geht rein in den Tunnel. Werden aber jäh gestoppt, wir sind an der Abzweigung vorbei gedonnert. Glücklicherweise steht in dieser Straßenüberbauung ein Posten und schickt uns wieder zurück. Vor dem Eingang geht es links ab und nach oben, hier beginnt der erste richtige Aufstieg, der auf den nächsten 3 Kilometern über 500 Höhenmeter beinhaltet und uns vorerst mal auf 2.500 Meter Höhe führt. Viel weiter runter kommen wir auf den nachfolgenden 30 km dann nicht mehr. Noch ist zu Beginn die gegenüberliegende Talseite zu sehen, aber die tiefliegende Wolkendecke beunruhigt mich doch stark.
Die erste VP mit Getränken erreichen wir nach 6,5 km. Zwei Besenläufer, ohne Besen wie sie betonen, können bei einer kurzen Pause auf uns aufschließen. Das erste Zeitlimit beträgt hier 1:30 Stunden. Unsere kleine Nachzüglergruppe ist derzeit aber nicht gefährdet, wir liegen noch weit vor dem Cut und müssen auch nicht unser Tempo erhöhen. Auf schmalen Pfaden geht es in Serpentinen steil nach oben. Je höher wir kommen, umso diffuser wird die Sicht. Nach überschreiten der Waldgrenze wird es felsig. Im Nebel geht es lange Zeit über ein verblocktes Feld.
Am Nedersee gibt es für uns eigentlich nichts mehr zu sehen. Maximal 50 Meter beträgt die Sichtweite. Irgendwie fühle ich mich um eine wunderschöne Aussicht auf einen wahrscheinlich türkisblauen Gebirgssee betrogen. Aber es wird noch schlimmer. Stellenweise kann ich Jan 10 Meter vor mir nicht mehr erkennen. Dazu kommt noch, dass leichter Niederschlag auch noch meine Brille beschlagen lässt. Schwierigste Bodenverhältnisse über Steine und viele Rinnsale durch Feuchtgebiete erschweren das Ganze zusätzlich.
Immer wieder begegnen uns ein paar Schafe und Ziegen, oder sind etwas entfernt schemenhaft auszumachen oder einfach nur am blöcken zu hören. Sie bieten eigentlich gerade die einzige Abwechslung in dieser Nebelsuppe. Im Sommer ist das Ötztal Heimat für tausende Weidetiere. Hauptsächlich Schafe und Ziegen, aber auch einige Kühe und Pferde. Die meisten Tiere stammen aber aus Südtirol. Die Bauern aus dem Süden treiben schon seit Jahrtausenden ihre Nutztiere nach Nordtirol. Ursache für den Viehtrieb sind die trockenen Südtiroler Weiden, die im Sommer zu wenig Futter hergeben. Die beschwerliche, oft bis zu zwei Tage dauernde Wanderung über den Alpenhauptkamm ist daher die bessere Wahl für die Bauern.
Eine Stempelstelle erregt unsere Aufmerksamkeit. Keiner von unserer kleinen Gruppe weiß eigentlich wirklich was damit anzufangen, wir stehen etwas ratlos davor. Jan und ich vermuten, dass wir vielleicht unsere Startnummer damit abstempeln müssen, wir haben das vor ein paar Jahren tatsächlich schon einmal erlebt. Da wir die erste Hälfte des Briefings verpasst haben und somit eventuell diese Information versäumt haben, stempeln wir vorsichtshalber einfach unsere Nummern ab, schaden kann’s ja nicht. Die zweite Versorgungstation erreichen wir nach knapp 17 km.
Nach der VP geht es streng aufwärts weiter. Bis zum Ramolhaus müssen auf den nächsten 4,5 Kilometern 700 Höhenmeter bezwungen werden. Ich hege ja immer noch leichte Hoffnung, dass es vielleicht weiter oben doch noch aufreißt oder wir durch die Wolkendecke stoßen. Zwischendrin bilde ich mir auch ein, dass es etwas heller geworden ist, aber es tut sich nicht wirklich was am Himmel.
Die erste Hälfte des Aufstiegs ist steil, aber relativ gut zu meistern. Etwa einen Kilometer unterhalb des Ramolhauses ist ein Abzweig, wo es für uns später wieder runtergeht, hier steht ein Posten und schickt uns vorerst aber weiter nach oben. Ab hier wird es dann erst richtig steil. Es ist echt mühsam, vermutlich zeigt die Höhe hier ihre richtige Wirkung. Einige Läufer und Läuferinnen kommen mir auf dem Begegnungsstück, bereits wieder runter vom Ramolhaus, entgegen. Einige der Mädels sind auf der 22K-Strecke unterwegs. In ihrer spärlichen Bekleidung tun sie mir irgendwie etwas leid, aber die Bekleidungswahl hat schließlich jeder selber in der Hand. Ich bin froh warm eingepackt zu sein. Es ist hier wirklich saukalt. Viel über Null werden es nicht sein.
Das Ramolhaus markiert in etwa die Hälfte der Marathonstrecke und auch die höchste Stelle des Kurses. Es ist das „höchste Haus Hamburgs" auf 3.006 m. Die klassische Schutzhütte, die bis zu 52 Personen Platz bietet gehört der Sektion Hamburg des Deutschen Alpenvereins. Zu sehen gibt’s leider immer noch nix. Der Verpflegungstisch steht vor dem Haus und ist üppig ausgestattet mit u. a. heißem Tee und Kuchen. Wir können aber auch reingehen, etwas rasten und uns aufwärmen. Das Zeitlimit an der Hütte liegt bei 6:30 Stunden. Ich bin eine Stunde darunter, da sollte heute nichts schiefgehen.
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