Zwoada Juni: dritta U.TLW
Nicht zu übersehen sind die vielen Plakate und großformatigen Banner sobald man sich im Umkreis des Lamer Winkels befindet. „Zwoada Juni: dritta U.TLW“ lautet der Slogan. „Des is des, wou lauta Nasche wie da Deifi durch’n Woid und iwan Arber und an Osser rennand und se am Schluss recht gfreind.“ Übersetzen werde ich euch das nicht, ihr sollt selber euren Spaß haben, aber so viel ist klar: Die Leut im „magischen U“ freuen sich auf die dritte Auflage des U.Trail Lamer Winkel. Ich bin auch zum dritten Mal dabei und freue mich ebenfalls recht sakrisch, weil ich ja schon weiß was mich erwartet.
Um die Veranstaltung werbemäßig noch bekannter zu machen, hätte es diesen Aufwand wahrscheinlich nicht mehr gebraucht. Aber, nach einem Jahr Pause war es durchaus spannend, ob sich der Beschluss, die Veranstaltung nur mehr im Zwei-Jahres-Rhythmus durchzuführen, eventuell auch negativ auswirken könnte. Aber Pustekuchen, selbst die größten Optimisten auf Seiten des Veranstalters wurden bei weitem übertroffen.
Als am 1. Dezember 2017 um 16 Uhr das Anmeldeportal für den U.TLW eröffnete, wurde deren Server an den Rand seiner Leistungsfähigkeit gebracht. Noch nie gab es in Deutschland einen derartigen Run auf die Startplätze eines Trailruns. Die 250 Tickets des „Osser Riese“ waren in 45 Minuten, die 450 Startberechtigungen für den „König vom Bayerwald“ in noch nicht einmal zwei Stunden komplett ausgebucht. Im Trailbereich kennt man ähnliche Verhältnisse gerade mal von ein paar wesentlich prominenteren Vertretern. Aber, wer Geduld hatte, konnte in den letzten Wochen doch noch einen Startplatz ergattern. Einige sind wieder abgesprungen, – man kennt das ja von allen Veranstaltungen – so konnten noch einige Tickets in den letzten Tagen über die Startplatzbörse erworben werden.
Der Kine hat zugelegt
Mit einigen Veränderungen kann die 3. Auflage aufwarten. Nachdem man 2016 den Veranstaltungsmittelpunkt komplett nach Lam verlegte, wurde dies nun wieder rückgängig gemacht. Abholung der Startunterlagen, Nudelparty, Begrüßung und Race Briefung sind jetzt wieder am Seepark Arrach. Der Zieleinlauf ist wie gewohnt auf dem Marktplatz von Lam. „Und damit aa wirklich a jeder woaß, wos wann wou stattfindt, aaf wos ma aafmiaka mou und wou‘s a Bier (sehr wichtig) und wos zom Ess’n gibt“, dafür gibt’s einem 12-seitigen Athleten- & Zuschauer-Guide. Der beinhaltet wirklich alles, vom Ablaufplan bis zum Streckenplan. Ja, und auch die Zeitlimits sind darin vermerkt. 11 Stunden sind für den Kine einzuhalten, mit zwei Cut-Offs auf der Strecke. Vorbildlicher und übersichtlicher kann man es nicht handhaben. Eine kleine Aufklärung, damit es nicht zu Verständigungs-Problemen kommt: als „Kine“ wird hier sowohl der Lauf „König vom Bayerwald bezeichnet“, als auch der Große Arber, der König der Berge im Bayerischen Wald.
Über die erzwungene Terminverlegung von Ende Mai auf Anfang Juni war man beim Veranstalter nicht gerade glücklich, der Termin ist für sie zu nahe am ZUT. Schuld am Dilemma ist der Auerhahn, er brütet im Mai und die Strecke führt durch sein Schutzgebiet. Beide Veranstaltung sind ausgebucht, somit hat sich das, nicht wirklich als Problem erwiesen.
Auch die Strecke wurde an einigen Abschnitten optimiert. So hat der Kine etwas zugelegt. Der Ultra Trail misst jetzt genau 54,5 km und weißt dabei über 2600 Höhenmeter auf. Der Schlussaufstieg auf den Großen Arber erfolgt nicht mehr auf der breiten Schotterstraße, sondern es geht direkt nach oben. Ist damit kürzer, dafür aber deutlich steiler. Ein schon länger gehegter Wunsch vom Orga-Team war es den Kleinen Arbersee mit einzubinden. Diesen dürfen wir heuer fast komplett umrunden, das bringt uns dann auch die Streckenverlängerung.
Ab 14 Uhr geht‘s am Freitag los mit dem Meet & Greed, dem Treffen der Trailrunning-Familie. Die ersten die sich an diesem Wochenende sportlich betätigen dürfen sind allerdings die Kinder bis 10 Jahre. Der Kids-Trail um den Arracher Seepark sorgt für Stimmung. 75 Nachwuchskräfte toben sich rund um das Gelände an künstlichen Hindernissen aus. Zur Belohnung bekommt jeder eine Kugel Eis.
Die Startunterlagen für die „Großen“ sind gut gefüllt. Neben Bons für ein Essen, Getränk und ein exklusives Weißbierglas mit aufgedrucktem Höhenprofil des Kine vom Bayerwoid sind noch ein Stirnband, Ärmlinge und einige Accessoires zu finden. Zuerst werden die Favoriten vorgestellt, um 19 Uhr beginnt dann die offizielle Eröffnung mit abschließendem Race-Briefing. Das Wetter ist herrlich, so sind die Plätze vor der Bühne gut besetzt.
Der Kine vom Bayerwoid
Läufer aus 10 Nationen und aus 16 deutschen Bundesländern befinden sich heuer am Start. 20 Minuten bevor es losgeht, werden wir gebeten, uns in das abgesteckte Startareal zu begeben. Hinein geht es nur über die Kontrolle der Pflichtausrüstung. Regenjacke, Kopfbedeckung, Notfallset, Getränk und Handy mit Notrufnummer sollte jeder an Bord haben, sonst könnte sich ein Start schnell erledigen.
Für mich gibt’s erstmal jede Menge der Trailfamilie zu begrüßen. Steffi jammert über schwere Beine. Ja, kein Wunder nach Albtraum 100 und SM am Rennsteig in den vergangenen Wochenenden auf dem Siegertreppchen. Andi und Axel haben großen Respekt vor der Strecke. Axel verrät mir ganz leise, dass heute sein 100.
Marathon/Ultra ansteht. Ein bisschen Muffe hat er aber was das Zeitlimit angeht und ob er das überhaupt schaffen kann, darum will er es gar nicht so ausposaunen.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Seeufers sind die Böllerschützen postiert. Um Punkt 8 Uhr steigt der Rauch auf und los geht´s. Die Thürnsteiner Blasmusik begleitet uns musikalisch auf der 400 Meter langen Ehrenrunde um den See. Imponierend anzusehen, wie schnell sich das Feld einige hundert Meter auseinanderzieht, obwohl hier noch gar nicht Vollgas gegeben darf, wenn ich mich recht entsinne. Wir laufen erstmal eine neutralisierte Runde mit Tempomacher voraus, bevor die Rennpferde richtig laufen dürfen.
Zweieinhalb Kilometer durch Wiesen und über Feldwege dürfen wir uns Einlaufen. Nach unterqueren der Kreisstraße geht es in den Anstieg. Das war es dann auch an Flachpassagen für den Rest der Strecke. Der WoidBauern-Steig führt uns gleich ordentlich nach oben. Einige Gefällpassagen sorgen aber zwischendrin immer für Abwechslung. An der Skistation Eck wird nach 9 km der Bergkönig ermittelt. Einen Kilometer vorher wird schon zum Sprint ermuntert. Korbinian und seine Kumpels machen mit der Fliegersirene Rabatz. Von weitem brandet betörender Lärm durch den Wald. Von einigen hundert Leuten werden wir mit tosendem Applaus beim Durchlauf empfangen. Das ist echt krass für einen Trail, praktisch mitten im Wald.
Nach 43 Minuten ging an der Zeitmessmatte der Bergkönig durch, für uns „unwesentlich“ langsameren gilt es eher das Zeitlimit von 1:30 Stunden einzuhalten. Markus vom Orga-Team meinte beim Briefing, das schafft man selbst im Wanderschritt. Na, da bin ich nicht so überzeugt. Es muss schon etwas gelaufen werden, sonst wird’s eng. Aber, es ist schon noch einigermaßen easy zu bewältigen und es gab auch angeblich noch nie jemand, der hier hängen blieb. Nach dem Durchlauf können wir an VP 1 verpflegen und Getränke aufnehmen. Man sollte spätestens hier seine Getränkeflasche oder Wasserblase auffüllen. Bis zum Gipfel auf dem Großen Arber gibt es keine Möglichkeit mehr.
In dem ganzen Trubel in Eck und an der VP löst sich irgendwie auch das komplette Teilnehmerfeld auf. Fast ganz alleine mache ich mich vorerst auf den weiteren Weg. Unmittelbar hinter der Station befinden sich einige Totenbretter. Sie finden sich heute fast nur noch im Bayerischen Wald und waren im 19. Jahrhundert hier weit verbreitet. Zum Gedenken an einen Verstorbenen wurden die Bretter meist an landschaftlich schönen Orten angebracht. Sie sind Relikte und Zeugnisse des alten Volksglaubens, wonach die armen Seelen erst dann aus dem Fegefeuer hüpfen, wenn das Brett verwittert ist.
Ab Eck treffen wir auf den Goldsteig. Und der steht auch für eine spürbar anspruchsvollere, aber auch reizvollere Strecke mit viel Abwechslung. Bis zum Gipfel des Großen Arber könnten wir praktisch auf den nächsten 15 Kilometern auch den Markierungen des Premium-Wanderweges folgen. Zwölf Tausender stehen auf dem kompletten Kurs für uns heute auf dem Programm, bis zum „Kine“ sind es auf dem Goldsteig erst mal zehn. Als Gipfel ersichtlich sind dabei aber nicht alle. Der erste erkennbare ist der Ödriegel (1156 m), der Mühlriegel ist schon unbemerkt von mir durch. Von der markanten Felsformation des Ödriegel hat man einen ersten herrlichen Überblick.
Über größtenteils wurzelige und felsige Trails geht es weiter, zwischendrin warten auch einige kleine Klettereinheiten auf uns. Vor dem Schwarzeck (1238 m) wird es wieder laut im Wald. Eine größere Gruppe Schlachtenbummler hat sich zwischen Felsen versammelt und macht mit Kuhglocken und lauten Anfeuerungsrufen einen Heidenlärm. Das schönste Gipfelkreuz auf unserer Tour ziert die Spitze des Schwarzecks, das polierte Metallkreuz ist wirklich eine Augenweide und glänzt in der Sonne. Heuer dürfen wir nicht – wie noch in den vorhergehenden Ausgaben – ganz hinauf. Etwas unterhalb ziehen wir vorbei.
Mal auf mal ab geht es weiter. Ein Pfad führt uns aus dem Wald auf die Hochmoorfläche des Heugstatt (1261 m) und weiter zum Enzian (1285). „34,5 to go“ bedeuten, 20 km liegen hinter uns. Sämtliche Kilometertafeln weisen uns den noch vor uns liegenden Weg. Viele abgestorbene Baumreste, aber auch wieder jede Menge nachwachsender Fichten flankieren den Pfad auf dem Kammweg. Das Waldsterben ist auf dieser Hochfläche noch deutlich sichtbar. 1983 wurde vom Bayerischen Landwirtschafts- und Forstminister beschlossen, die damals durch einen Gewittersturm umgefallenen Fichten einfach liegenzulassen. Auch die in den Folgejahren sich ausbreitenden Borkenkäfer wurden in den Naturzonen nie bekämpft. Das konsequente Belassen der toten Fichten führte dazu, dass sich der Wald wieder natürlich verjüngen konnte. Vermoderndes Holz bietet die besten Voraussetzungen für das Keimen der nächsten Waldgeneration, wie man heute gut sehen kann. Die neue Fichtengeneration hat teilweise schon wieder eine beachtliche Höhe.
Ganz unerwartet, weil nicht angekündigt bekommen wir an einer kleinen Wasserstation Erfrischung angeboten. Der Abschnitt mit den jungen Fichten verschafft uns einen weiten Überblick über den Bayerwald. Ein steiler Aufstieg führt uns zum Gipfelkreuz des Kleinen Arber, das sich auf 1.350 m befindet. Gegenüber liegt bereits der Kine mit seinen beiden ehemaligen, kugelförmigen Abhöranlagen in Sichtweite, die zu Zeiten des kalten Krieges von der NATO installiert wurden. Steil und anspruchsvoll geht es über Wurzeln und Steine wieder runter bis zur Chamer Hütte. Auf dem „bequemen Weg“, wie mir ein Hinweisschild sagt, geht es erstmal noch ein Stück unterhalb, um den Gipfel herum.
Nach 500 Meter Schotterpiste verlassen wir die Straße und biegen in die neue Streckenführung ein. In der Direttissima geht es, auf dem mit Holzbohlen abgestützten Hang, auf direktem Weg nach oben. Der Gipfel des Großen Arber liegt auf 1456 m. Nur ein einfaches Holzkreuz ziert seinen höchsten Punkt. Etwas unterhalb bei km 24,4 wartet die zweite Verpflegungsstelle direkt vor der Arberschutzhütte und der Eisensteiner Hüttn auf uns. Das Angebot ist riesig, aber ich muss schnell machen. Eine schwarze Wand nähert sich von Westen und es tröpfelt bereits. Ein gewichtiger Grund die Pause abzukürzen und mich vom Acker zu machen. Mit Andi mache ich mich auf den Weg, aber ich muss nochmal zurück, ich habe vergessen meine Flasche aufzufüllen und so schnell gibt es nichts mehr. Aber danach nix wie weg, bevor ich noch die Regenjacke auspacken muss.
|