Die dritte und letzte Station der MOUNTAINMAN-Serie 2019 steht an. Nach Nesselwang und Großarl startet in Reit im Winkl der Final Countdown. Als besonderes Zuckerl werden beim Abschluss-Event alle, die an jeder der drei Veranstaltungen teilgenommen haben, mit einer eigenen Triforia-Medaille belohnt, egal bei welcher Streckenlänge man am Start war.
Mit einer S-, M-, L-, & XL-Strecke stehen heuer vier Distanzen, wie immer in den zwei Kategorien Trailrunning und Hiking, zur Auswahl. Die Strecke „S“ ist neu hinzugekommen, mit 10 km Länge und 140 Höhenmetern ist sie vor allem für Einsteiger geeignet. Auf die Berge geht’s hier noch nicht. Die „M“ weist 24 km und 800 hm auf. Fast auf Marathonlänge kommt die „L“ mit 39 km und 1.500 hm. Längste Strecke ist die „XL“ mit 54 km und ca. 2.300 Höhenmeter. Gegenüber dem Vorjahr ist sie durch Streckenänderungen etwas gewachsen, so wurde z.B. der Aufstieg zum Gipfel der Steinplatte gestrichen und durch eine Schleife in Richtung Dürrnbachhorn ersetzt und der Anteil knackiger Trails erhöht. Ich war im Vorjahr bei der Premiere dabei und bin natürlich gespannt, wie das dann in der Realität aussehen wird.
Überraschenderweise empfängt mich Reit im Winkl am Freitagnachmittag mit Sonnenschein, das hätte ich nach den Vorhersagen gar nicht erwartet. Richtig berühmt geworden ist der Ort natürlich durch die Gold-Rosi. Unsere Doppel-Olympiasiegerin von 1976 kennt glaube ich jeder. Den Anfang des Tourismus hat man aber dem König von Bayern, Maximilian II im Jahr 1858 zu verdanken. Sein Besuch und der Reisebericht des Schriftstellers Franz von Kobell machte das reisende Volk auf den Gebirgsort aufmerksam.
Aufsehen erregte Reit im Winkl aber schon vorher, jedenfalls einer Erzählung nach. Bei der Neuverteilung der Länder Europas nach den Wirren der napoleonischen Kriege im Wiener Kongress 1815 soll Reit im Winkl aufgrund der abgeschiedenen Lage einfach vergessen worden sein. Damit um diesen kleinen Flecken kein neuer Krieg ausbricht, wurde zwischen den Landesherren von Bayern, Salzburg und Tirol vereinbart, darum Karten zu spielen. Bei diesem Spiel soll der bayerische König den letzten und entscheidenden Stich mit dem Schell-Unter gemacht haben und Reit im Winkl für Bayern gewonnen haben. Seit diesem Zeitpunkt ist der Schell-Unter das heimliche Wappen des Ortes. Noch heute nutzen es Gebirgsschützen und Trachtenverein als Erkennungszeichen.
Im heutigen EU-Gebiet sind die Grenzen lockerer und kontrolliert wird auch nimmer, so ist es kein Problem, dass wir während unserer Tour über die Berge mehrmals die Ländergrenzen wechseln werden. Da Reit im Winkl direkt an der Grenze zu Österreich liegt, wird aus diesem Mountainman-Event eine Zweiländerveranstaltung.
Eine kleine Expo-Area sowie der komplette Start- und Zielbereich befinden sich am Ortsrand direkt neben dem Sportplatz und dem großen Festsaal von Reit im Winkl. Der ist wie geschaffen für das PreRace-Info und ist auch gut gefüllt. Kein Wunder, 950 Starter stehen heuer in den Anmeldelisten. Damit hat sich die Teilnehmerzahl gegenüber der Premiere im Vorjahr bereits verdoppelt. Mit meiner dritten Teilnahme bei einem Mountainman-Event bin ich ja schon ein alter Bekannter, so begrüße ich als erstes die beiden Stamm-Moderatoren Rudi & Stephan und Chefin Jutta. Sie ist stolz, dass mit Florian Neuschwander einer von Deutschlands schnellsten Trailrunnern am Start der L-Strecke stehen wird. Stolz ist sie aber auch auf ihr gesamtes Team, von denen uns einige vorgestellt werden.
Der Samstagmorgen sieht leider nicht mehr so erfreulich aus. Schwarze Wolken grüßen vom Himmel und lassen Schlechtes erahnen. Aber noch kommt nix runter. In der Wiese sorgen die Reit im Winkler Alphornbläser für ein kurzes Warm-Up-Konzert, unmittelbar vor dem Start um 6 Uhr übernehmen aber AC/DC die Einstimmung. Der Bürgermeister schickt uns durch eine künstliche Nebelwolke pünktlich auf die Piste.
Für 20 Uhr ist der Zielschluss vorgesehen, so bleiben uns üppige 14 Stunden, um die Runde zu bewältigen. Wer zwischendrin eine Schwächephase erleidet, kann sich frische Energie an 10 Verpflegungsstationen zuführen. Ich hoffe natürlich ohne Energieverlust durchzukommen, die Hütteneinkehr werde ich mir aber natürlich trotzdem nicht entgehen lassen. Es sind wieder einige Delikatessen im Angebot.
Die ersten Kilometer beinhalten noch keine größeren Steigungen und bieten sich wunderbar zum Einlaufen an. Über den Krautloidersteg geht es im Märchenwald an der Lofer entlang. Den ersten wird es bereits zu warm und sie packen ihre Regenjacken wieder ein. Ich habe meine noch gar nicht an, bin ja grundsätzlich immer optimistisch. Einige scheinen im Einpacken richtig Übung zu haben, nach ein paar hundert Metern haben sich mich schon wieder überholt. Und prompt fängt es jetzt zu regnen an.
Nach 3 km erreichen wir die erste Verpflegungsstelle bei Gut Steinbach. Seitens der Läufer besteht hier scheinbar aber noch keinen Bedarf. Das Blech mit Kuchen ist fast noch unberührt. Ich bin nicht so schüchtern und genehmige mir mein erstes Frühstück. Ein Kaffee fehlt halt leider. Direkt davor liegen die Skisprung-Schanzen des WSV Reit im Winkl. Über 100 Meter weit kann man hier springen. Nix für mich, da laufe ich lieber hoch. Auf einem rustikalen Weg geht es ab hier aufwärts.
Der erste Anstieg für heute ist technisch nicht sonderlich anspruchsvoll, aber die 500 Höhenmeter auf 4 km haben es durchaus in sich. Im dichten Wald ist es noch richtig dunkel, dafür sind wir aber noch einigermaßen vom Regen geschützt. Für die Teilnehmer der M-Strecke geht es oben nach rechts weiter, für „L“ und „XL“ nach links. Wieder runter führt uns eine breite Schotterstraße, die uns kaum mehr Schutz vor den Niederschlägen bietet. Zeit für meine Regenjacke, bevor ich komplett durchnässt bin.
Nach 12,5 km kommen wir am Parkplatz Seegatterl der Winklmoosalmbahn raus. Seit der Saison 2009/2010 gelangt man mit der modernen 8er-Gondelbahn ins Skigebiet, anstelle eines umständlichen Bus-Shuttles. Über dem weitläufigen Parkplatz geht es zur Seegatterlalm, wo unsere zweite Labestelle wartet. Es ist kurz vor 8 Uhr, passt doch optimal für ein zweites Frühstück. Obst, Griebenschmalz- und Käsebrote stehen bereit, dazu noch diverse Kuchen. Wieder kein Kaffee, na gut dann Iso.
Die L-Strecke führt nach rechts, wir müssen wieder ein Stück zurück, am Kassenhäuschen der Mautstelle vorbei. Mit dem Auto muss man 5 Euro löhnen, um zur Winkelmoosalm zu kommen. Anfangs noch ganz kommod schlängelt sich unser Trail im Wald Richtung Dürrnbachhorn nach oben. Viel Schutz bietet der Wald hier nicht mehr, es regnet einfach zu stark. Wiesenabschnitte mutieren zu einer Kneippkur, in meinen Schuhen quietscht es ganz wunderbar. Mittlerweile bin ich vollkommen aufgeweicht. Fotografieren ist mir kaum mehr möglich, ich bekomme das Objektiv nicht mehr sauber, denn ich habe keinen trockenen Fetzen mehr an mir.
Ab km 17 wird es richtig heftig, wir verlassen den Wald und gelangen auf einen schmalen, ausgetrampelten Gebirgspfad. Schlammig, nass, null Aussicht und supersteil, alles dabei, insgesamt über 800 Höhenmeter im Aufstieg auf einer Länge von 6 Kilometern zeigt mir mein GPS an. Dazu die ständige Berieselung von oben. Wir stehen hier alle vor einer starken mentalen Prüfung, man kann es aus den Gesichtern lesen.
Je höher wir kommen, umso ungemütlicher wird unsere Lage und vor allem auch zugiger und kälter in den nassen Klamotten. Ich kann mit meinen klammen Fingern kaum mehr die Kamera bedienen. So gibt es für diesen grundsätzlich sehr schönen und interessanten Aufstieg kaum mehr Bilder. Unter einer großen Fichte ziehe ich meinen letzten Joker: eine Regenhose, Handschuhe und ein Buff. Mit etwas mehr Wärme an den Beinen läuft es gleich etwas besser, ich komme gut hoch und kann einige Mitstreiter überholen. Die dünnen Handschuhe bewirken aber leider nichts und sind auch im Nu durchwässert. Meine richtigen Regenhandschuhe und eine noch bessere Regenjacke liegen im Kofferraum meines Autos unten im Tal. Da habe die Wetterlage wohl falsch eingeschätzt.
Vollkommen durchnässt und durchgefroren erreiche ich nach knapp 19 km den höchsten Punkt dieses Aufstiegs auf 1600 m Höhe an der Bergstation der Dürrnbachhorn Nostalgie-Sesselbahn. Meine Hände sind nur noch Fremdkörper. Mit ein paar Anderen drücke ich mich an die windgeschützte Wand der Liftstation und versuche die Finger etwas auf Temperatur zu bekommen. Stünde hier ein Bus für den Rücktransport bereit, würden die meisten wohl einsteigen. Ich zähle mich auch dazu. Heute noch das Ziel zu erreichen, kann ich mir in dem Moment nicht vorstellen. Aber irgendwie muss es ja weitergehen. Ich könnte in den Lift einsteigen. Er ist in Betrieb. 20 Minuten dauert die Fahrt mit der alten Einer-Sesselbahn. Vermutlich würde ich als Eismumie unten ankommen. Ich verwerfe diesen Plan. Laut Höhenprofil auf unserer Startnummer sollte hier irgendwo noch die nächste VP an der Panorama Alm stationiert sein. Hinweise dafür gibt’s keine.
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