Es ist Sonntag, der 25. Oktober 2015, kurz nach 20.00 Uhr. Die Tagesschau läuft und ich mache es mir trotz eines lauen Herbstabends mit meiner Decke auf der Couch bequem. Kurz nachdem die Wettervorhersage verkündet, dass es mit dem goldenen Herbst so weiter geht, schaue ich in die blauen Augen von Horst Lettenmeyer. Im Hintergrund läuft die wohl jedem bekannte Titelmelodie von Klaus Doldinger. Es ist Tatortzeit im „Ersten“, für mich seit Jahren ein Pflichttermin vor dem Fernseher, bevor es wieder in die neue Arbeitswoche geht. Heute läuft bereits die 959. Folge. Der Titel: Preis des Lebens. Die Ermittler heißen KHK Thorsten Lannert und KHK Sebastian Bootz. Sie ermitteln in Stuttgart. Neben München und Wien zählt Stuttgart für mich zu den Top 3 unter den inzwischen zweiundzwanzig Tatort-Städten.
Der Tatort ist wirklich spannend. Nach gut 50 Minuten steht ein fingierter Geiselaustausch an. Die Einsatzkräfte, unterstützt durch das SEK werden zum Max-Eyth-Steg gerufen. Der Einsatz geht schief und man kann wirklich nur den Kopf schütteln.
Heute, über vier Jahre später, hätte ich schon ein paar Minuten früher den Kopf geschüttelt. Ich hätte die Einsatzkräfte wohl nicht zum Max-Eyth-Steg gerufen, sondern zum „Golden Gatele“. Das wäre jedenfalls viel authentischer. Doch als ich 2015 mit meiner Decke auf der Couch lag, konnte ich davon noch nichts wissen und ich hätte wohl auch nicht gedacht, dass das „Golden Gatele“, wie die Stuttgarter den Max-Eyth-Steg scherzhaft nennen, schon bald eine alte Bekannte werden würde.
Es ist Sonntag, der 01. März 2020 und ich bin mit Bernie und Charly bereits zum vierten Mal auf dem Weg zum Neckarufer Marathon in Stuttgart. Start und Ziel sind am Max-Eyth-See, das „Golden Gatele“ muss dabei zweimal überquert werden. Ich freue mich schon seit Tagen auf den Neckarufer Marathon, obwohl mir nach meiner fast vierwöchigen Laufpause aufgrund einer Grippe klar ist, dass ich heute vermutlich nicht die ganzen 42 Kilometer laufen werde. Es sind die vielen Lauffreunde, auf die ich mich freue. Michael Weber vom 100-Marathon-Club hat eben im Jahr der Erstaustragung des 959. Tatorts einen schönen Marathon ins Leben gerufen. Inzwischen ist die maximale Teilnehmerzahl auf 170 angewachsen und die Startplätze sind auch innerhalb weniger Tage vergeben. Viele von ihnen sind Wiederholungstäter und viele von ihnen habe ich inzwischen auch kennengelernt und ich freue mich heute auf ein Wiedersehen.
Gut zwei Stunden dauert die gemeinsame Fahrt nach Stuttgart und schon auf dem Parkplatz am Max-Eyth-See kann ich einige Lauffreunde begrüßen. Auch wenn Handschläge und Umarmungen dank Corona heute teilweise verwehrt werden, ist die Stimmung rund eine Stunde vor dem Start schon super. Eigentlich ist die Zeit fast zu knapp, um sich mit allen Bekannten ausgiebig zu unterhalten. Das marathon4you-Team ist mit Birgit, Norbert, Bernie und meiner Wenigkeit gut vertreten.
Die Abholung der Startnummern am Wassersportcenter direkt am Neckar ist in wenigen Minuten erledigt. Wenn man sich umschaut, sieht man, dass Michael seit der Erstaustragung des Neckarufer Marathons eine deutliche Entwicklung gemacht hat. Statt einem Kreidestrich, den er kurz vor dem Start bei meiner ersten Teilnahme noch auf Teer malte, liegt an selbiger Stelle heute eine blaue Zeitnahme-Matte. Den passenden Mehrwegchip finde ich bei meinen Startunterlagen. Selbst an einen Kabelbinder zur Befestigung am Schuhwerk hat Michael im Gegensatz zu mir gedacht. Meine liegen zu Hause neben der leeren Kaffeetasse.
Der Start- und Zielbereich hat sich inzwischen gut gefüllt, obwohl aufgrund der momentanen Grippewelle einige Teilnehmer kurzfristig absagen mussten. Ein greller Pfiff lässt plötzlich die Gespräche verebben. Michael ruft zum Start. Jeder hat seinen Platz in der Startaufstellung schnell eingenommen. Man merkt, dass hier kaum Neulinge am Start sind. Jeder weiß sich richtig einzuschätzen und einzuordnen, so dass auch pünktlich um 9.00 Uhr der Startschuss fällt. Die sechste Ausgabe des Neckarufer Marathons ist gestartet. Nach dem kurzen Gewitter vom Vortag ist es heute trocken und soll auch während des gesamten Laufs so bleiben. Lediglich gelegentliche Böen werden das Laufen etwas mühsamer machen.
Die ersten zwei bis drei Kilometer nutze ich erst einmal, um mich warmzulaufen und zu schauen wie es so läuft. Schon schnell muss ich erkennen, dass es mir heute etwas schwerer fällt als sonst. Ich mache mir aber keine großen Gedanken, vielleicht legt sich das ja mit der Zeit. Trotz meiner Laufpause hoffe ich insgeheim doch, dass ich vielleicht sogar alle vier Runden unter die Füße nehmen kann. Erst mal geht es immer schön am Neckar entlang in Richtung Norden. Es bilden sich kleinere Grüppchen, die gemeinsam den Neckarufer Marathon unter die Füße nehmen wollen. Für den Großteil der Teilnehmer geht es hier nicht um Bestzeiten, sondern um ein gemeinsames Erlebnis.
Ich habe mit Bernie, Kati und Manfred ebenfalls ein paar nette Gesprächspartner um mich herum und wir wollen so lange wie möglich zusammenlaufen. Die Strecke ist heute auch gut zu laufen. Nur gelegentlich sieht man noch die Spuren des Gewitters vom Vortag und wir müssen um ein paar Pfützen herumlaufen. Bald nähert sich die Neckarschleuse Aldingen. Auf der Wehrbrücke überqueren wir das erste Mal den Neckar und erreichen nach fünf Kilometern die erste Verpflegungsstation. Wie an allen anderen Verpflegungsstellen gibt es auch hier alles was das Läuferherz begehrt, diverse Getränke, Süßes oder Salziges.
Wir stärken uns kurz und machen uns auf den Rückweg in Richtung Wassersportcenter. Auf der gegenüberliegenden Neckarseite geht es nun zurück und wir haben die Möglichkeit mit einem Blick über den Neckar grob abzuschätzen, wie viele Läufer denn noch hinter uns liegen. Es sieht ganz gut aus, da kommen noch einige. Unser nächstes Ziel ist nun der Vier-Burgen-Steg, der 2010 fertiggestellt wurde und uns zum zweiten Mal den Neckar überqueren lässt. Gut 80 Meter ist die Stabbogenbrücke lang und kostete gut 3,5 Millionen Euro. Ein stolzer Preis für eine Fuß- und Radwegbrücke, aber imposant ist das Bauwerk mit ihren 16 Meter hohen Pfeilern allemal. Damit nähern wir uns auch schon dem Ende der ersten Runde und können uns nach zehn Kilometern am Wassersportcenter wieder stärken.
|