Joachim Saukel verkündet kurz vor dem Start nur mäßige Gewitterneigung, Blitz und Donner sollen sich Richtung Obersdorf verziehen. Sein Wort in Gottes Ohr, dann geht’s pünktlich mit einem Schuss aus der Starterpistole los. Genauso pünktlich öffnet auch der Himmel seine Schleusen, erste Regentropfen prasseln bereits in der Einführungsrunde im Auwaldstadion auf uns nieder. Das Läuferfeld macht auf der Ehrenrunde bereits richtig Dampf und man wird automatisch mitgezogen. Mir geht das eigentlich viel zu schnell los.
Nur wenige Meter ist das Stadion von der Iller entfernt und ab hier geht es auf einem Kiesweg für einige Kilometer vorerst immer nur geradeaus Richtung Sonthofen. Blitz und Donner begleiten uns bereits von Beginn an, wirklich eine starke Inszenierung für den Neuanfang des Iller Marathons. Viel kommt nicht runter vom Himmel, bei deutlich gesunkenen Temperaturen ist es jetzt sehr angenehm zu laufen.
Der lateinische Name der Iller war Hilaria, die Bezeichnung ist keltischen Ursprungs und stammt vom Wort ilara für „eilig“. Genau das muss ich heute nicht unbedingt haben, meine Oberschenkel fühlen sich nicht sonderlich locker an. Etwas Auflockerung schafft mir an der Sportanlage Blaichach eine Gruppe Mädels, die mir einen Schluck aus ihrer Goißenmaß (halb Bier, halb Cola und a Schnapserl, meist Weinbrand oder Kirschlikör) geben.
Fotografieren ist heute für unsere kleinen Kameras eine riesen Herausforderung und nur mit Abstrichen und länger ruhig halten einigermaßen zu bewerkstelligen. So ist eine wildgewordene Truppe mit euphorischer La Ola auf dem Bild kaum einzufangen. Wenig später kommt nach 5 Kilometern auch bereits die erste Getränkestation und Wechselstelle der Ekidenstaffel. Die meisten der 21 Teams sind aber bereits über alle Berge, so dass keine Hektik mehr entsteht. Dasselbe kann man auch für das Marathonfeld übernehmen, von den etwas über 200 Gemeldeten sind die meisten vor Kati, Greppi und mir. Wir wollen es gemeinsam etwas langsamer angehen und auch zu Ende bringen. Zudem ist Kati froh, zwei „starke“ Männer an ihrer Seite zu haben, die sie sicher durch die Nacht begleiten.
Nach etwa 8 km haben wir den Wendepunkt in Sonthofen erreicht, über eine Brücke wechseln wir die Flussseite und es geht zurück Richtung Immenstadt. Mittlerweile ist aus dem Tröpfeln doch leichter Regen geworden und es wird mit den feuchten Shirts doch spürbar unangenehm. Die Versorgungsstation bei Km 10 ist vom Veranstalter des Allgäu Panorama Marathon, Axel Reusch, eingerichtet. Er steht persönlich im Regen und überreicht uns die Getränke.
Die letzten visuellen Landschaftseindrücke, die wir bei nur mehr schwachen Dämmerlicht aufnehmen können, sind um 21:00 Uhr der Grünten, der sich rechts neben unserer Strecke präsentiert und eine sehr schöne Holzbrücke über die Ostrach, einem Nebenarm der Iller. Mich erinnert sie ein bisschen an die berühmte Brücke in Aarberg beim Bieler Hunderter, wo bei Km 17 meist der Bär steppt. Das passt ja dann auch sehr gut für Kati, jene muss sie dann in einer Woche dort in der Nacht passieren.
Das war’s dann mit dem Restlicht, es gibt keine illuminierten Cityansichten, hellbeleuchtete Zuschauer-Hot-Spots oder irgendwelche sonstigen Lichtquellen, es geht nur mehr im Dunkeln durch die Nacht. Die gleichen Verhältnisse, wie wir sie auch oft bei langen Ultra-Trails vorfinden. Für mich ein ideales mentales Training. Das Laufen in der Nacht ist deutlich anspruchsvoller als bei Tageslicht und muss geübt werden.
Etwas Abwechslung bekommen wir aber dann doch noch geboten, denn über einige hundert Meter können wir einem Froschkonzert lauschen. Unglaublich, wie sie aufquaken. Hin und wieder huschen auch welche vor uns über den Weg, vielleicht aufgeschreckt durch unsere Stirnlampen. Die Streckenposten sind alle bei guter Laune und immer zu einem Späßchen bereit, so macht uns das sehr viel Spaß. Jeder Kilometer ist ausgeschildert, mehr Wegweiser sind nicht aufgestellt und werden auch nicht benötigt, wir brauchen eigentlich nur dem Straßen- und Wegverlauf entlang der Iller zu folgen. An allen Abzweigen stehen Streckenposten und dirigieren uns in die richtige Richtung. So kommt nie das Gefühl von Unsicherheit auf.
Nach etwa 25 Kilometern verlassen wir für einige Kilometer den Lauf der Iller, ein etwa 7 Kilometer langer Abschnitt führt über kleine Nebenstraßen und somit über Asphalt. Autoverkehr gibt es aber keinen. Verlief die erste Streckenhälfte eigentlich immer nur flach dahin, sind jetzt einige Steigungen zu bewältigen, die sich auf 170 Höhenmeter summieren. Dafür hat es aufgehört zu regnen und auch die Temperaturen sind etwas abseits der Berge wieder höher, man kann es gut aushalten.
Das Zeitlimit für die komplette Strecke beträgt 6 Stunden, zudem gibt es beim Verpflegungspunkt in Rauns einen Cut-Off. Alle, die nach 00:15 Uhr den VS bei Km 30 erreichen, müssen das Rennen aus Sicherheitsgründen beenden. Wir haben genügend Luft und können uns in aller Ruhe stärken. Neben Wasser, Iso, Cola, Obst und Riegeln werden jetzt auch Chips und Salzgebäck angeboten. Noch besser sortiert ist die Labe bei KM 35. Leckeres „Altenmünster“ mit Bügelverschluss steht im Angebot. Da können wir alle drei nicht nein sagen.
Seit Km 32 befinden wir uns wieder an der Iller, hier werden uns auf den letzten Kilometer noch einige gemäßigte Trailabschnitte geboten. Natürlich sind hier keine Wurzeln, Felsen oder ähnliche Stolperfallen zu finden, aber es schlängelt sich leicht wellig auf kleinen Wegen und Pfaden Richtung Kempten. Obwohl wir uns auf den letzten Kilometer schon direkt im Stadtgebiet Kempten befinden, hat man eigentlich nicht das Gefühl, durch eine Stadt zu laufen. Erst als wir bei Km 40 an der Burgstraße die Illerbrücke überqueren, bestimmen die Häuserfronten die Optik. Nach einer letzten kurzen Pendelstrecke erreichen wir drei mehr als zufrieden das Ziel in der Turbinenhalle des AÜW, wo gerade eine Party mit Live-Musik steigt und somit viele Menschen anwesend sind.
Die Idee, einen Lauf durch die Nacht anzubieten, hat gerade im Sommer einen großen Reiz. Die Strecke ist ideal und ohne größere Probleme auch im Dunkeln gut zu laufen. Am Zeitplan des Transportablaufes könnte noch etwas gefeilt werden, die Wartezeit vor dem Lauf ist für meinen Geschmack etwas zu lange. Das ist aber nur eine Kleinigkeit, die den hervorragenden Eindruck nicht schmälern soll. Ich komme gerne wieder, dann kann man ja Blitz und Donner weglassen. |