Die kleine Gemeinde Lichtenwald liegt rund 40 Kilometer östlich von Stuttgart und ist von dort aus in rund 45 Minuten über die Bundesstraße 10 gut zu erreichen. Für mich ist die Anfahrt nach Lichtenwald mit rund zwei Stunden etwas weiter, doch die nehme ich gerne in Kauf. Denn heute gibt es dort eine Marathon-Premiere. Bereits zum sechzehnten Mal wird das Lichtenwalder Laufevent, kurz LIWA-Laufevent ausgetragen.
Mit einem Bambinilauf, einem Fitnesslauf über 6,5 Kilometer, einem 10-Kilometer-Lauf und dem Halbmarathon war in Lichtenwald stets für jeden etwas dabei. Auch für die Walker war eine 9-Kilometerrunde vorgesehen. Nur eines gab es bis heute noch nie: Einen Marathon. Doch die Organisatoren des TSV Lichtenwald rund um Armin Storz hatten ihn schon lange im Sinn und in diesem Jahr war es dann endlich so weit. Bereits im Sommer letzten Jahres wurde mit der Planung begonnen und nicht nur der Veranstalter und die zahlreichen Helfer waren gespannt, wie denn der erste Marathon im Landkreis Esslingen von den Marathonis angenommen wird.
Treffpunkt für die Läufer war die Mehrzweckhalle in Lichtenwald, die etwas außerhalb von Lichtenwald liegt. In der Halle war ordentlich was los, denn rund 1200 Sportler wollten hier ihre Startunterlagen abholen und alles verlief reibungslos. Die Schlangen an den einzelnen Ausgabeschaltern waren überschaubar. Schon hier konnte man erkennen, dass die Helfer aus den vorangegangenen Veranstaltungen Erfahrung haben. Etwa 120 Marathonis holten sich ihre blaue Startnummer ab. Für eine Premiere eine ganz ordentliche Zahl, wie ich finde. Da bis zum Start ja noch reichlich Zeit war, hatte ich genügend Möglichkeiten mich mit den zahlreichen Lauffreunden zu unterhalten, die sich die Premiere ebenfalls nicht entgehen lassen wollten. Karlheinz „Kalle“ Dravec, der Abteilungsleiter der Leichtathletikabteilung des TSV Lichtenwald entdeckte mich in der Menge und bat mich, bei meinem Bericht über den Marathon gnädig zu sein. Lieber Kalle, schon mal vorweg, Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen, alles war super. Ich fand keinen Grund für Beanstandungen, auch wenn ich mich bei den netten Damen an einem Verpflegungsstand mal kurz beschwerte, dass es keine Leberkässemmeln gibt!
Doch alles der Reihe nach. Der Start erfolgt um 9:30 Uhr vor dem Bürgerhaus in Lichtenwald. Bis dahin haben wir noch einen Fußmarsch von ein paar hundert Metern vor uns und zusammen mit meinen Lauffreunden mache ich mich rechtzeitig auf den Weg. Das Wetter verspricht nur Gutes. Strahlend blauer Himmel und morgens schon Temperaturen im zweistelligen Bereich, so dass ich es in meinen kurzen Laufklamotten gut aushalten kann. Mit uns finden sich weitere 300 Halbmarathonis am Start ein. Vom Balkon des Bürgerhauses werden Grußworte des Bürgermeisters, des Landrats und anderer Verantwortlicher gesandt. Alles macht einen sehr professionellen Eindruck. Auch zahlreiche Zuschauer haben sich hinterhalb des blauen Startbogens eingefunden. Die Gemeinde Lichtenwald scheint an ihrem ersten Marathon interessiert zu sein. Der Startschuss ertönt und wir werden losgelassen. Ich bin gespannt. Der Lauf ist mit 680 Höhenmetern gespickt und es soll noch über zwanzig Grad warm werden, das klingt nach Anstrengung, aber ich freue mich und winke den Zuschauern am Straßenrand zu, die uns lautstark auf den ersten Metern unserer Reise anfeuern.
Lichtenwald haben wir schon nach wenigen hundert Metern hinter uns gelassen. Über einen asphaltierten Weg geht es raus in die Natur. Blühende Bäume säumen den Weg links und rechts, umgeben von sattgrünen Wiesen. Auch wenn es jetzt etwas eng wird und ab und zu ein Läufer drängelt, der sich wohl etwas zu weit hinten einsortiert hat, lässt es sich schon jetzt schön laufen und ich versuche wie immer das richtige Tempo zu finden. Von den Halbmarathonis lasse ich mich nicht beirren, obwohl darunter wohl auch einige gemütliche Läufer sind und mich auf den nächsten zwanzig Kilometern bis zur Streckenteilung begleiten werden.
Die Strecke geht nach dem ersten Kilometer nun leicht bergab, so dass man sich schön warmlaufen kann. Am Ende des Weges geht es kurz nach rechts und dann tauchen wir mit einem weiteren Linksschwenk in den Schurwald ein. Wir laufen nun auf einem breiten Waldweg, der wirklich schön zu laufen ist und es geht weiter stetig bergab, bis wir bei etwa Kilometer vier den ersten leichten Anstieg vor uns haben. Doch an dessen Ende bei Kilometer 5 werden wir mit der ersten Verpflegungsstation belohnt. Bis Kilometer 7,5 geht es nun weiter sanft bergab und als wir den Wald wieder verlassen liegt eine wunderbare Landschaft mit Blick auf die Schwäbische Alb vor uns. Dort haben wir auch den tiefsten Punkt der Halbmarathonstrecke erreicht. Seit dem Start haben wir etwa 200 Höhenmeter verloren und mir kommt kurz der Gedanke, dass wir das ja alles auch wieder hinaufmüssen.
Und so ist es dann auch. Von nun an geht es bis Kilometer 13 ständig sanft bergan. Die Anstiege sind sehr anstrengend zu laufen, aber halt doch irgendwie noch zu flach um zu gehen. Vor mir sehe ich einen Teilnehmer mit einem Finisher-Shirt vom Rennsteig-Supermarathon. An ihm werde ich mich nun orientieren, da er mir auf meine Frage hin erklärt, dass er eine Zeit von rund 6 Stunden anvisiert. Ich habe eine halbe Stunde weniger eingeplant, doch das steht ja jetzt noch nicht zur Debatte. Daher überhole ich den Laufkollegen, laufe etwas Vorsprung heraus und gönne mir eine kurze Gehpause, bis er mich wieder überholt. Dann wiederholen wir das Spiel. So komme ich auf den nächsten fünf Kilometern gut voran und erreiche bei Kilometer 13 das Ende dieses langen Anstiegs. Wie ich von Kalle zuvor erfahren habe, haben wir nun den anstrengendsten Teil des Halbmarathons hinter uns.
Wir laufen nun auf einem Feldweg parallel einer Landstraße entlang und ich kann mich von dem langen Anstieg gut erholen und wieder ein vernünftiges Lauftempo finden. Vorbeifahrende Autofahrer hupen oder jubeln uns aus dem Auto zu. Ich bedanke mich stets artig und bald biegen wir wieder in den Schurwald ab und haben wieder unsere Ruhe. Ich habe eine kleine Läuferschar um mich und passe mich deren Tempo an. Die Strecke ist nun eher wellig und nur ab und zu bremsen mich kleine kurze Anstiege ein. Wir nähern uns dem Ende der ersten Runde und verlassen so etwa bei Kilometer 17 den Wald. Auf einem asphaltierten Wanderweg geht es zurück in Richtung Lichtenwald. Der Wasserturm im Ortsteil Thomashardt ist schon von weitem zu erkennen und wird uns auch später immer wieder als Orientierung dienen.
Schnell bin ich bei Kilometer 20 angekommen und die Halbmarathonis dürfen nun nach links abbiegen und sind dem Ziel schon greifbar nahe. Ich biege nach rechts ab und freue mich auch über das Erreichen der Halbzeit. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich voll im Plan liege und eine Zeit von 5:30 Stunden möglich sein dürfte. Allerdings bin ich plötzlich völlig alleine. Vor und hinter mir ist keine Menschenseele mehr zu sehen. Eigentlich hatte ich von meinen Begleitern mehrere als Marathonis vermutet, aber da habe ich mich wohl getäuscht. Immerhin, ein paar Tauben begleiten mich am Ortsausgang von Thomashardt und es geht wieder zurück in die Natur. Im Wald vernehme ich kurz vor der Halbmarathonmarke hinter mir einen Mitläufer. Ich bin also doch nicht alleine. Klaus Neumann, auch einer der bekannten Vielstarter, läuft mühelos auf mich auf. Er war am Tag zuvor bereits bei Connys „Plain Vanilla“ am Start, doch das merkt man ihm gar nicht an. Wir wechseln kurz ein paar Worte und schon zieht er an mir vorbei. Ich bin wieder alleine. |