Es wird Zeit mein Handy hervorzukramen. Ich starte die Komoot-App. Alles wunderbar. Leiten lasse ich mich durch eine Frauenstimme, die mir den Weg über Kopfhörer ansagt. Allerdings nur über einen Kopfhörer, beim anderen ist wohl der „Gummipoppel“ abhandengekommen. Das Navigieren klappt ganz gut und ich befinde mich irgendwann in Siebenbrunn wieder. Ein Stadtteil, der mir nur vom Namen her bekannt ist, aber so gibt es wenigstens etwas Neues zu sehen. Auf einem Hof erregt eine Sammlung von VW Polos aus den 80er Jahren meine Aufmerksamkeit. Vom Polo GT mit Überrollkäfig bis zum höchst restaurierungsbedürftigen Fahrzeug ist alles dabei. Ich hatte oft von einem Audi 50 geträumt, baugleich mit dem Polo, aber nur schwer zu bekommen. Während ich so vor mich hin sinniere, nähre ich mich dem Lech wieder. Der weitere Weg wird mich wieder zum Kuhsee zurückbringen. Die Stimme in meinem Ohr meldet sich nun immer wieder mit seltsamen Ansagen. Mal ist sie sich nicht ganz sicher, ob ich der Strecke nun 1,1 Kilometer oder nur 300 Meter lang folgen soll. Mal bittet sie mich, umzukehren, was überhaupt keinen Sinn macht. Gut, den Kuhsee werde ich auch so finden.
Ich muss feststellen, dass es inzwischen ganz schön warm geworden ist. Hätte ich doch mal auf das lange Laufunterhemd verzichtet. Das Laufshirt allein hätte genügt. Je länger ich so vor mich hinlaufe bzw. gehe – der Gehanteil überwiegt zugegebenermaßen inzwischen – um so mehr reift in mir der Plan, dass ich mir am Kuhsee ein Bierchen gönnen werde. Die „Schwarze Box“ ist mit Augustiner bestückt. Der Entschluss gibt mir eine Prise Motivation zurück.
Irgendwann fällt mir ein Mountainbike auf, das quer auf meiner Ideallinie steht. Frechheit. Als ich mich nähere fällt mir ein junger Mann auf, der neben dem Fahrrad kniet und mit einer Spiegelreflexkamera, einem kurzen Objektiv und großem Spiegel fotografiert. Wohl ein Spezialist in Sache Makrofotografie. Interessiert verlangsame ich mein eh nicht allzu hohes Tempo und versuche zu erkennen, was es hier wert ist, dass man sich all die Mühe macht. Ich erkenne sein Objekt der Begierde und kann es kaum glauben. Jessi hatte mir einen Tag zuvor noch ein Foto von einer gänzlich grauen Biene gezeigt, die sie auf einer Balkonpflanze entdeckt hat. Eine graue Sandbiene verriet uns das allwissende Google. Hatte ich noch nie gehört und nun hatte ich gleich mehrere Exemplare vor mir. Natürlich musste ich mein Wissen sofort an den Mann bringen und fragte den Fotografen, ob das graue Sandbienen sind. Dass es Sandbienen sind, konnte er mir bestätigen, ob es sich allerdings um „graue“ handelt, konnte er nicht mit Gewissheit beantworten. Dilettant.
Ich schmunzle dank der Begegnung eine Weile vor mich hin und nähere mich langsam, aber sicher dem Kuhsee. Die Dichte an Spaziergängern, Wanderern und Radfahrern nimmt deutlich zu, um so mehr ich mich dem Hochablass nähere. Vor dem Überqueren des Hochablasses muss ich mich erst mal hintenanstellen. Es ist die Hölle los und die gefühlt eintausend Fahrradfahrer kommen kaum aneinander vorbei. An ein Laufen ist hier nicht zu denken und ich schlängle mich durch die Massen auf dem Wehr. Drüben angekommen, klappt mir erst mal der Unterkiefer runter. Beim Anblick der Warteschlange vor der „Schwarzen Box“ berechnet mein geschultes Auge eine ungefähre Wartezeit von 45 Minuten. Auch wenn ich es nicht eilig habe, so viel Zeit hab ich dann doch wieder nicht. Also weiter.
Am Kiosk der Wasserwacht sieht es besser aus. Es stehen nur ein paar Leute an. Bingo. Ich krame mein Geld aus dem Laufrucksack und höre eine Stimme, die mich bittet, doch zur nächsten Luke zu kommen. Der Aufforderung komme ich gerne nach und ziehe eine halbe Minute später zufrieden mit einem Augustiner in der Hand von dannen. Da ich ja beruflich bedingt schon eine gewisse Vorbildfunktion habe, plagt mich auch nur bis zum ersten Schluck das schlechte Gewissen, als ich mich am Rand des Kinderspielplatzes niederlasse, um mich genüsslich meinem Gerstensaft hinzugeben. Das ist tatsächlich der ruhigste Platz am Kuhsee und nicht mal volle Windeln könnten gegen den Gestank der zahlreichen Einweg-Grills anstinken.
Während meiner Rast telefoniere ich kurz mit Silke, die mich gleich durchschaute, da mein Punkt auf ihrer Ortungsapp seit geraumer Zeit Stillstand anzeigt. Da sie jedoch erkennen konnte, dass sich ein Kiosk in meiner Nähe befindet, war sie beruhigt. Ich mach mich weiter auf den Weg und kurz darauf vibriert meine Laufuhr. Sie zeigt an, dass der Akku fast leer ist und schaltet auf den Energiesparmodus. Ich kann nun nichts mehr erkennen. Keine Zeit- und keine Kilometerangaben mehr. Hoffentlich hält sie bis zum Ende durch. Doch zuverlässig brummt sie nach jedem Kilometer, den ich zurückgelegt habe. Es zieht sich jetzt gewaltig. Mein Vorteil ist aber, dass ich mich auskenne und so den Fortschritt gut abschätzen kann. Nach einer Runde um den Auensee nähere ich mich wieder dem Weitmannsee. Die Stimme im Ohr, will mich zum Ende hin noch etwas ärgern und will mich zurückschicken. Nicht mit mir. Ein kurzer Zupfer am Kabel und Frau Komoot verstummt für die letzten Kilometer.
Am Parkplatz des Weitmannsees entdecke ich Judith, Andreas und Bernie, die offensichtlich auf mich warten. Ich signalisiere, dass ich noch kurz meine finale Runde um den See drehen werde und gleich da bin. Jetzt packt mich nochmal der Ehrgeiz und ich laufe die ganze Runde, um schließlich an der großen Hinweistafel des Sees abzuklatschen. Das Ziel ist erreicht. Mein erster Marathon nach zweieinhalb Jahren liegt nun hinter mir. Das Glücksgefühl will sich noch nicht recht einstellen. Meine drei Lauffreunde gratulieren mir zum Finish und ich bin schon ein bisschen stolz. Ich hol mir am Kiosk der Weitmannsee-Gaststätte ein zweites Augustiner und ja, ich lasse mich wieder am Rand des Kinderspielplatzes nieder. Die Beine sind ordentlich schwer. Ich bin müde. Waren die Marathons früher auch schon so lange? Ich kann mich nicht erinnern. Aber eines ist klar, schon lange habe ich mir kein Bier mehr so verdient, wie dieses.
Danke Bernie, für die Organisation und auch für das Verständnis, dass ich am Ende ein paar Meter zu wenig auf der Uhr hatte, da mich Herr Garmin und Frau Komoot auf der Strecke im Stich ließen. Danke auch einfach dafür, dass ich wieder dabei sein durfte. Für mich ist das inzwischen nicht mehr selbstverständlich. Aber wie schon am Anfang erwähnt, ich bin zuversichtlich und werde weiter bemüht sein, meine Form zu verbessern, damit ich irgendwann auch wieder einen Marathon durchlaufen kann. |