Anfang des Jahres begann ich mir darüber Gedanken zu machen, was ich in diesem Jahr alles laufen kann und will. Ich fasste dabei den Entschluss wieder mehrere Halbmarathons ins Laufjahr einzubauen, um so über Kurz oder Lang wieder zu einer vernünftigen Marathonform zu kommen.
Was vor gut 20 Jahren geklappt hat, sollte doch auch jetzt wieder möglich sein. Beim Stöbern fiel mein Augenmerk auf den Gebirgstäler Halbmarathon in Oberstdorf. Diese Laufveranstaltung ist noch älter als meine Laufkariere und wird in diesem Jahr bereits zum 21sten Mal ausgetragen. Veranstalter ist inzwischen ein alter, aber immer noch junggebliebener und geschätzter Bekannter. Axel Reusch ist für die Organisation verantwortlich. Das war für mich ein weiterer Grund mal wieder ins Allgäu zu fahren.
Ich muss auch gleich vorwegnehmen, dass es in diesem Bericht nur wenige Fotos geben wird, da ich tatsächlich ohne Kamera gelaufen bin. Bei einem Halbmarathon war ich bisher noch immer ohne unterwegs. Ein Fehler, wie sich heute herausstellen sollte. Die Landschaft um mich herum, war traumhaft schön, weshalb ich mich auch entschlossen habe einen Bericht über diese tolle Veranstaltung zu schreiben. Am frühen Sonntagmorgen machte ich mich also auf den Weg nach Oberstdorf. Auf den noch verwaisten Straßen war die Anfahrt in gut anderthalb Stunden erledigt.
Veranstaltungsgelände ist das Nordic Zentrum in Oberstdorf. Eine Anlage, die sich auch hervorragend für Laufveranstaltungen eignet und ein prima Ambiente bietet. Der großzügige Parkplatz des Nordic Zentrums steht heute allen Teilnehmern kostenlos zur Verfügung. Im Winter kann man im und ums Nordic Zentrum „auf den Spuren der Weltmeister“, wie es in der Beschreibung der Anlage heißt, die Original-Loipen der Nordischen Ski-Weltmeisterschaft von 2021 testen. Dafür werden Loipen von unterschiedlicher Länge und auch unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad gespurt. Schnee sehen wir heute nur auf den höheren Bergen, die uns umgeben, auch wenn es morgens um neun Uhr mit gut sechs Grad noch etwas frisch ist. Zum Laufen sind diese Temperaturen aber angenehm.
Ich hole erst Mal meine Startnummer ab, bekomme auch eine neue Kappe, ähnlich wie beim Allgäu Panorama Marathon, nur schöner, wie ich finde. Dann mache ich mich auch gleich auf die Suche nach Axel und werde auch schnell fündig. Im Start- und Zielbereich ist er fleißig zugange und verteilt souverän Aufgaben an die vielen Helfer. Axel hat alles im Griff und man merkt ihm seine Erfahrung natürlich inzwischen an. So findet er auch noch Zeit für ein paar Worte. Wir freuen uns jedenfalls über das Wiedersehen und ich verspreche, dass ich nächstes Jahr auch beim APM wieder zu sehen sein werde.
Danach mache ich mich wieder auf den Rückweg zum Auto, um mich langsam, aber sicher für den Lauf fertig zu machen. Ich entscheide mich für ein langes Laufunterhemd, Laufshirt und eine ärmellose Regenjacke. Es hängen tatsächlich ein paar dunkle Wolken über dem Allgäu. Ob es trocken bleibt, kann nicht einmal Wettergott Axel gesichert beantworten. Da hat wohl einer seine Hausaufgaben nicht gemacht.
Ein Novum für mich ist der Start des Halbmarathons. Traditionell starten die Frauen eine viertel Stunde vor den Männern. Der frühere Veranstalter wollte so sicherstellen, dass der 1. Mann und die 1. Frau ungefähr zeitgleich ins Ziel kommen. Eine Idee, die ich nachvollziehen kann. Allerdings hat es für mich den Nachteil, dass es paar wenige Läufer bzw. in diesem Fall Läuferinnen sein werden, die nach mir das Ziel erreichen könnten. Egal, meine Einstellung zu solchen Läufen hat sich in all den Jahren nicht geändert. Genießen und Spaß haben. In dieser herrlichen Gegend sollte das ja nicht schwerfallen, auch wenn der Halbmarathon mit rund 400 Höhenmetern mit Sicherheit nicht zu den einfacheren Läufen zählen wird. Ein oder zwei Läufer will ich aber im Ziel schon hinter mir wissen. So viel Ehrgeiz muss dann doch sein.
Der Start erfolgt also pünktlich um 09:45 Uhr. Die Mädels sind bereits seit einer viertel Stunde unterwegs und so stehe ich gemeinsam mit rund 200 Mitläufern am Start. Eine junge Frau hat sich doch in unser Starterfeld gemogelt, wie ich feststellen kann, aber auch sie wird letztendlich mit meiner Einlaufplatzierung nichts zu tun haben. Wir traben also gemütlich los und sortieren uns erst Mal bei unserer Runde durch das Nordic Zentrum. Für mich heißt das, dass ich mich erst mal ziemlich weit hinten im Feld wiederfinde und das ist auch gut so. Wir haben einen Anlauf von gut einem Kilometer, bis es die ersten Höhenmeter zu erklimmen gilt. Anfangs laufe ich den Anstieg noch gemütlich hoch, stelle aber bald fest, dass ich nicht nur Höhenmeter, sondern auch Pulsschläge sammle.
Vorsichtig scanne ich das Feld um mich herum ab. Es will einfach keiner gehen und der erste will ich auch nicht sein. Endlich fasst sich Florian, mit dem ich später ein paar gemeinsame Kilometer laufen werde, ein Herz und läutet die erste Gehpause ein. Scheinbar habe nicht nur ich darauf gewartet und es verfallen immer mehr Läufer ins Gehen.
Wir laufen nun durch das Trettachtal in Richtung Spielmannsau, wo sich nach sieben Kilometern auch der Wendepunkt befinden wird. Gefühlt geht es auf diesen sieben Kilometern nur bergauf, weshalb ich immer wieder mal gehen werde. Ich erkläre Florian, dass ich aus dem Raum Augsburg komme und das Trainieren von Höhenmeter bei uns kaum möglich ist. Florian akzeptiert meine Erklärung und entgegnet, dass er von Beruf Gebirgsjäger sei und es ihm nun schon etwas peinlich sei, das auch er gehen muss. Alles gut, das Verhältnis zwischen uns passt und bis Spielmannsau bleiben wir zusammen und haben jede Menge Spaß.
Es geht durch Wälder, auf freiem Feld haben wir einen tollen Blick auf die Alpen. Wir laufen an Kuh- und Ziegenweiden vorbei und auch die Sonne lässt sich ab und zu sehen. Mir geht es mit jedem Schritt besser. Es ist ein Traum hier zu laufen, nur dass ich meine Kamera im Auto liegen ließ, trübt etwas meine Freude. Egal, ich laufe vor mich hin und genieße einfach, dass ich hier laufen darf. Florian und ich erreichen gemeinsam den Wendepunkt und werden von zwei netten Helferinnen angefeuert, die Obacht geben, damit wirklich jeder um die Pylone läuft, die den Wendepunkt markiert. Gut einen Kilometer geht es nun auf selbiger Strecke zurück und ich kann ganz gut durchzählen, wie viele Mitläufer noch hinter uns sind. Die fünf Finger meiner linken Hand reichen beim Zählen aus. Es sind exakt fünf Läufer, also alles gut und ich brauche mir über den Kampf um die rote Laterne jetzt schon keine Gedanken mehr machen.
Schließlich biegen wir nach rechts in ein Waldstück ab und ich lasse Florian kurz davonziehen. Ich habe das dringende Anliegen einen Baum zu markieren. Florian ist nun gut 100 Meter vor mir. Einen Abstand, den wir für den Rest des Laufes beibehalten werden, nicht aber ohne immer wieder mal Blickkontakt aufzunehmen und zu signalisieren, dass alles in Ordnung ist. Für mich ist jetzt alles mehr als in Ordnung. Erleichtert kann ich mich nun den Trails, die vor mir liegen und langsam wieder nach unten führen, widmen. Vor lauter Freude lege ich nun den vor mir liegenden Kilometer in einem 6:10‘er Schnitt zurück, ohne dass es mir große Mühe bereitet.
Als wir dieses Stück hinter uns lassen, laufen wir weiter durch das Oytal überwiegend auf breiten Wanderwegen und auch überwiegend bergab. Gelegentlich kommen uns nun Wanderer entgegen, die wissend applaudieren. Auch von den Balkonen der Ferienhäuser, die den Weg säumen, werden wir angefeuert. Gelegentlich kommt auf der weiteren Strecke noch ein giftiger Anstieg, den ich wieder gehen muss, aber überwiegend ist es gut zu laufen. Gebirgsbäche rauschen neben mir und auch wenn ich die zurückgelegten Höhen- bzw. Kilometer schon in den Beinen merke, bin ich noch immer bester Laune.
Es geht vorbei am Moorweiher und Oberstdorf ist somit auch nicht mehr weit. Kurz darauf kann ich auch schon die Stimme von Hannes Nägele vernehmen, der den Zieleinlauf moderiert. Ich kann zwischen Bäumen auch schon das Nordic Zentrum erkennen. Klar einfach nur noch zwei Kilometer bergab und ich bin da, aber ich hatte die Rechnung ohne die Streckenplaner gemacht und so hatten wir noch einen letzten, aber heftigen Anstieg vor uns. Florian hatte vor mir sichtlich zu kämpfen und auch ich konnte nicht wirklich Meter auf ihn gut machen. Belohnt wurden wir für diese Strapazen mit einem längeren Bergablauf, so dass man sich etwas erholen und beim Zieleinlauf gut aussehen konnte.
Hannes kündigte meinen Zieleinlauf mit ein paar Hintergrundinformationen zu meiner längeren Laufabstinenz an und ich überquerte nach einer letzten Ehrenrunde durch die Anlage die Ziellinie. Axel hängte mir noch eine Medaille um und entschuldigte sich, dass er beim Einlauf gerade anderweitig beschäftigt war. Kein Problem, war auch nicht meine erste Medaille, die ich von Axel bekommen habe. Es war aber mit Sicherheit auch nicht die letzte. Neben dem APM gibt es für mich ja jetzt einen weiteren Grund ins Allgäu zu kommen. |