Der neue Trend bei den MOUNTAINMAN-Events nennt sich XXL. Gemeint sind damit Ultra-Distanzen im Bereich von 70 Kilometern. Nachdem im Oktober erstmals eine XXL-Strecke zum Anlass der Deutschen Ultratrail Meisterschaft in Reit im Winkl ins Programm aufgenommen wurde, zieht auch der MOUNTAINMAN Nesselwang nach.
Der Run auf die Startnummern für Nesselwang war gewaltig, bereits Anfang April waren alle 1.500 Startplätze restlos ausgebucht. Zudem sollen noch 500 Personen auf der Warteliste stehen. Die Daten der neuen XXL sind äußerst beeindruckend, 70 km und fast 4.000 Höhenmeter sind zu bewältigen. Passend dazu ist er auch auf 70 Wagemutige limitiert. Der Kurs führt zunächst wie alle anderen Strecken über den Wasserfallweg. Auf der bekannten XL-Stecke weiter zur Kappeler Alp und nach Kappel. Hier trennen sich die Wege, es geht weiter in den Nachbarort Pfronten und über den Breitenberg und das Vilstal auf dem Edelsberg, wo sie sich wieder mit der XL- und L-Strecke vereint und gemeinsam über einige weitere Gipfel zurück nach Nesselwang führt.
Genau mein Ding …aber leider ein paar Jährchen zu spät für mich. Das Zeitlimit von 14 Stunden ist für mich im gehobenen Alter kaum mehr zu schaffen, so wähle ich lieber wieder die XL mit immerhin auch noch beachtlichen etwa 43 km und 2.700 Höhenmetern. Insgesamt werden bei der siebten Ausgabe sieben unterschiedliche Distanzen angeboten, bis runter zum ebenfalls erstmals ausgetragenen Familiy-Trail mit 5 km, der für Kids mit Eltern ausgeschrieben ist. Da gibt’s eigentlich für niemanden eine Ausrede, nicht daran teilzunehmen. Start und Ziel sind wie gewohnt am Trendsportzentrum in Nesselwang. Der erste Startschuss fällt um 6 Uhr für die Ultratrail-Läuferinnen und -Läufer mit Zielschluss um 20 Uhr. Dadurch gibt es auch teilweise für kürzere Distanzen heuer längere Zeitlimits. Im Falle der XL-Strecke verlängert sich der Cut-off von bisher 10 auf 12 Stunden.
Erstmals verbringe ich ein ganzes Wochenende im Allgäu, wo ich mich mit Lauffreund Axel aus dem Schwabenland verabredet habe. Früher haben wir uns oft auf Veranstaltungen getroffen, mittlerweile sind die Treffen rarer geworden, das wollen wir wieder einmal auffrischen. Das ermöglicht uns auch am Freitagabend das PreRace-Info & Get together in der Alpspitzhalle aufzusuchen, hier bekommen wir die letzten Infos zum morgigen Start.
Das Briefing ist für Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht verpflichtend. Trotzdem ist der Saal gut gefüllt. Die aktuellen Meldungen der Bergwacht, vor allem Wetterinfos, verschaffen aber zumindest mir die Gewissheit, welche Klamotten ich morgen tragen werde. Die Infoseite mit den Wetterdaten der vergangenen Austragungen ist für mich hingegen nicht neu, ich war ja fast immer am Start und kann mich noch bestens an viel schlechtes Wetter und noch einschneidender an viel, viel Schlamm erinnern. Das sieht für den morgigen Raceday doch deutlich positiver aus. Mit viel Regen oder auch Sturm ist nicht zu rechnen.
So ist es dann auch am Samstagmorgen. Überraschend sogar ganz das Gegenteil ist der Fall, mit blauem Himmel werden wir am Trendsportzentrum zum Start des XL empfangen. Das gab‘s noch nie. Zwar ist es bei einstelligen Temperatur-Graden noch etwas kühl und es werden auch nur niedrige zweistellige Werte im Laufe des Tages erreicht werden, zum Laufen aber bestimmt ideal, auch wenn es für mich persönlich doch noch etwas wärmer sein könnte. Aber, man kann ja nicht alles haben.
Als idealer Startort erweist sich wie immer das Trendsportzentrum. Genauer genommen ist es der Trainingsstützpunkt der Allgäuer Biathleten, ab dem 11. Lebensjahr können hier Kinder mit dem Biathlon beginnen. So berühmte Namen wie Michael Greis oder aktuell Philipp Nawrath haben in Nesselwang ihre Karrieren begonnen. Aber auch Touristen oder Interessierte können sich nach Voranmeldung in der Tourist-Information jeden Donnerstag zu einem Schnuppertraining anmelden. Des Weiteren wird auf der Sportanlage noch Bogenschießen auf einem 3D-Kurs und Blasrohrschießen auf Dartsscheiben angeboten.
Mein erster Besuch gilt natürlich wie immer den Moderatoren am Micro. Rudi und Stephan haben heute einen langen Tag vor sich, nicht nur wir Langstreckler*innen benötigen Durchhaltevermögen. Über die vielen Stunden Starts und jeden einzelnen Zieleinlauf zu moderieren, unterlegt mit einer abwechslungsreichen Musikauswahl, dazu noch Interviews, nötigt mir großen Respekt ab. Sie erledigen ihren Job aber immer mit Bravour, wie ich schon oft miterleben durfte.
Heuer gibt es erstmals mehrere Startgruppen, um den Start etwas zu entzerren, auf dem gleich im Anschluss der erste Anstieg folgt und an welchen es immer wieder Stauungen gab. Um in die Startaufstellung zu gelangen, muss man erstmal durch die Rucksackkontrolle, stichprobenartig wird die Pflichtausrüstung kontrolliert. Handy ist sehr wichtig und daher auch Pflicht und muss vorgezeigt werden. Ein Ausstieg während des Rennens, muss der Rennleitung gemeldet werden, um eine Suchaktion zu vermeiden.
Um 8 Uhr steigt der Nebel auf. Jutta steht mit der großen Mountainman-Glocke bereit. Stephan zählt von 5 runter und los geht’s. Auf 200 Trailrunner*innen ist der XL limitiert, das beinhaltet auch noch eine gewisse Anzahl mit Hunden, die müssen sich aber noch eine halbe Stunde gedulden, bis sie uns folgen dürfen. Für mich überraschend sind es meist Mädels, die mit ihren Fellnasen unterwegs sind. Das männliche Geschlecht ist hier schwer in der Unterzahl und das in allen angebotenen Distanzen.
Nach vierhundert Metern sind wir auch schon am berüchtigten Hohlweg. Für mich ist er jedesmal ein Indikator, wie es auf der gesamten Strecke aussehen wird. Bei den bisherigen Austragungen mussten wir uns in den ausgewaschenen Rinnen erstmal einen Weg durch tiefen Schlamm suchen. Mit Ästen und Zweigen hat man den Weg letztens einmal aufgefüllt, ich vermute, um den Schlamm etwas zu binden. Aber was ist da heute los? Kein Schlamm und das ganze Geäst liegt knochentrocken auf dem Weg verteilt, wie Strandgut am Nordseestrand. Man muss jetzt aufpassen, nicht über einen Ast zu stolpern. Das gab’s noch nie. So ist der Weg doch relativ einfach zu bewältigen. Nach einem knappen Kilometer hat der Spuk wieder sein Ende, auf dem Maria-Trost-Kreuzweg geht es abwärts.
Nach gut 2 km wartet der berühmte Wasserfallweg auf uns, normalerweise ein optischer Höhepunkt und ein Aushängeschild des Events. Aber ich traue kaum meinen Augen. Heute kann er seinem Ruf nicht gerecht werden, nur als kleines Rinnsal plätschert der Schloßbächel von oben herunter. Das gab’s noch nie. Es ist schon sehr traurig mitanzusehen, was die monatelange Trockenheit in der Natur angerichtet hat. Spontan wünsche ich mir einen längeren Regenabschnitt. Natürlich nicht jetzt und heute, aber in den nächsten Tagen und Wochen um den Schloßbächel wieder etwas mit Wasser zu speisen.
600 Stufen aus Stahl und Holz weist der Wasserfallweg auf, der Einstieg führt uns gleich auf die längste Stahlgittertreppe. Weitere Treppen, Stege, Brücken, Holzstufen und kurze Pfade wechseln sich ab, so schrauben wir uns abwechslungsreich nach oben. Leichter macht es das natürlich nicht, der 2,5 km lange Aufstieg beinhaltet immerhin satte 500 Höhenmeter. Umdrehen und die Aussicht auf das Voralpenland genießen, ist an einer Freifläche angesagt. Das war bisher nur selten möglich. Über viele Wurzeln von abgeholzten Bäumen, Gebüschen und nachwachsenden kleinen Bäumchen erreichen wir nach der Lichtung den Wurzelpfad. Auch dieser windet sich wieder sehr steil nach oben. Unterbrochen wird er von einem querenden Wirtschaftsweg, welchem der XL-Kurs in den letzten Jahren immer nach links folgte. Das hat man geändert, was uns zusätzliche 50 Höhenmeter einbringt. Ich bin froh, beim Briefing gut aufgepasst zu haben, vermutlich wäre ich sonst aus Gewohnheit der Straße gefolgt.
Nach einem kurzen Restabschnitt des Wurzelpfades landen wir auf Höhe des Sportheim Böck, hier folgt der XL und XXL-Kurs einem weiteren Schotterweg nach links, während alle weiteren Strecken geradeaus weiterlaufen. Wir folgen dem Weg bis zum Transit Tower der Zipline AlpspitzKICK, wo wir wieder auf den früheren Streckenabschnitt treffen. In langgezogenen Serpentinen geht es nun abwärts bis zur Wallfahrtskirche Maria Trost. Kurz vorher ist unser Downhill beendet, wir biegen nach rechts in einen schönen, wieder mit vielen Holzstufen abgestützten Pfad, der uns im Wald wieder aufwärts bis zur Kappeler Alp führt. Nach 8,5 km wartet die erste Verpflegungsstation auf uns. Ich genehmige mir jetzt ein leckeres Stück Kuchen als zweites Frühstück. Leider gibt’s kein Warmgetränk dazu.
Die Kappeler Alp liegt auf 1.350 Meter auf dem östlichen Teil des Edelsberg, der Aussichtspunkt wird auch gerne Balkon vom Allgäu genannt und das kann ich ganz gut nachvollziehen. Etwas weiter vorne ist auf einem Wiesenbuckel ein großes Holzkreuz errichtet, welches ein wenig Gipfelgefühl aufkommen lässt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Gipfel markiert. Einmalig ist aber definitiv von hier der von Chefin Jutta, oft erwähnte Neuschwansteinblick, dazu die Aussicht über das gesamte Pfrontener Tal und die Allgäuer und Ammergauer Alpen.
Für uns geht es in ausgetretenen Pfaden über einen Wiesenrücken wieder runter. Normalerweise packe ich hier immer meine Stöcke aus, da die Wiesen ausnahmslos immer sehr nass waren und dadurch der oft steile Abstieg nicht ungefährlich war. Bei „war“, liegt heute die Betonung, die Spuren und Wiesen sind so trocken, dass das hinfällig ist. Ich lasse meine Stöcke vorerst noch im Köcher. Etwas weiter unten durchqueren wir eine kurze Passage, die immer besonders morastig war und daher auch mit Holzplanken ausgelegt ist. Heute kann man locker in der Wiese vorbeitraben, ohne Angst zu haben, nasse Füße zu bekommen. Das gab’s noch nie. |