Eigentlich braucht es nicht viel, um einen Marathon zu veranstalten. Einen großzügigen Carport, zwei Eimer und etwas grüne Farbe, das sollte genügen. Andreas Brey aus dem oberpfälzischen Duggendorf hat mit diesem minimalistischen Aufwand jedenfalls Erfolg. Das Starterfeld musste er in diesem Jahr beim „Naabtal-50-Ultralauf“ von dreißig auf fünfundvierzig Teilnehmer aufstocken. Etwas mehr bietet er aber dann schon, nämlich reichlich Kuchen, Tee und Kaffee. Dafür zeigt sich Andreas' Frau Kristina verantwortlich, wobei auch einige Teilnehmerinnen mit ihren Kuchenplatten einlaufen. Es ist also für alles gesorgt.
Gestartet wird die 16. Austragung des „Naabtal-50-Ultralaufs“ um neun Uhr, was für mich heißt, um 05.30 Uhr scheucht mich der Wecker aus dem Bett. Eine ziemlich unwirtliche Zeit für mich. Am Vorabend habe ich aber alles so weit vorbereitet, dass ich pünktlich um sechs Uhr losfahren kann. Im Auto gibt's einen Becher Kaffee zum Wachwerden. Unterwegs wurde ich für das frühe Aufstehen belohnt, denn auf Höhe Mainburg geht die Sonne über der Hallertau auf. Das Morgenrot ist so kräftig, dass man meinen könnte, der Himmel hinter den Hopfenplantagen brennt. Ich kann mich schier nicht sattsehen, brauche dem Straßenverkehr aber auch nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken, denn es findet am Sonntagmorgen noch keiner statt.
Kurz vor acht Uhr parke ich am Sportplatz in Duggendorf ein. Übrigens bin ich wirklich in Duggendorf und nicht in Deggendorf. Bei Nachfragen, wo ich denn am Wochenende laufe, wurde sicherheitshalber immer nachgefragt: „Meinst Du nicht Deggendorf?“ Nein, ich meine Duggendorf, selbst meinem Navi musste ich das erklären. Gut, Duggendorf ist ein Dorf mit etwas über 1.500 Einwohnern und liegt ca. 21 Kilometer nordwestlich von Regensburg in selbigem Landkreis. Urkundlich erwähnt wurde Duggendorf erstmals 1270, nachdem es bereits im Jahr 1000 als Tutindorf in Erscheinung trat. Es folgten die Schreibweisen Tukendorf, Tukkendorf und Tugkendorff bevor 1665 letztendlich die jetzige Schreibweise Duggendorf folgte.
Ich schaue auf den mit Raureif überzogenen Fußballplatz, der verwaist vor mir liegt und mache mir erste Gedanken, ob ich denn auch die richtigen Klamotten eingepackt habe. Ich steige erst mal aus und stelle ziemlich schnell fest, dass es lausig kalt ist und steige daher auch gleich wieder ein. Kurz darauf kommen weitere Läufer, die meinen Eindruck bestätigen. Udo Pitsch parkt ebenfalls ein, auch er ist der Meinung, dass es ziemlich frisch ist. Ich habe Wechselklamotten für die zweite Runde eingepackt. Als ich mich auf den Weg zu Andreas' Carport mache, habe ich alle vier Lagen an. Auch Handschuhe hatte ich in weiser Voraussicht in der Sporttasche, die ich nun im Kofferraum lasse, denn was drin war, habe ich quasi an.
Von den 45 gemeldeten Läufern sind nahezu alle anwesend. Es sind nur wenige Debütanten dabei, so dass Andreas kein Problem hat, mich zu identifizieren. Wir begrüßen uns, stellen uns kurz vor und es passt auf Anhieb. Überhaupt ist die ganze Truppe sehr sympathisch. Die Stimmung ist ausgelassen, man kennt sich. Bei mir beschränken sich die bekannten Gesichter (noch) auf Udo und Roland. Da es sich um einen Spendenlauf für den Verein krebskranker Kinder Ostbayern handelt, stecke ich noch schnell einen Schein in die Spendenbox, bevor ich mir einen heißen Kaffee einschenke. Am Ende sollen es übrigens 800 Euro sein, die so zusammengekommen sind. Eine ordentliche Summe, wie ich finde.
Nun wird es aber langsam Zeit loszulaufen. Der Start ist mit dem ersten der beiden Eimer markiert. Nach einer Ansprache lässt uns Andreas etwas früher auf die Strecke. Diese erklärt er uns Neulingen noch kurz. Bei ihm geht es den Berg runter, dann über die Staatsstraße und über die Brücke. Danach rechts weg, immer an der Naab entlang und nach 10,5 Kilometern am grünen Punkt (dafür braucht's die Farbe) wenden und auf gleicher Strecke zurück zum Carport. Die Strecke laufen die Marathonis zweimal und ich komme mir gerade ziemlich doof vor, habe ich von Andreas zuvor noch um eine GPX-Datei gebeten, damit ich mich nicht verlaufe. Er ist die Strecke extra noch geradelt, um für mich den Weg aufzuzeichnen. Schon etwas peinlich. Aber jetzt habe ich die Datei auf der Uhr und dann nutze ich sie auch.
Es geht also los. Mit leicht steifgefroren Gliedern stürzen wir uns die ersten hundert Meter den Berg hinunter. Ich habe nur eine ¾-Hose an und ziemlich kalte Wadl. Aber was anderes blieb mir nicht, meine Wadl sind mit ein paar Stichen frisch genäht, eine lange Hose ist also nicht drin. Vorsicht müssen wir beim Überqueren der Staatsstraße erst mal nicht walten lassen. Das einzige Auto weit und breit hält angesichts der laufenden Meute freiwillig an. Kurz darauf überqueren wir auf der Brücke die Naab. Diese ist tatsächlich größer, als ich sie mir vorgestellt habe. Sie ist ein Nebenfluss der Donau und entsteht bei Weiden aus dem Zusammenfluss von Waldnaab und Haidenaab. Bei Regensburg fließt die Naab schließlich in die Donau. Ab nun laufen wir immer an der Naab entlang bis zu besagtem Wendepunkt. Was sich am Anfang etwas langweilig anhört, ist es am Ende aber gar nicht.
Bunte Herbstwälder auf den Hügeln um uns herum machen das Laufen kurzweilig. Mein Blick wandert auch immer wieder zur Naab. Sie fließt entspannt vor sich hin und ich lasse mich anstecken. Mein Tempo ist auch eher gechillt. Dass Udo hinter mir ist, beruhigt etwas. Nach rund fünf Kilometern erreiche ich Pielenhofen. Die Wadl sind inzwischen warm, meine vier Lagen vertrage ich aber immer noch gut. Auf der anderen Seite der Naab zieht das Kloster Pielenhofen meine Blicke auf sich. Zunächst werde ich aber noch etwas abgelenkt. In Blickrichtung Kloster befindet sich eine kleine Kiesbucht. Dort stehen vier Damen mit einem Kinderwagen. Drei von ihnen waren gerade dabei sich zu entkleiden. Damit nun niemand falsche Bilder im Kopf hat, bei den Badeanzügen ist Schluss. Vielmehr bin ich beeindruckt was anschließend passiert. Ohne zu zögern, waten die drei in die Naab und schwimmen eine Runde. Es hat immer noch Temperaturen um den Gefrierpunkt. Nur gut, dass sie nicht sehen können, dass ich immer noch meine Laufhandschuhe trage.
Das Kloster Pielenhofen, das teilweise eingerüstet ist, stammt aus dem 13. Jahrhundert. Nicht verwunderlich, dass hier und da etwas ausgebessert werden muss. Im Jahre 1912 musste das Kloster als höhere Mädchenschule mit Internat herhalten. Während des zweiten Weltkriegs wurden hier Kinder untergebracht, angeblich um sie vor Bombenangriffen zu schützen. Tatsächlich wollten die Nazis die Kinder dort drillen. Das Ganze war Teil der Hitlerjugend. Erfreulicher verlief die Zeit nach dem Krieg. Ein Mädchengymnasium wich den Regensburger Domspatzen und heute findet man dort eine Real- und Fachoberschule.
Nach gut einem Kilometer erreiche ich die Ortsmitte von Pielenhofen. Udo ist knapp hinter mir. Er stoppt aber kurz, denn am Straßenrand steht eine Kiste mit Eigenverpflegung. Ich habe meine Getränke im Rucksack dabei. Kurze Zeit später überholt Udo mich dennoch und bietet mir an, dass ich mich auf dem Rückweg gerne an seiner Thermoskanne bedienen kann. Warmer Tee ist dann sicherlich nicht schlecht, denn mein Eistee macht seinem Namen auch alle Ehre. Mit Udo in Sichtweite erreiche ich das Ortsende von Pielenhofen. Das nächste Ziel ist Distelhausen.
Apropos Ziel. Mein Ziel ist heute möglichst den Halbmarathon vernünftig durchzulaufen und auf der zweiten Runde zu marschieren und zwischendurch ein paar kleine Laufeinheiten einzulegen. Andreas fragte zu Beginn noch nach meiner gewünschten Zielzeit, die ich mit sieben Stunden angab. Etwas Luft wollte ich ja doch haben. Distelhausen bleibt mir vor allem wegen seines großen Campingplatzes in Erinnerung. Das Campen ist jetzt nicht gerade meine Welt und ich mache mir über die zahlreichen Fahnen, die über den Wohnwägen wehen, keine Gedanken. Bayernflaggen – logisch. FC Bayern und 1860 München – klar. Langhaarige Katze – eher seltsam. Dass das lebende Pendant vermutlich auch mit im Wohnwagen haust, ist mehr als wahrscheinlich.
Weiter geht es in Richtung des Weilers Deckelstein. Es gibt über den kleinen Weiler zwei interessante Fakten. Zum einen ist es gut 108 Kilometer von München entfernt und zum anderen ist es gut 397 Kilometer von Berlin entfernt. Für mich heißt das, ich bin nicht mehr weit vom Wendepunkt entfernt. Ich laufe wieder an schönen herbstlichen Wäldern vorbei, teilweise auch hindurch. Natürlich kommen mir auch schon wieder einige Läufer und Läuferinnen entgegen. Man grüßt, winkt. Es macht richtig Spaß. Irgendwann kommt mir auch Udo entgegen. „Gleich da um die Kurve ist der Wendepunkt.“, verkündet er. Ich freue mich, zum einen, dass der Wendepunkt so gut wie erreicht ist, zum anderen, dass Udo gar nicht so weit weg ist.
Auf dem Rückweg entdecke ich zwar nichts Neues, komme aber gut voran und kann das Laufen genießen. Immer wieder begegne ich Läufern, ob sie jedoch die 30 km, den Marathon oder den Ultra laufen, kann man am Tempo nicht unbedingt festmachen. Gitte Frenzel fällt mir dabei ganz besonders auf. Nicht nur der tolle Laufstil, sondern auch das enorme Tempo. Dabei wirkt sie mehr als locker und hat immer ein Lächeln auf den Lippen. Am Ende wird sie mit 3:32 Stunden im Ziel sein. Nur knapp eine halbe Stunde nachdem ich die zweite Runde in Angriff nehme. Aber bis dahin habe ich noch etwas vor mir. Kurz bevor ich die Brücke über die Naab erreiche, kommt mir Udo entgegen. Der Abstand ist also noch akzeptabel. Roland ist schon lange vorbei. Ich plage mich noch die letzten paar Meter zu Andreas' Carport hinauf und lasse mich erst mal auf einen Kuchen und einen Kaffee nieder. Ich habe mein erstes Ziel erreicht. Den Rest werde ich entspannt angehen lassen.
Während ich vor meinem Kaffee sitze, trudeln immer wieder Finisher der unterschiedlichsten Distanzen ein und bekommen ihre tolle Medaille überreicht. Greppi nicht, meint Andreas, der muss noch eine. Muss ich nicht, will ich aber. Glaub ich zumindest. Und so mache ich mich auf in die zweite Runde. Anfangs laufe ich noch, es geht noch etwas, bis ich letztendlich ins Marschieren verfalle. Dabei fallen mir auf dem Hinweg andere Dinge auf, wie auf der ersten Runde. Es stehen auf dem Weg nach Distelhausen unwahrscheinlich viele Bänke. In Pielenhofen gibt es sogar einen „Bankerl Entdeckungspfad“. Auf dem Rückweg lass ich deshalb meine alte Tradition wieder aufleben, das „Banking“. Auf jeder Bank, an der ich vorbeikomme, lasse ich mich für exakt 30 Sekunden nieder, dann geht es weiter.
Der Entdeckungspfad ist in Pielenhofen. Es steht leider nur ein Bankerl direkt an der Strecke, und zwar das Segensbankerl. Ich warte geschlagene 30 Sekunden auf den Segen für frische Beine, aber er kommt nicht. Die weiteren im Ort zu suchen, erspare ich mir, ich habe ja genügend andere zur Auswahl und bringen tut's eh nix. Trotz oder gerade wegen des „Bankings“ komme ich gut voran. Ich habe noch zwei oder drei Bänke vor mir und stelle fest, dass es mit den angekündigten sieben Stunden langsam knapp wird. Irgendwie kam ich mir schneller vor. Vielleicht waren es gesamt doch zu viele Bänke. Jetzt heißt es, die Arschbacken zusammenzukneifen und nochmal Gas geben. Die letzten Bänke lasse ich dennoch nicht aus, zehn Sekunden müssen aber reichen. Ich staune, was noch so in mir drinsteckt, vielleicht doch ein bisschen Segen und ich erreiche gut fünf Minuten zu früh das Ziel. Im Carport sitzt Andreas und freut sich, dass ich komme. Ich bin der Letzte, das ist klar, aber ich freue mich trotzdem. Kristina kommt auch aus dem Haus und wir lassen uns noch gemütlich nieder, ich mit meiner Medaille um den Hals.
Nach einem kurzweiligen Gespräch und einem warmen Tee wird es doch Zeit mich auf den Nachhauseweg zu machen. Ich fülle mir meinen Becher nochmal mit Tee und Kristina will mir unbedingt noch etwas Kuchen einpacken. Es wurde dann doch eher eine gemischte Kuchenplatte, an der auch Silke und Jessi ihre Freude hatten. Hinter mir lag ein Lauf, der mir richtig Spaß gemacht hat. Wie schon erwähnt, die Stimmung war super, die Landschaft schön und die Organisation war perfekt. Ich komme gerne wieder.
Ach ja, eine Sache muss ich wohl noch aufklären. Am Anfang erwähnte ich, dass es für einen Marathon nur drei Dinge braucht: Einen Carport, zwei Eimer und etwas grüne Farbe. Wer jetzt gut aufgepasst hat, dem muss aufgefallen sein, dass etwas fehlt. Das ist der zweite Eimer. Der war für's Ziel. Tja, aber bei meinem Eintreffen war er leider schon verschwunden. Da muss der liebe Andreas noch etwas nachbessern. |