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30.8.2013
Ultra-Trail du Mont-Blanc | CCC |
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Autor: Bernie Manhard |
Bericht mit 250 Bildern auf |
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Die Mitbewohner des Deutschen Hauses haben uns am Vorabend noch letzte Grüße für das Rennen am Küchenbuffet hinterlassen. Bei (das ist ihr Vorname) aus Hongkong sitzt um 5:45 Uhr bereits voll aufgerüstet am Frühstückstisch und schlürft in sich gekehrt ihr Müsli. Eine gewisse Anspannung ist ihr deutlich anzusehen. Sie hat das Busticket mit der frühesten Abfahrtszeit vom Veranstalter zugewiesen bekommen. Um 6:45 fährt ihr Bus in Chamonix am Place du Mont Blanc ab. Tom, Jan und ich sind später dran.
Startort für den CCC (Courmayeur-Champex-Chamonix) ist Courmayeur, auf der gegenüberliegenden Seite des Mont-Blanc-Massivs in Italien. Durch den seit 1965 eröffneten 11,6 km langen Mont-Blanc-Tunnel ist die Anfahrt relativ schnell zu bewerkstelligen. Die Tunnelröhre liegt genau unterhalb des Berges Aiguille du Midi, auf dem wir noch am Mittwoch in über 3800 m Höhe zur Besichtigungstour waren.
Tom will nicht mit dem Bus fahren, seine Partnerin Sanne wird ihn mit dem Privatwagen rüberbringen und ihn auch an den drei Assistenz-Zonen betreuen. Billig ist das exklusive Vergnügen nicht. Während die Busse vom Veranstalter gestellt werden, sind für die einfache Fahrt durch den Tunnel fast 40 Euro hinzulegen. Kurzentschlossen steigen Jan und ich auch zu und gewinnen so eine dreiviertel Stunde Ruhe vor dem Sturm.
Streng sind die Regeln beim UTMB. In den Startunterlagen befand sich je ein Assistenz-Ticket für jede der drei vom Veranstalter erlaubten Betreuungsstellen in Champex, Trient und Vallorcine. Nur mit diesem Ticket hat man dort Zugang. Außerhalb dieser Zonen darf kein Teilnehmer Hilfe in Form von Trinken oder Essen erhalten, oder sonst etwas annehmen oder von der Ausrüstung ablegen. Sonst wird eine Strafstunde auferlegt, die man an Ort und Stelle absitzen muss.
Courmayeur
Die Zufahrt zum Place Brocherel im Zentrum von Courmayeur ist für uns mit dem Privat-PKW erstaunlicherweise bis auf 100 Meter möglich, nur Parkmöglichkeiten gibt es hier natürlich nicht, sonst würden wir auf der langen Startgerade stehen wo heute 1.900 Teilnehmer in das Rennen gehen werden. Weitere 1.100 konnten bei der Anmeldung nicht berücksichtigt werden und haben als Entschädigung einen garantierten Startplatz für die Austragung 2014 sicher.
Bei der Abholung der Startunterlagen wurden die wichtigsten Teile der Pflichtausrüstung kontrolliert, was dem Veranstalter natürlich nicht garantiert, dass jeder auch alles letztendlich auch beim Rennen dabei hat. Für den Fall werden an diversen Stellen vereinzelt Stichproben durchgeführt, auch hier ist man streng. Je nach Wichtigkeit werden Zeitstrafen von einer Stunde bis zum sofortigen Ausschluss aus dem Rennen verhängt. Die Kontrollen werden auch wirklich durchgeführt. 50 Meter vor der Startlinie z. B. darf ein Läufer sein komplettes Equipment auf einer Decke vor den Kontrolleuren ausbreiten.
Um 8:30 Uhr wird es langsam ernst, die Startgerade füllt sich zusehends. Jan und Tom habe ich aus den Augen verloren. Ein letztes kurzes Briefing und Ansprachen. Ich verstehe nichts davon, kann weder italienisch noch französisch. Aber die Nationalhymnen von den ausrichtenden Ländern Italien, Schweiz und Frankreich erkenne ich. Es geht unter die Haut. Die Stimmung wird weiter angeheizt mit dramatischer Musik von Vangelis: Alexander – Across the Mountains. Das lässt keinen kalt, alle jubeln, Arme und Stöcke gehen in die Höhe. Die Spannung steigt. Ich habe Gänsehaut. Dann der Countdown: …cinq – quatre – trois – deux – une – Los geht’s, GPS starten und langsam aufrücken. Bis vor wenigen Monaten konnte ich mir im Traum nicht vorstellen, hier beim berühmtesten und bedeutendsten Trail Race der Welt teilzunehmen. Auch wenn es nur der „Bambinilauf“ ist, die 101 Kilometer und 6100 Höhenmeter müssen erst einmal bezwungen werden.
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Nach 70 Meter ist alles vorbei, der Fluss der Läufer kommt zum Erliegen. Die Musik geht aus. Ich habe es verdrängt, aber ich stehe nur in der zweiten Startreihe. Um das Läuferfeld auf den engen Straßen, Wegen und Trails zu entzerren gibt es drei Startwellen in 15 Minuten Abständen.
Crazy Tom hat das schon zu Hause eingeplant, um ganz weit vorne starten zu können hat er bei der Registrierung bereits eine niedrige Zielankunftszeit angegeben. Heute hat ihn aber richtig der Teufel geritten, telegen stand er mit den Favoriten in der ersten Startreihe. Ist sich dessen aber voll bewusst und nimmt die Quittung dafür in Kauf: Einen ersten Kilometer im 4-er Schnitt durch die teilweise schon leicht ansteigenden Straßen von Courmayeur, um ja keinen zu behindern.
Endlos sind die weiteren 15 Minuten Wartezeit. Dann beginnt alles wieder von vorne. Ansprachen, Vangelis und der Countdown: …cinque – quattro – tre – due – uno – Forza! Diesmal in Italienisch. Ganz Courmayeur ist auf den Beinen und steht am Straßenrand. Langsam setzt sich das Feld in Bewegung. Man merkt, die Schnellen sind bereits unterwegs. Den Teilnehmern hier geht’s ums Durchkommen. So wie mir. Es geht ums Überleben und habe ich daher die Cut-Off-Zeiten genau im Auge.
Die ersten Kilometer beinhalten eine Ehrenrunde durch Courmayeur und einen Anstieg in das kleine Villair durch ein Spalier von begeisterten Zuschauern. Nach einer halben Stunde Laufzeit können wir uns von der Teerstraße verabschieden, es geht hinein in den bewaldeten Abschnitt der Ermitage und anschließend über die Almen von la Suche. Um zu Beginn des CCC Stau zu vermeiden und das Läuferfeld noch mehr zu entzerren, wurde noch kurzfristig ein 1,2 km Abschnitt mit 100 Höhenmetern eingefügt. Das bringt uns 10 Minuten Verlängerung der Sollzeit.
Tête de la Tronche
Nach Verlassen des Waldes geht es abwechselnd mal auf mal ab durch einige Senken und über Wasserläufe, aber bald gibt es nur mehr eine Richtung und die geht streng nach oben. Für mich auch der richtige Zeitpunkt, um meine Stöcke vom Rucksack zu schnallen um den Aufstieg etwas erträglicher zu gestalten. Auf schmalen ausgetretenen Pfaden klettern wir durch die grasbewachsenen Hügel des Col du Sapin. Wie auf einer Perlenkette aufgezogen marschiert die kilometerlange Läuferschlange voran. Aber je länger es dauert, umso mehr Lücken entstehen in der durchgehenden Anordnung, manche müssen abreißen lassen. Überholvorgänge sind dennoch nur möglich, wenn der Vordermann mitspielt.
Auf halber Höhe kann ich Bei überholen, ihr bereiten die Aufstiege auch einige Probleme. Für gewöhnlich sind mehr die Wüsten ihr Terrain. Bis auf den Bergrücken des südlichen Tête de la Tronche sind auf den ersten 10 Kilometern fast 1.500 Höhenmeter zu bewältigen. Der längste Anstieg des CCC beinhaltet auch den höchsten Punkt auf 2.569 m. Dafür werden wir aber auch mit einem herrlichen Blick auf das Mont Blanc Massiv belohnt. Auf unseren Startnummern befindet sich ein Strichcode, der wird hier zum ersten Mal gescannt und so ist für jedermann unsere Position auf der Veranstalter-Website einsehbar.
Über den Grat des Mont de la Saxe geht es meist gut zu Laufen abwärts bis zur ersten Verpflegungsstelle (km15) bei den Bertone Hütten. Die letzten Meter sind aber sehr steil. Wieder werden unsere Startnummern gescannt. Der lange Aufstieg zeigt bei mir deutliche Wirkung, ich benötige die anstehende Pause dringend. Stärken können wir uns mit Linzer Törtchen, Riegeln und Nudelsuppe. Am Refuge Bertone vereint sich auch die Strecke des UTMB nach 82 km mit der des CCC. Der lange Aufstieg über den Tete de la Tronche bleibt den UTMB-lern erspart, sie nehmen nach Courmayeur eine Abkürzung hier herauf. Jan kommt kurz hinter mir an die Labestelle. Er war in der dritten Startgruppe und hat somit 15 Minuten auf mich aufgeholt.
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Mit einem kurzen Anstieg geht es weiter. Bei ist wieder vor mir, sie muss bergab geflogen sein. Bis zur nächsten Verpflegung am Refuge Bonatti liegen 7 km vor uns. Diese führen auf halber Höhe an der Flanke des Mont de la Saxe entlang mit bester Aussicht ins Val Ferret und auf den gegenüberliegenden mehrgipfligen Grandes Jorasses (4.208 m) mit seiner markanten Gletscherzunge. Unter Bergsteigern ist seine fast lotrechte Nordwand berühmt, die sich 1.000 m hoch erhebt. Sie zählte zusammen mit den Nordwänden von Matterhorn und Eiger zu den drei letzten Problemen der Alpen, bevor sie 1935 erstmals bezwungen wurde. Die berüchtigte Linceul (Leichentuch)-Route, ebenfalls an der Nordwand, weißt den französischen Schwierigkeitsgrad TD+ (très difficile supérieur) auf und zieht viele verwegene Kletterer an.
Weniger abenteuerlich ist unsere Route, gemäßigt geht es rauf und runter, ohne allzu große Höhendifferenzen. Die schmalen Pfade an den Hängen sind durchgängig gut zu laufen. Mir fällt es aber schwer mit Jan mitzuhalten, daher lasse ich ihn lieber ziehen und wähle mein eigenes Tempo. Mittlerweile sind die Temperaturen deutlich gestiegen, ich bin froh bei der Bonatti Hütte meine Wasserflasche wieder füllen zu können. Ohne die vorgeschriebenen Getränkevorräte würde man heute nur schwer auskommen können. Zum letzten Mal werden zur Getränkeaufnahme Plastikbecker ausgeben, an den nächsten Stationen müssen die eigenen, vorgeschriebenen Trinkgefäße benutzt werden.
Arnuva, km 27 – Zeitlimit 7:00 Stunden
Bis kurz vor Arnuva bewegen wir uns immer noch auf Höhen von etwa 2.000 m ü. NN. Nur die Abstände der kurzen Ab- und Aufstiege werden dichter. Erst kurz vor unserer ersten Cut-Off-Stelle muss ein ca. 250 Hm langer, steiler Abstieg bewältigt werden, vor dem uns sogar der Veranstalter mit einem Hinweisschild warnt. So schlimm ist er dann aber auch nicht. Sieben Stunden räumt man uns für die ca. 27 km bis Arnuva ein. Ich bin ziemlich im Eimer und habe kein gutes Feeling für meinen weiteren Weg. Ein Zeitguthaben von einer Stunde gestattet mir aber eine 20 minütige Pause.
In einem großen Zelt ist die Labestelle untergebracht und es ist eine Menge los. An vielen Tischen kann man sich etwas zu Essen und Trinken holen. Das Angebot ist überaus reichlich, mir ist wie immer bei langen Läufen eher nach etwas Deftigen. Also genehmige ich mir Salami, Käse, Weißbrot und eine Nudelsuppe. Ein riesiger Tisch mit süßen Sachen kann mich weniger locken. Als ich mich an einen Tisch begebe sitzen Jan und Tom bereits da. Nach ihren Aussagen geht es ihnen nicht viel besser als mir. Tom erzählt begeistert von seiner „Heldentat“ am Start. Von der Anfangseuphorie ist jetzt aber bei uns allen nichts mehr spürbar. Das Deutsche Haus hat noch einen schweren Weg vor sich.
Während ich mich vor das Zelt in die Sonne begebe, um meine Beine für 10 Minuten hochzulegen, brechen die beiden wieder auf. Am Sanitätszelt gibt es .bereits erste Ausfälle zu vermelden. Traurig verkündet mir Matthias aus der Schweiz, ein treuer Trailrunning.de-Leser, dass ihm schon mehrfach schwarz vor Augen wurde und er nichts riskieren und aussteigen will. Die 10 Minuten im Liegen mit ein paar Lockerungsübungen tun mir spürbar gut und ich breche wieder auf.
Nach Überqueren der Doire du Val Ferret beginnt unser zweiter langer Anstieg. Bis auf den Kulminationspunkt auf dem Grand Col Ferret sind 750 Hm in nur 5 Kilometern zu überwinden. Ich traue fast meinen Augen nicht, als ich plötzlicher wieder Bei vor mir ausmachen kann. Ich hätte ihr das mit ihren Aufstiegsproblemen gar nicht zugetraut, aber unsere Wüstenkriegerin scheint ein zähes Luder zu sein und alles bergab wieder gut zu machen. Ich freue mich aber, dass sie noch gut mit dabei ist und dass ich jetzt auch innerhalb weniger Minuten alle CCC-Starter des Deutschen Hauses getroffen habe.
Plötzlich steht Eric vor mir am Wegesrand. Er war das „E“ vom Team „der schleichenden EMUs“ beim PTL, bei dem er sich einen derartigen Wolf gelaufen hat, dass sie ihr Abenteuer leider bereits nach 60 km beenden mussten. Bis heute kann er die unangenehmen Nachwirkungen noch spüren. Ich vergesse glatt, ihn danach zu fragen, ob er denn weiß, dass Tom Eller, der das „M“ der EMUs übernahm, just in diesem Moment in Chamonix wieder am Start steht.
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Chamonix, Start UTMB, 16:30 Uhr
Während ich also hier, etwa 30 km hinter mir habe, wird jetzt um 16:30 Uhr in Chamonix die Königsstrecke der vier Läufe des North Face Ultra-Trail du Mont-Blanc, der UTMB gestartet. 2.300 Trailrunner träumen davon, das Mont-Blanc-Massiv auf einer Länge von 168,7 km und 9.800 Hm in maximal 46 Stunden zu umrunden. Wer an diesem Hammertrail teilnehmen will, muss 7 UTMB-Punkte nachweisen, die jeweils zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember des vorhergehenden Jahres durch das Beenden von maximal 3 Läufen auf der mittlerweile schon sehr langen Liste von Qualifikationsläufen erworben werden können.
Nach drei schwierigen Jahren mit vielen wetterbedingten Streckenkürzungen haben die Veranstalter dieses Jahr Vorsorge getroffen, um die Bewerbe in der vorgesehenen Distanz auch durchführen zu können. Es werden Ersatzstrecken für alle Läufe und für jegliche Art von Wetter, fast bis zum Weltuntergang, angeboten. Benötigt wird das heuer glücklicherweise nicht, wir haben Traumwetter und auch in den nächsten Stunden wird es keine unangenehmen Überraschungen für uns geben, so dass CCC und UTMB zumindest wetterbedingt problemlos über die Bühne gehen können.
Um auf Tom wieder zurückzukommen: Der verrückte Hund steht doch tatsächlich an der Startlinie des UTMB, nachdem er schon einen Teil des PTL schon hinter sich hatte. Den Platz hat er krankheitsbedingt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion übernommen, weil ihn der Abenteuerlauf über 288 km noch mehr als der UTMB reizte. Ob es ein Versehen war, dass er nach der Einschreibung beim PTL nicht aus der Starterliste des UTMB gestrichen wurde, weiß er selbst nicht, aber er wird weiterhin als UTMB-Starter geführt und so tritt er nach kurzem Überlegen auch an.
Neben Tom stehen vom Deutschen Haus noch Axel, Gerald und Marius an der Startlinie. Axel und Gerald sind super in Form und rechnen sich Plätze weiter vorne aus. Fast täglich sind sie noch in dieser Woche die Berge hinauf gelaufen, während unsereins in solchen Fällen mehr Wert auf Erholung legt. Für Marius geht es mehr um das Durchkommen, vorerst soll es der Abschluss seiner Laufkarriere sein. Knieprobleme zwingen ihn dazu. Im Centre Sportif konnte man sich vorab vom Veranstalter professionell Kinesiotapes anlegen lassen. Nachdem er gesehen hatte, wie intensiv die Physiotherapeuten die jeweiligen Extremitäten unter die Lupe nahmen, ließ er es lieber sein. Nicht dass sie ihm noch den Lauf verbieten.
La Fouly, km 42 – Zeitlimit 10:30 Stunden Durchgängig bis zu seinem höchsten Punkt auf 2.537 m ist der Grand Col Ferret grasbewachsen ohne sonstigen Bewuchs, er wird lediglich von kleineren Felsbändern durchzogen. So stellen sich uns keine unangenehmen Hindernisse in den Weg. Aber der Pfad hinauf ist steil und nur langsam und mühsam winden wir uns auf Serpentinen nach oben. Entschädigt werden wir aber mit einer grandiosen Landschaft. Mir gefällt besonders der Kontrast der grünen Wiesenflächen zum gegenüberliegenden steinigen Hochgebirge mit seinen schneebedeckten Gipfeln. Ein Gletscher präsentiert uns aus nächster Nähe seine weit herunterfließende schmutzig-graue Gletscherzunge. Ein Blick zurück öffnet uns das gesamte Val de Ferret und dazu strahlt ein weiß-blauer Himmel, der seinesgleichen sucht. Es scheint, als würde das Wetter in diesen Tagen all jenes wieder gut machen wollen, was es bei den vergangenen drei Austragungen versaut hat.
Nachdem meine Startnummer gescannt ist, muss ich mir dringend eine dünne Jacke und ein trockenes Stirnband überziehen. Am späten Nachmittag sind die Temperaturen auf der Höhe bereits wieder deutlich gesunken und es pfeift uns ein kalter Wind um die Ohren.
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Die Hälfte der Höhenmeter und unserer Kilometer durch Italien haben wir am Gipfel hinter uns, ein elend langer, fast 20 km Abwärtslauf mit 1.500 negativen Höhenmetern liegt vor uns. Unterbrochen wird der Downhill im Chalet-Dorf La Fouly. Es gehört schon zur Schweiz. Über den Gipfel des Grand Col Ferret verläuft die Grenze. Anfangs fällt es mir noch schwer, wieder einen vernünftigen Laufrhythmus zu kommen, aber der nicht übermäßig steile Anfangsabschnitt begünstigt meine Laufbemühungen. Nach der Alpe La Peule werden die Pfade wieder steiler und anspruchsvoller.
Kurz vor 19 Uhr treffe ich an der großen Versorgungsstation in La Fouly ein. Mir bleiben zum Zeitlimit etwa 45 Minuten. Ich bin die 9 km, soweit es ging, durchgelaufen, bin jetzt völlig groggy, habe keinen rechten Appetit und würge aber etwas hinunter. Frage mich aber insgeheim: Wie soll ich bloß die verbleibenden fast 60 km noch überstehen? Gerne erinnere ich bei körperlichen K.O.-Phasen immer an den Ausspruch eines bekannten Ultraläufers: „Es wird nicht immer noch schlimmer, sondern irgendwann geht es auch wieder aufwärts.“ Aber wo soll die Kraft heute herkommen, wo ich mich doch schon von Anfang an nicht so besonders fühle?
Ich verbringe nur ein paar Minuten im Zelt, bräuchte eigentlich wieder eine anständige Pause. Weil ich aber noch möglichst lange im Hellen auf der Strecke verbringen will, haue ich schnell wieder ab. Beim Verlassen der Station kann ich in einer anderen Ecke des Zeltes gerade noch Bei entdecken. Ich habe es aber eilig, auch weil die Zeit drängt. In Champex werde ich mir aber diese Auszeit genehmigen, daher benötige ich ein Zeitguthaben. Also: Hurry up!
Champex-Lac, km 55 – Zeitlimit 13:45 Stunden
Mit mäßigem Gefälle geht es weiter, durch den Wald und entlang des Flußbettes der Dranse de Ferret. Steinig und unangenehm ist der Weg, obwohl er sehr flach ist. Ich bin noch steif und kaputt, komme nicht so richtig in die Gänge. Es wird langsam dämmrig. Kurze Aufstiege sind jetzt auch dabei. Wir laufen oberhalb des Flusses an der Bergflanke entlang. Es läuft wieder besser. Die Strecke ist schön am Hang und der Trail auch wieder angenehmer zu laufen. Ein letztes steiles Gefälle und ich erreiche eine Straße. Eine große Gruppe Schlachtenbummler feuert mich an. Es ist schon verdammt dunkel. Ich habe auch noch meine Sonnenbrille auf, die muss gewechselt werden und die Stirnlampe muss raus. Weiter geht’s. Alles im Laufschritt. Es läuft wieder.
In Praz de Fort haben die Einwohner eine private Station errichtet, es gibt auch guten, starken Kaffee. Dürfte ich diesen überhaupt annehmen laut Reglement? Egal, hier sind keine Ordnungskräfte und dazu ist es dunkel. Wunderschöne alte Holzbauten gibt es im Ort zu sehen, leider ist es kuhdunkel. Immer noch geht es leicht abwärts. Die Einwohner sind freundlich, immer wieder stehen welche an der Strecke und feuern uns an, ausnahmslos mit dem Vornamen. Steht groß auf unserer Startnummer.
In Issert ist der tiefste Punkt erreicht, wir müssen die Straße überqueren, noch ein Abschnitt im Flachen, dann ist es vorerst vorbei mit Laufen, es geht wieder aufwärts. Elend lang zieht sich der Aufstieg mit 450 Hm nach Champex-Lac hin. Um 21:40 Uhr erreiche ich das riesige Versorgungszelt. Beim Eintreten trifft mich fast der Schlag. Es geht zu, wie auf der Wies‘n in München. Musik, Lärm und unglaublich viele Menschen.
Neben dem Eingang ein Stand f ür die Ausrüstungskontrolle. Ich habe Glück und bleibe davon verschont. Daneben ein Tisch für den Busrücktransport …falls man Aussteigen will. Ich bin völlig down, sehr verlockend, aber keine Alternative. Ich gebe mich nicht geschlagen. Habe nach meiner günstigsten Rechnung ein Zeitpolster von 1:30 Stunden und die werde ich ausnützen. Die Zeit-Barrieren haben aber auch immer neben der Laufzeit eine Uhrzeitgrenze, in der die um 15 Minuten verspätete Startzeit nicht eingerechnet ist. Dazu kommen noch die 10 Minuten Zugabe anhand der kurzfristigen Streckenverlängerung. Auch hier sind die ausgehängten Kilometerangaben noch nicht auf dem aktuellsten Stand. Dadurch bin ich immer etwas verunsichert ob der genauen Durchgangszeiten. Nach der ungünstigsten Rechnung ist es nur eine gute Stunde.
Pasta und alles Mögliche wird angeboten, ich habe keinen Appetit. Mit einer Nudelsuppe und Kaffee verziehe ich mich in eine Ecke dieses für mich ungemütlichen Ortes. Mir herrscht in dieser riesen Station einfach zu viel Trubel. Nach nur 10 Minuten sitzend fange ich an zu frösteln. Leider gibt es für den CCC keine Möglichkeit, Drobbags zu deponieren, so muss jeder Wechselkleidung selber mitführen und auch wieder weitertransportieren. Es sei denn, er hat eine/n Begleiter/in dabei. Champex-Lax ist eine der offiziellen Betreuungszonen, wo Personen mit Assistenz-Ticket Zugang erhalten.
Für mich trifft das leider nicht zu, aber ich habe genügend Ausrüstung dabei, um jetzt auf lange und trockene Bekleidung zu wechseln. Ein Problem bekomme ich erst morgen Vormittag, wenn die Sonne wieder vom Himmel brennt. Dann habe ich nur die Wahl, meine nassen, kurzen Klamotten wieder anzuziehen oder mit den warmen bis ins Ziel zu laufen.
Nach einer Stunde Erholung mache ich mich wieder auf den Weg. Am Gang sitzt Bei mit einem Teller Nudeln. Ich freue mich sie zu sehen, sie ist wirklich zäh. „Good luck“. Ich muss mich im Zelt erst durchfragen, wo es weiter geht. Hinunter zum Lac von Champex, vorbei an den Bussen, die die Aussteiger nach Chamonix zurückbringen. Es sind viele, die Busse sind gerammelt voll. Es geht wieder leicht aufwärts am See entlang. Wo sind meine Stöcke? Verdammt, die stehen noch im Toilettenwagen. Nochmal zurück, hinauf zum Zelt. Wenigstens stehen sie noch, aber wieder einige wertvolle Minuten eingebüßt.
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