10.9.2022 50 Jahre Olympia Marathon München
Autor: Bernie Manhard
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Bei den XX. Olympischen Spielen in München findet zum Abschluss der Leichtathletikwettbewerbe am 10. September 1972 der Marathonlauf statt. Der kleine Andreas sitzt fasziniert vor dem Schwarz-Weiß-Fernseher und beobachtet den großen Auftritt von Frank Shorter in seiner Heimatstadt. Genau 50 Jahre ist das her, aber der olympische Marathon ist in seinem Gedächtnis haften geblieben. Mittlerweile ist Andreas Bettingen, unser Autoren-Kollege aus dem Team von M4Y in der ganzen Welt unterwegs gewesen. Kein Münchner ist mehr Marathons gelaufen. Einen Lauf auf der Olympiastrecke von München, ausgetragen nach den offiziellen Regularien des 100 MC, würde er noch allzu gerne seiner Sammlung hinzufügen.

Der Plan diesen Marathon zum 50 Jubiläum der Olympischen Spiele von München, auf der historischen Strecke von 1972 für eine kleine Gruppe im privaten Rahmen durchzuführen reift über geraume Zeit. Alle Recherche-Möglichkeiten werden ausgeschöpft, um an die originalen Streckendaten zu gelangen. Grobe Streckenpläne und Beschreibungen sind im Web schnell zu finden. Aber erst in der Bayerischen Staatsbibliothek findet sich der genaue Rennverlauf und ein detaillierter Ablauf jeder gelaufenen Straße. Gemeinsam mit Judith erkundet er die Strecke und kann somit allen Teilnehmern des Jubiläumslaufes als GPX-Track zur Verfügung gestellt werden. Für diejenigen die diese technischen Möglichkeiten nicht haben, hat er auch eine perfekte Beschreibung und Kartenmaterial parat.

Auf Waldis Spuren

Kreativität bewiesen die Planer der Olympiastrecke bei der Route, sie ist geformt – natürlich mit etwas Fantasie – nach den Umrissen von Dackel Waldi, dem Maskottchen der Olympischen Spiele von München. Der Kopf von Waldi zeigt nach Westen, somit wird gegen den Uhrzeigersinn gelaufen. Beginnend am Nacken und weiterführend um seine Ohren führt das Maul durch den Nymphenburger Schlosspark. Über seine Vorderpfoten gelangt man durch den Hirschgarten. Der Bauch umfasst die Straßen durch die Münchner Innenstadt. Hinterpfoten und Schweif führen durch den Englischen Garten und weiter auf seinem Rücken zurück ins Olympiastadion.

Bereits von 1983 bis 1996 wurde der Olympia City Marathon in München durchgeführt, dieser ähnelte von der Idee her in großen Teilen dem Olympiakurs, beinhaltete aber auch einige Abweichungen. Beim heutigen München Marathon werden nur mehr ganz wenige Abschnitte davon tangiert.

Die Organisatoren erhielten seiner Zeit gute Noten für die Gestaltung des Kurses, der sowohl flach als auch schattig war, insgesamt 18 km führten durch Parklandschaften und weitere 11 km umfassten Wohnstraßen mit vielen schattenspendenden Bäumen. Nur 7,5 km wurden auf Straßen der Innenstadt gelaufen, dazu 1,7 km, die im Oval des Olympiastadions absolviert wurden.

Obwohl es an vielen Tagen die Möglichkeit gibt, das Olympiastadion gegen einen Obolus zu betreten, ist dies für unsere Jubiläumsauflage leider kein Thema, an diesem Wochenende belegt der britische Popsänger Ed Sheeran das Stadion von Freitag bis Sonntag für seine Konzerte. Für unseren Lauf bietet sich aber eine durchaus attraktive Alternative. Am 1. Juli wurden zum Anlass des 50. Jubiläums Olympische Ringe in Edelstahl vor der Kleinen Olympiahalle aufgestellt, feierlich eingeweiht von IOC-Chef Thomas Bach persönlich. Dieses Monument eignet sich ganz hervorragend für uns als Start- und Zielort, ist nicht eingezäunt und so jederzeit frei besuchbar.

Um unseren Event auch fotografisch dementsprechend zu würdigen, verabreden wir uns eine halbe Stunde vor Startbeginn am auserwählten Startplatz vor den Ringen. Wie sehr der Lauf Andreas am Herzen liegt, beweist er mit einer großzügigen Geste. Alle Teilnehmer bekommen ein wunderschönes Erinnerungsshirt im Farb-Style der Olympischen Spiele von 1972 von ihm überreicht. Dazu erhält auch noch jeder eine Urkunde und eine Goldmedaille wie einst Frank Shorter. Heute bekommt jeder eine und sie wird auch bereits vorab überreicht.

Eine grunds ätzliche Änderung zu 1972 betrifft das Teilnehmerfeld, beim Jubiläums-Marathon dürfen auch Frauen teilnehmen, soweit war man vor 50 Jahren noch nicht und es den Frauen sogar verboten. Judith vertritt als einzige heute das weibliche Geschlecht. Die insgesamt 15 Starter kommen aus München, Stuttgart, Augsburg und Berlin, alle stehen bereits seit Wochen auf der limitierten Starterliste und sind auch heute vor Ort. Keiner will sich diese einmalige Gelegenheit entgehen lassen. Natürlich gibt es keinen markierten Kurs durch München, wir haben den Track oder die genaue Streckenbeschreibung. Die beinhaltet auch eventuelle Toiletten- und Versorgungsmöglichkeiten auf der Strecke, an alles ist gedacht und perfekt organisiert



   
 
 

München 1972 – Start Marathonlauf

Am Sonntagnachmittag, den 10. September 1972 um 15.00 Uhr machen sich 74 Athleten aus 39 Ländern auf den Weg durch München. Während sie nach dem Start drei Runden im Stadion drehen, beginnt gerade das Hochsprung-Finale der Männer. Bevor die Marathonläufer um 17.15 Uhr zurückerwartet werden, stehen noch die Staffeln auf dem Programm. Große Favoriten sind unter den Läufern von den Experten nicht auszumachen, man hofft auf einen spannenden Wettkampf. Für die Bundesrepublik Deutschland sind Paul Angenvoorth, Manfred Steffny und Lutz Philipp am Start. Die DDR wird durch Eckhard Lesse vertreten.*

Unser Start ist für 10 Uhr vorgesehen und wir werden auch pünktlich mit unserem Fototermin und Übergaben fertig. Wir stellen uns auf, Andreas zählt von 10 runter und los geht’s. Leider haben wir nicht das sonnige Wetter von 1972. Pünktlich zum Start kommen ein paar Regentropfen vom Himmel. Unsere ersten Meter führen uns noch weiter in den Olympiapark und unter Teilen seiner futuristischen Zeltdachkonstruktion hindurch.

Die 74.800 Quadratmeter große Dach-Konstruktion überspannt die Olympia-Halle, -Schwimmhalle und -Stadion. Rund ein Jahr lang mussten die Architekten nachweisen, dass das Zeltdach wirklich konstruierbar sei, dazu konnten sich manche Entscheidungsträger kaum vorstellen, dass die Verbindung von Stahl und Acrylglas über 50 Jahre und weit darüber hinaus, halten kann. Ein ursprünglicher Plan sah sogar vor, das Zeltdach nach den Olympischen Spielen wieder abzubauen. Das Echo der Weltpresse verhinderte eine Demontage. Heute zählt das Olympiastadion zu den wichtigsten Bauten der bundesdeutschen Nachkriegsarchitektur, steht unter Denkmalschutz und für mich ist es das schönste Stadion der Welt. Obwohl ich schon des Öfteren hier war, bin ich immer wieder aufs Neue von der Architektur begeistert.

Über die Hanns-Braun-Brücke überqueren wir den Georg-Brauchle-Ring und durchqueren den Olympiapark Nord. Rechts von uns liegt das ehemalige Olympische Dorf, wir halten uns aber links Richtung Westen. Nach knapp drei Kilometern erreichen wir die Hanauer Straße und biegen ein ins Münchner Straßennetz. An allen Straßen entlang führen breite Rad- und Fußgängerwege, so kommen wir relativ unbehindert vorwärts. Selbstverständlich sind auch einige Ampeln auf Rot, die für kurze Stopps sorgen, aber wir haben es heute nicht so eilig wie Frank Shorter und Co.

Über den Windrichring gelangen wir am Westfriedhof entlang in den Münchner Westen. Nach 5 Kilometern biegen wir nach rechts in die Allacher Straße nach Untermenzing. Hier gibt es kaum mehr Autoverkehr und wir könnten teilweise sogar fast auf der Straße laufen, wie es 1972 der Fall war. Mittlerweile fällt kein Regen mehr, das macht es noch angenehmer. Das Teilnehmerfeld hat sich bereits in mehrere, kleine Gruppen aufgesplittet.

München 1972 – Im Nymphenburger Park


Die Temperatur von 21° C sorgt für ein optimales Rennen. Eine 29-köpfige Gruppe absolviert die ersten 5 Kilometer in 15:51. Im Nymphenburger Park teilt sich der australische Weltrekordhalter Derek Clayton die Führung mit dem Briten Ron Hill. Zwischen Kilometer 10 und 15 beschleunigt sich das Tempo und der US-Amerikaner Frank Shorter übernimmt mit 5 Sekunden Vorsprung die Spitze des Feldes. Er wurde in München unweit der Marathonstrecke geboren, seine Eltern waren nach dem Zweiten Weltkrieg dort zum Militärdienst stationiert.*


Die Leipziger Mädels hinter mir, sind der gleichen Meinung, wir verweilen am nächsten Übersichtspunkt kurz und saugen das Panorama auf, dazu machen wir ein paar Schnappschüsse. „Wow, noch mit einer richtigen Digitalkamera“ bekomme ich zu hören. Ist vielleicht etwas Old School, dafür aber wesentlich komfortabler als mit einem Smartphone.

Der Zugang zum Nymphenburger Schlosspark nach gut 10 Kilometern ist etwas ungewöhnlich und fast zu übersehen. Eine weiße Holztüre führt uns in den Park der weitgehend von der historischen Gartenmauer umschlossen ist. Als 1664 mit dem Bau des Schlosses und der Parkanlage begonnen wurde, war der Bauplatz ein Ort auf freiem Feld, zwei Stunden von München entfernt. Heute ist der Schlosspark eines der größten und bedeutendsten Gartenkunstwerke Deutschlands, steht unter Denkmalschutz und ist Landschaftsschutzgebiet. Vorbilder waren die französischen Gärten von Schloss Vaux-le-Vicomte und Schloss Versailles.

Normalerweise ist der Park immer gut besucht, aber die dunklen Wolken scheinen viele heute von einem Besuch abzuhalten, was es für uns noch entspannter macht. Erster Fotostopp ist an den zwei Brunnenbecken der Großen Kaskade im hinteren Teil des Parks. Nach vorne durchquert der Mittelkanal den kompletten Park, wir können bis vor zum etwa 1,2 km entfernten Schloss blicken. In den Anfangsjahren schipperten bis zu 80 Gondeln und Prunkboote im Schlosskanal.

Einen Kilometer weiter passieren wir die Badenburg am Großen See. Sie ist im August 300 Jahre alt geworden. Das Lustschloss vereint einen Festsaal, ein kurfürstliches Apartment und einen großen Badesaal. Das mehr als 50 Quadratmeter große Badebecken war in seiner Zeit nicht nur als Kunstwerk, sondern auch in technischer Hinsicht vergleichslos. Es ist das erste bekannte beheizbare Hallenbad der Neuzeit (also seit der Zeit der Römer) in Europa. Es befindet sich im Untergeschoss und misst 8,70 mal 6,10 Meter. Da kommen wir leider nicht runter, ohne Eintritt zu bezahlen.

Nach 13 km stehen wir am Aufgang zu Schloss Nymphenburg. Grund für die Errichtung der Sommerresidenz war für das bayerische Kurfürstenpaar Ferdinand Maria und Henriette Adelaide von Savoyen, die Geburt des Thronerben Max Emanuel. Über Jahrhunderte war das Schloss eine Lieblingsresidenz der bayerischen Könige. Am 25. August 1845 erblickte wohl der bekannteste von allen, König Ludwig II. hier das Licht der Welt.

München 1972 – Durch den Hirschgarten


Frank Shorter kann das Tempo hochhalten und baut nach 20 Kilometern seinen Vorsprung im Hirschgarten auf 29 Sekunden vor dem Belgier Karel Lismont aus. Der liegt eine Sekunde vor Mamo Wolde, Nikkari Usami und Jack Bacheler.*

Vorbei am Botanischen Garten, der an den Schlosspark anschließt, laufen wir am Windrichring bis zur Südwestecke des Westfriedhofes, die wir auf der gegenüberliegenden Straßenseite bereits beim Herlaufen passierten und von wo wir uns jetzt für einige Kilometer stadteinwärts orientieren. Am östlichen Ende des Nymphenburger Kanals führt uns die Südliche Auffahrtsallee noch einmal zurück bis vor die Tore von Schloss Nymphenburg. Einigen Passanten ist bereits aufgefallen, dass hier vermehrt Läufer durchkommen und erkundigen sich. „Waren sie denn damals auch schon dabei?“ werde ich gefragt.

Als nächste Grünanlage wartet der Hirschgarten auf uns, den wir in östlicher Richtung durchqueren. 1780 beauftragte Kurfürst Karl Theodor seinen Oberstjägermeister ein Jagdrevier für den Adel anzulegen. Ein Teil des Areals wurde eingezäunt und 100 Damhirsche ausgesetzt. In den Jahren 1958/59 wurde der nordöstliche Teil des Parks zum städtischen Erholungsgebiet umgestaltet, etwas später erfolgte noch der Ausbau zur öffentlichen Parkanlage mit Erweiterung nach Süden. Angeblich ist der Biergarten hier, der größte der Welt mit 8000 Plätzen. In etwa 200 Meter Entfernung passieren wir auch heute noch, ein Gehege mit Damwild und Muffelwild, die werden aber nicht mehr gejagt. Nach einem Kilometer sind wir durch.

München 1972 – Sightseeing durch die Innenstadt

Nach 25 Kilometern läuft Frank Shorter immer noch leichten Schrittes am Stiglmaierplatz vorbei, Richtung Königsplatz. Sein Vorsprung beträgt bereits 57 Sekunden. An der Getränkestation bei km 26 beobachten ihn Reporter und fragen sich, was er da trinkt und ob es etwas mit seinem großartigen Auftritt zu tun hat? In seiner Plastikflasche ist eine dunkle Flüssigkeit auszumachen mit dem internationalen Zeichen für Strahlengefahr darauf. Der Zaubertrank darin entpuppt sich als nichts anderes als Coca-Cola.*

In der Maxvorstadt können wir die Gebäude und Produktionshallen von alten Münchner Traditionsbrauereien sehen. Mittlerweile sind alle irgendwie verbandelt und in einer AG eingegliedert und gehören zum größten Bierkonzern der Welt mit Brauereistandorten in 23 Ländern.

Die prachtvolle Brienner Straße führt uns zum Königsplatz, einem der schönsten Plätze Münchens. Konzipiert wurde er nach dem Vorbild der Akropolis in Athen. Ich habe noch eindrucksvoll die Bilder vor mir von der Mega Stimmung, die hier vor einigen Wochen über mehrere Tage herrschte bei den European Championships. Beachvolleyball und die Kletter-Wettbewerbe mit Lead, Bouldern und Speed wurden auf dem Königsplatz ausgetragen. Heute können wir ungehindert durchlaufen und die prachtvollen Gebäude fast allein genießen. Den Eingang markieren die Propyläen, das imposante Stadttor stellt den Tempeleingang der Akropolis nach.

Rechterhand liegen die Staatlichen Antikensammlungen, sie sind eine der größten Antikensammlungen in Deutschland insbesondere für griechische, etruskische und römische Kunst. Die Glyptothek liegt genau gegenüber und ist dem griechischen Freiheitskampf gewidmet. Die rund 200 Meter langen Tempelbauten erfüllten zu Zeiten von König Ludwig I. keinen Sachzweck, dienten einzig als Symbol antiker Ästhetik. Die riesigen Rasenflächen vor den Monumenten präsentieren sich sattgrün und makellos, scheinen also bei den zurückliegenden Meisterschaften keinen Schaden genommen zu haben. So soll es doch auch sein.

400 Meter weiter erreichen wir den Karolinenplatz mit dem Obelisken in der Mitte, der als Ehrenmal für die bei Napoleons Russlandfeldzug gefallenen Soldaten der Bayerischen Armee errichtet wurde. Auf drei Stufen aus Marmor erhebt er sich auf fast 30 Meter. Die Bronzeplatten, mit denen der Obelisk verkleidet ist, wurden aus Bruchmetall von zumeist eroberten Geschützen hergestellt.

Damit ist unsere Sightseeingtour aber noch lange nicht beendet. Gemeinsam mit Andreas, Judith, und Alois – der überraschender Weise nicht aus Bayern kommt, sondern aus Brandenburg – erreichen wir den Odeonsplatz am Rande der München Altstadt. Läuferisch müssen wir uns hier natürlich zurückhalten, in dieser zentral gelegenen Fußgängerzone wimmelt es nur so von Menschen. Was uns jetzt auch nicht sonderlich stört. Andreas fungiert, wie schon auf dem 27 km langen Anlaufweg als perfekter Fremdenführer. Ich hab fast das Gefühl, er kann zu jeder Straße, jedem Gebäude und Sehenswürdigkeit irgendetwas erzählen. So ein exklusives Vergnügen hat man nicht alle Tage.

Direkt vor uns liegt das Eingangstor zum Hofgarten. Die historische Parkanlage entstand ab 1613 unter Herzog Maximilian I. In der Mitte des Renaissancegartens befindet sich ein Pavillon, der Dianatempel. Einen schönen Blick auf den Odeonsplatz und die Ludwigstraße bekommen wir nach rechts auf den klassizistischen Bau der Feldherrnhalle. Sie wurde zu Ehren des bayerischen Heeres errichtet. Zwei große Löwen aus Marmor stehen an der Treppe Spalier. Einer Münchner Sage nach, soll ein geheimer Wunsch erfüllt werden, wenn man einem der beiden Bronzelöwen die Nase reibt.

Direkt daneben baut sich die imposante Fassade der Theatinerkirche St. Kajetan auf. Sie entstand im späten 17. Jahrhundert im Stile des italienischen Spätbarocks. Besonders auffällig ist die gelbe Außenfassade, die schon von Weitem zu sehen ist. Einen kleinen Stilbruch aber nicht viel weniger auffällig stellt der davor platzierte knallblaue Bierstand in Form eines riesigen Biertragels dar, aber natürlich muss auch der Durst der Besucher von München gestillt werden.

Die Aufzählung prominenter Gebäude rund um den Odeonsplatz könnte man jetzt noch lange weiterführen …ich glaube wir laufen lieber weiter. Wir biegen nach links in die Ludwigstraße ein, eine der bedeutendsten Prachtstraßen der bayerischen Landeshauptstadt, wo wir einige exklusive Schaufenstereinblicke erhalten und die beweisen: italienische Nobelschmieden können auch stylische Fahrräder.

Rechts von uns liegt die Bayerische Staatsbibliothek, sie ist eine der größten und bedeutendsten Gedächtnisinstitutionen Europas. Ihr Medienbestand beläuft sich auf rund 37 Millionen Medien. Darunter, wie wir jetzt auch wissen, die detaillierte Streckenbeschreibung des Olympischen Marathons von 1972.

Über einen Kilometer verläuft die Ludwigstraße geradlinig in nordöstlicher Richtung und endet am Siegestor, das wir schon ganz nahe vor uns ausmachen können, aber letztendlich doch nicht ganz erreichen. Etwa 200 Meter vorher biegen wir vor der Ludwig-Maximilians-Universität nach rechts ab und kurz darauf in den Englischen Garten ein.

 
 
   
 

München 1972 – Grüne Hölle Englischer Garten

Nach 28 Kilometern geht es in den Englischen Garten. Frank Shorter passiert dort die 30 Kilometer-Marke in 1:32:49 und allen ist klar, dass er der potenzielle Sieganwärter ist. Er wirkt immer noch frisch und der Abstand zwischen den Führenden wird immer größer. Mamo Wolde und Kenny Moore liegen nach 30 km bereits über eine Minute hinter Shorter. Die deutschen Starter sind schon abgeschlagen und haben mit dem Kampf, um die Medaillen nichts mehr zu tun.*

Nach dem Trubel in der Innenstadt wird es jetzt wieder deutlich ruhiger. Zunächst laufen wir noch kurz nach Süden, erst am Schwabinger Bach dreht die Strecke um 180 Grad und wir durchqueren auf einer Länge von 6 km den Englischen Garten Nordostwärts. Andreas würde ihn eher als grüne Hölle bezeichnen, mit seinen langen Geraden und am Ende eines Marathons.

1972 wurden hier die Fotos für die Erstausgabe des deutschen „Playboy“ gemacht, mit einer Münchner Studentin und vergleichsweise züchtig. Da waren die Frauen, die sich nebenan im Gras sonnten, leichter bekleidet. Zu jener Zeit wurde das Bild von München und den Nackerten im Englischen Garten geprägt, das noch sehr lange in amerikanischen und asiatischen Reiseführern beschrieben wurde und Touristenscharen zum Vorbeischauen animierte.

Heute ist noch nicht viel los und auch für Nackedeis ist das Wetter zu unbeständig und frisch. Für uns mittlerweile aber ideal. Bei Temperaturen bis 20 Grad, lässt sich jetzt auch immer öfter mal die Sonne blicken. Der Biergarten am Chinesischen Turm (km 30) ist ebenfalls noch spärlich besetzt, mit 7000 Plätzen ist er der zweitgrößte in München, hinter dem Hirschgarten. Der 25 Meter hohe Holzbau des Chinaturms im Stile einer Pagode wurde 1792 gemeinsam mit dem Englischen Garten eröffnet.

Aufheiterung in der Einsamkeit der Grünen Hölle erfährt Greppis Gruppe, sie platzen in einen mobilen Junggesellenabschied, wo ihr Break mit einigen Tropfen Freibier gefeiert wird.

Kurz vor dem Aumeister am Nordende des Parks ist für uns der nördlichste Punkt im Englischen Garten erreicht, dem Schwabinger Bach folgend dreht der Kurs für weitere 3 km wieder gen Süden. Nach 37 km sind wir durch, insgesamt 9 km im Englischen Garten. Auf dem Rücken von Waldi führt uns der Kurs über die Schwabinger Leopoldstraße, Münchner Freiheit und Ackermannstraße zurück in den Olympiapark. Den Olympiaturm können wir bereits zum Anvisieren unseres Zielortes nützen.

München 1972 – Dem Ziel entgegen

Nach 40 km führt Shorter bereits mit über zwei Minuten, sein Sieg ist zum Greifen nah. Im Stadion wird derweil mit der 4 x 400-Meter-Staffel der Männer, das letzte Rennen auf der Bahn ausgetragen. Kurz nach 17.00 Uhr konzentriert sich das Publikum auf die ankommenden Marathonläufer. Als aus dem Marathontunnel der erste Läufer auftaucht und auf die Laufbahn stürmt, brandet frenetischer Jubel und Applaus auf, wie es sich für einen Marathon-Goldmedaillengewinner gehört. Aber es ist nicht Frank Shorter. Ein 16-jähriger Schüler mit der Startnummer 72 stürmt ins Olympiastadion. In einem günstigen Moment schlüpfte er durch die Menge und lief auf die Strecke, hier wird er für den echten Führenden gehalten. Die Polizei war angewiesen, konkurrierende Athleten nicht zu berühren oder zu stören, damit keiner wegen unerlaubter Hilfeleistung disqualifiziert wird. So gelangt der Schüler ungehindert durch den Stadioneingang auf die Strecke.

Der falsche Sieger ist bereits auf dem Abschluss seiner Runde, als Frank Shorter einläuft. Statt Sieger-Applaus hört er nur Johlen und Pfeifen, weil die Menge erkennt, dass Nummer 72 eine Fälschung ist. Rechtzeitig wird der Jugendliche noch abgeführt, ohne ins Ziel zu kommen, den verdienten Applaus hat er aber Frank Shorter gestohlen. Mit persönlicher Bestleistung und nur 8 Sekunden langsamer als der olympische Rekord in 2:12:19 läuft Frank Shorter über die Ziellinie. Erst auf seiner Ehrenrunde, bekommt er vom Publikum den Applaus, der ihm beim Zieleinlauf zugestanden wäre. Hinter ihm folgen mit über 2 Minuten Abstand der Belgier Karel Lismont und Mamo Wolde aus Äthiopien.*

Am Spiridon-Louis-Ring ist unser Finish so gut wie „safe“. Am höchsten Berg von München biegen wir nach rechts ab, in den 850.000 Quadratmeter großen Olympiapark, der vor einem halben Jahrhundert zum Wahrzeichen Münchens geworden ist. Aus 10.000.000 Kubikmeter Schutt, der sich 56 Meter auftürmt und aus der stark kriegszerstörten Stadt herangefahren wurde, ist der Olympiaberg entstanden und in die traumhaft schöne Parklandschaft integriert worden. Ich hätte jetzt gerne noch den kleinen Umweg über seine Spitze gemacht und die sagenhafte Aussicht auf den gesamten Olympiapark und über München genossen, aber mein Knie stimmt mir zu dem Vorhaben heute nicht mehr zu. Charly und Andy haben sich das im Gegensatz zu mir aber nicht nehmen lassen.

Wir befinden uns gerade auf dem Zulauf zum Marathontor des Olympiastadions, als es plötzlich laut im Stadion wird …nein, kein Jubel für uns, es beginnt gerade der Soundcheck von Ed Sheerans Band. Da wir wegen der Konzerte nicht rein können, hat Andreas noch eine Schleife um den Großen Olympiasee in die Streckenführung integriert, um wieder zurück zum Startplatz an den Olympischen Ringen zu gelangen und auch um die im Olympiastadion gelaufen Runden unseres Originals auszugleichen.

Der gesamte Olympiapark hat sich mittlerweile stark gefüllt, in 50 Jahren hat er nichts von seiner Faszination eingebüßt. Seit der Eröffnung fanden über 11.500 Veranstaltungen mit mehr als 200 Millionen Besuchern statt. Neben den Konzerten von Ed Sheeran, spielen heute noch die Red Bull München gegen Slovan Bratislava in der Eishalle. Morgen finden Rennen der Super League Triathlon statt, nur um einige zu nennen. Sowas nennt sich wohl Nachhaltigkeit, während viele andere ehemalige olympische Orte und Arenen langsam verfallen.

Durch die Menschenmenge trudeln wir die letzten Meter nur mehr ganz locker unserem vereinbarten Ziel entgegen, das etwas unterhalb der Wiese liegt, wo die Ringe stehen. Hier warten bereits die schnelleren unserer kleinen Veranstaltung, teilweise schon frisch geduscht. Dieter ist wieder einmal unser Sieger und das sogar in einer ansprechenden Zeit. Wobei diese auch bei ihm heute nur eine nebensächliche Rolle gespielt hat und das gilt ausnahmslos bei allen. Heute eint uns alle, einfach nur den olympischen Geist gespürt zu haben, auf den Spuren der Olympioniken von 1972.

Das Lob an die Organisatoren für die Gestaltung des Kurses kann ich auch nach 50 Jahren nochmals wiederholen, die Runde durch München auf den Spuren von Waldi ist großartig, mit traumhaft schönen Ausblicken. Dafür dürfen wir uns alle noch einmal herzlich bei Andreas bedanken, der uns mit der Idee und Durchführung des „50 Jahre Olympia Marathon München“ ein unvergessenes Erlebnis beschert hat.

* aus dem Buch „The Olympic Marathon“ von David E. Martin und Roger W. H. Gynn, frei übersetzt von Bernie Manhard

 
   
 
Charly
Bernie
Greppi
5:32:43
5:49:07
7:51:23
   
Veranstalter: isarmarathon.de  
 
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