Als erste dürfen am Samstag die Ultras auf die Strecke, um 6.30 Uhr erfolgt deren Start. 15 Minuten vorher sollten alle am Startplatz stehen, es werden Teile der Pflichtausrüstung kontrolliert. Etwas frisch ist es um die Zeit noch, aber der fast wolkenlose Himmel wird schnell dafür sorgen, dass uns warm wird. In 30 Minuten Abständen folgen der TS42 und TS26. Um 9 Uhr dürfen die TS16er ran.
Kurz nach dem Ultra-Start steht der Kontrolleur auch schon wieder bereit, um meine Pflichtausrüstung für den T42 zu kontrollieren. Handy, Rettungsdecke und die ausgefüllte Rückseite der Startnummer mit Namen, Notfallkontakt und Blutgruppe müssen vorgezeigt werden. Überschaubar ist das Starterfeld, Corona hat seine Spuren hinterlassen. Mit 65 Ultras und 40 Marathonis sind die Starterfelder noch spärlich. Deutlich mehr sind es bei den kürzeren Distanzen, so dass das Event über 400 Teilnehmer zählen kann.
Um Punkt sieben geht es für uns los. Eine flache Gurgeltalschleife über zwei Kilometer auf Asphalt lässt mich schön auf Temperatur kommen und wir nehmen auch gleich den Tschirgantgipfel ins Visier, der im grellen Sonnenlicht direkt vor uns liegt. Der erste sachte Anstieg führt uns in einem Bogen an den Südwesthang des Tschirgant nach Karrösten (km 6). Als besondere Auffälligkeit liegt die Gemeinde im tirolweiten Vergleich ganz vorne an der Vielzahl von Sonnenstunden. Heute kommen hier wieder einige dazu. Auf dem Sturmerweg geht es durch den Ort. Plötzlich bekomme ich eine Meldung von meiner Uhr: „Abweichung von der Strecke“. Ich kontrolliere meinen Track und tatsächlich, ich habe die Abbiegung übersehen. Ein Hoch auf die moderne Technik, der Track konnte auf der Veranstalter-Website runtergeladen werden, so bin ich nach 30 Metern wieder zurück auf der Strecke und sehe jetzt auch das Streckenband im Wind flattern.
Nach Ortsende geht es in den Tschirgantwald wo ich nach 7 km vom Führenden des TS26 im geschmeidigen Laufschritt und bei der Abwicklung eines Telefonates überholt werde. Kann er locker machen, hinter ihm sind noch keine Verfolger in Sicht. Unmittelbar danach kommt die erste Verpflegungsstelle. Ich hab ja was läuten hören, über 20 verschiedene Sorten an Kuchen sollen die Mitgliederinnen von Trailmotion Tirol gebacken haben und werden uns heute serviert. Und so isses, einem zweiten Frühstück steht nix im Wege.
Nach 8 km verlassen wir den bequemen Almweg und zweigen rechts ab auf wunderschöne Trails, wo ich auch gleich von Charlotte Dewilde, der in Innsbruck lebenden, belgischen Vorjahressiegerin überholt werde. Wegen der Berge hat sie Belgien verlassen. Es wird jetzt auch spürbar steiler und die Trails sind so schmal, dass ich der aufrückenden TS26-Meute öfter mal Platz machen muss. An einigen Aussichtspunkten bekommen wir bereits herrliche Ausblicke in den Imster Talkessel geboten. Über eine saftig grüne Almwiese erreichen wir die Karröster Alm, wo die erste Zwischenzeit gemessen wird und auch Getränke angeboten werden. Wir haben mittlerweile 9,5 km auf der Uhr.
Wir steigen noch weiter über die Almen auf und erreichen nach gut 11 km die Streckentrennung. Für die Ultras und die T26 Läufer*innen geht es auf den angekündigten, technisch anspruchsvollen Abschnitt, wo auch Trittsicherheit und Schwindelfreiheit verlangt wird. Hier muss ein seilversicherter, leichter Klettersteig überwunden werden, der auf den Gipfel führt.
Für den Marathon bedeutet das aber nicht, dass unser finaler Abschnitt auf den höchsten Punkt easy going ist. Ein extrem wurzeliger Part, zwingt auch uns dazu, alle Viere einzusetzen. Von oben kommt mir eine Mitläuferin von der Ultrastrecke entgegen. Da stimmt wohl etwas nicht. Traurig zeigt sie mir ihren kleinen Finger, der im Gelenk im 45 Grad-Winkel absteht. Ist auf dem besagten Klettersteig passiert, das Rennen ist für sie beendet und nun auf dem Weg nach unten.
Als wir den bewaldeten Abschnitt verlassen, führt uns ein steiniger Pfad zwischen Latschen hindurch an der Bergflanke entlang diagonal weiter aufwärts. Unser Schlussabschnitt ist hier fast komplett einsehbar, ebenso wie das Gipfelkreuz des Tschirgant. Mittlerweile habe ich auf Vanessa aufgeschlossen und bekomme so auch wieder eine Läuferin vor die Linse.
Nach 12,5 km ist unser höchster Punkt am sogenannten Frühstücksplatzl auf 2200 m Höhe erreicht. Ich muss erst einmal Inne halten und diesen unglaublichen Rundumblick auf mich wirken lassen. Geprägt von den Ötztaler und Lechtaler Alpen bis zur Mieminger Kette und auch die Zugspitze ist von hier aus zu sehen. Von rechts oben kommen uns die Läufer*innen des T52 und T26 entgegen. Sie dürfen 150 Höhenmeter weiter aufsteigen und dieses unglaubliche Panorama noch einen knappen Kilometer länger und von etwas höher genießen.
Die anschließenden zwei Kilometer sind technisch anspruchsvoll und verlangen volle Konzentration, so gehe ich diese Gratwanderung erst einmal etwas gemütlicher an. Wunderbar einsehbar ist, wie dieser einzigartige Grat das Inntal vom Gurgltal trennt, garniert von intensiv kobaltblauen Blüten des Stängellosen Enzians und lieblichen rosafarbenen Alpenröschen.
Anfangs führt uns der Bergrücken nicht ausschließlich abwärts, es mischen sich auch einige Anstiege darunter. Bei einer kurzen Kraxelei an einem Felsabschnitt, übersehe ich wieder einmal die Streckenmarkierung und folge einem anderen Pfad, dadurch bringe ich mich in eine unangenehme Situation. Ich muss erst einmal durchatmen, ein Fehltritt und mein Lauf ist beendet. Es zwar sind nur ein paar Meter, die ich unterhalb des Felsens vorbei klettere, aber die haben es in sich. Mein Track leitet mich wieder sicher zurück auf den richtigen Kurs. Vanessa hinter mir, hat das vernünftiger gelöst und ist richtig gelaufen. Ich lasse ihr jetzt wieder den Vortritt und habe so auch wieder ein Model vor der Linse.
Nach dieser tricky Einlage beginnt aber der wahre Lauf-Spaß, je tiefer wir kommen, umso laufbarer werden die Trails. Nach einem Latschenabschnitt folgt ein traumhaftes Almplateau wo wir über unglaublich sattgrüne Wiesentrails nach 4 Kilometer auf dem Rücken des Tschirgant, leider unseren Endpunkt an der Labestelle in der Nähe der Heiminger Alm erreichen. Jetzt bin ich doch etwas neidisch, dass die Ultras noch weitere 5 km von diesem unvergesslichen Erlebnis vor sich haben. Dafür gibt es jetzt Cola und neue Sorten von Kuchen an der Labe.
Nach einer ausgiebigen Stärkung liegt ein 9 km langer Downhill runter nach Strad vor uns, wir verlieren dabei über 1000 Höhenmeter. Vanessa hat noch Lust mit mir zu Laufen, so machen wir uns wieder gemeinsam auf den Weg. Selten bin ich auf so einer gut laufbaren Schotterstraße ins Tal geführt worden. Mit gemäßigtem Gefälle geht es serpentinenartig abwärts und ich kann es wunderbar entspannt laufen lassen, dabei bekommen wir auch immer wieder neue Aussichten auf das Tal geboten. So macht sogar Forststraßenlaufen unglaublich viel Spaß.
Ich bin wohl zu sehr in meinem Flow, plötzlich brettert es mich auf die Straße und lege dabei eine Rolle in den Staub. Nix passiert, bis auf einen heftigen Aufschlag auf die rechte Rippenseite, was mir aber nach kurzem Durchschnaufen keine größeren Probleme bereitet.
Kurz bevor wir die Talsohle erreichen, wartet noch im Wald ein Getränkestand auf uns. Eine Helferin bereitet mich schonend auf die Hitze vor, die mich im Tal erwarten wird. Nach 27 km sind wir unten. Boah eh, die 27 Grad heizen hier ordentlich auf, bisher war von diesen hohen Temperaturen überhaupt nichts zu spüren, für mich war es oben traumhaft angenehm. Am Gurglbach entlang führt uns ein kleines Teersträßlein bis zu einer Unterführung unter der Mieminger Straße durch. Ich bin froh, dass wir in Walchenbach wieder aufwärts und in den Wald verschwinden dürfen. Viel kühler wird’s zwar nimmer, so hoch geht’s nicht mehr rauf, aber der schattige Wald ist doch um einiges angenehmer. |