Nach 2019 steht die 42K-Strecke zum zweiten Mal im Programm, die Streckenführung wurde nochmals verändert, nachdem die Distanz bei der Erstauflage noch bei 41,7 km lag, weist sie heuer auch eine korrekte Marathonlänge von 42,5 km auf. Wie auch der 24K führt sie bis auf eine Höhe von fast 2400 m. Leider ist in der Nacht der prophezeite Wetterumschwung eingetreten und am Morgen hängen die Wolken bis tief hinunter ins Tal. Aber immerhin ist es regenfrei und es soll auflockern.
Für 7 Uhr ist der Start terminiert, Anwesenheitspflicht bereits eine halbe Stunde vorher. Beim Einlass in den Startkanal werden Teile der Pflichtausrüstung kontrolliert. Das nehmen die Verantwortlichen Martin Scheiber und Simon Schreiber selbst in die Hand. Wichtig sind ihnen das Erste-Hilfe-Set mit Kompressen, ausreichender Getränkevorrat und die Wärmebekleidung. In meinem Fall habe ich die Regenjacke gleich übergezogen, die Temperaturen sind drastisch gesunken, die Schnellfallgrenze soll bei 2000 m liegen, so ist die Kontrolle gut nachzuvollziehen. Wichtig ist ihnen auch die Beschriftung von mitgeführten Gels mit der Startnummer, Filzstifte stehen hierzu bereit. Wer kennt sie nicht, die entsorgten Plastikverpackungen in der wunderschönen Bergwelt. Natürlich werden auch keine Getränkebecher ausgegeben, für Behältnisse ist jeder selbst zuständig.
Mit einem stattlichen Kanonendonner werden wir um 7 Uhr in den Kunstnebel geschickt, am Himmel sind aber schon erste Wolkenlücken auszumachen. Das sieht doch sehr positiv aus, für den weiteren Tagesverlauf. Am Start befinden sich heute 94 Teilnehmer*innen. Der erste Kilometer führt uns durch Umhausen, bereits vom Start weg ist die Strecke leicht ansteigend.
Wenig später verlassen wir die Teerstraße, ein kurzer fordernder Anstieg führt uns in den Wald und am Wasserwaalweg entlang. Der wunderbare, fast ebener Single Trail auf weichem Waldboden entlang dieses schmalen Bewässerungskanals lässt uns noch einmal kurz durchschnaufen. Bereits vor hunderten von Jahren wurden sie angelegt, um das dringend benötigte Wasser an die gewünschten Orte zu bringen. In trockenen Zeiten war das Bewässern der Wiesen und Felder sehr mühsam, daher wurden die künstlichen Bewässerungsanlagen geschaffen, welche Waale genannt werden.
Nach überqueren einer Brücke über den Horlachbach ist es aber vorbei mit gemütlichen cruisen, es wird steil und schweißtreibend. Anfangs noch auf einem breiteren Naturweg folgen wir dem rauschenden Gebirgsbach. Bald wird der Weg schmaler mit ersten eingearbeiteten Naturstufen. Nach etwa 2,5 km taucht erstmals der Stuibenfall und die aufregende Konstruktion der Urkraftbrücke in unserem Sichtfeld auf. Weniger zu Sehen bekomme ich von meinen Kontrahenten, viele sind schon weit vor mir und nur mehr als kleine Punkte auf der Brücke zu erkennen.
Ein schmaler und supersteiler Serpentinenpfad mit weiteren eingearbeiteten Stufen – hier sind auch gestern die Kenianer nicht mehr gelaufen – führt uns runter von Naturboden bis zum Einstieg auf das Stahlgitter der Stuiben Urkraftbrücke. Meine Aufregung hält sich heute natürlich in Grenzen, nachdem ich sie gestern schon ausgiebig unter die Lupe bzw. Füße genommen habe. Aber selbstverständlich ist die Vorfreude riesengroß und auch heute wieder ein großartiges Erlebnis. Einen Vorteil hat das mittlerweile schon weit auseinandergezogene Startfeld für mich, es befinden sich nicht mehr viele Mitläufer*innen auf der Treppe. Irgendwie bemerke ich das Schwanken aberh kaum mehr. Man gewöhnt sich daran, so kann ich die Passage noch mehr genießen. Wobei dem heute natürlich Grenzen gesetzt sind, da ich ja eigentlich auch schnellstmöglich vorankommen sollte. Mein Tipp, macht es wie ich und stattet dem Stuibenfall einen separaten Besuch ab. Es lohnt sich.
Nicht weniger beeindruckend ist die darauffolgende Treppenkonstruktion, an ein paar Aussichtspunkten kommen wir ganz nahe an den Stuibenfall ran und sind mit dem tosenden Wasser und dem feinen Sprühnebel des Stuibenfalls, dem „Stuiben“ fast auf Tuchfühlung. Entstanden ist der Wasserfall, als der Horlachbach vor ungefähr 9000 Jahren von herabfallendem Geröll und Steinen unterbrochen wurde, und sich so einen neuen Weg ins Tal suchen musste. An Tagen, an denen er besonders viel Wasser nach unten befördert, können es bis zu 2000 Liter pro Sekunde sein.
Nach 728 Natur- und Stahlstufen und etwa 500 Metern über diese Konstruktionen habe ich es „leider“ hinter mir, über eine letzte kleine Brücke neben dem Beginn des Wasserfalls bin ich oben angekommen mit immerhin bereits 450 Höhenmetern im Gepäck. Mäßig steigend führt eine Forststraße zu unserer ersten Verpflegungsstelle nach 4 km. Wasser, Iso und Obst werden angeboten. Dringend empfohlen ist hier seinen Getränkevorrat wieder aufzufüllen, zwischen der nächsten Labe liegen jetzt etwa 1000 Höhenmeter und 11 km.
Am Horlachbach entlang geht es für uns erstmal über grüne Wiesen etwas entspannter weiter Richtung Niederthai. Dort erwartet eine nette Abwechslung auf uns. Um einen etwa 30 m langen sausteilen Aufstieg auf einen Hügel über eine Wiese zu erklimmen, hat man dort zwei Seile gespannt, die in Abständen mit Halteschlaufen versehen sind, so können wir uns daran hochhangeln. Oben wartet dann die Fotografin. Zu meinem Pech ist gerade kein weiterer Kletterer vor oder hinter mir auszumachen, so gehe ich leider fotografisch leer aus. Es ist auf alle Fälle gar nicht so einfach, das mit Stöcken in der Hand zu bewältigen.
Kurz darauf steht der Anstieg auf den Narrenkogel an. Eine Forststraße macht den Beginn, aber wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, bereits nach wenigen Metern geht es links ab in den hohen Baumbestand des Sennhofer Waldes hinein. Der schmale Bergpfad beginnt von Anfang an gleich richtig steil und unwegsam. An baumfreien Abschnitten bieten sich immer mal schöne Ausblicke hinunter nach Niederthai, dem Sonnenplateau des Ötztals, die Sonnenabschnitte halten sich aber heute bisher noch in Grenzen.
Von hinten schließt Josef auf mich auf und ich lasse ihn schnell überholen, damit ich auch wieder einmal Personen auf meinen Bildern habe. Er sieht mir nach einem richtig kernigen Bergwanderertyp aus und vermute ihn in meiner Altersklasse. Ich versuche dran zu bleiben. Zu einer Unterhaltung kommt es aber nicht, ich glaube er versteht kein Deutsch. Etwas weiter oben passieren wir kleine Feuchtbiotope und Quellen und ich erfreue mich an einigen Enzianen, die ich natürlich auch ablichte. Schon ist Josef mir entschwunden. Meine Beine fühlen sich heute aber auch nur suboptimal an. Die erste Rampe weist permanent Steigungsprozente zwischen 25 bis über 45 auf, der Aufstieg ist schon sehr mühsam.
Nur wenige etwas gemäßigtere Abschnitte lassen kaum ein Durchatmen zu. Mittlerweile felsdurchsetzt führt unser weiterhin supersteile Weg durch den lichten Zirbenwald bis an die Waldgrenze, von wo dann auch das Gipfelkreuz des Narrenkogel in Sicht kommt und es auch etwas gemäßigter wird. Am Kreuz (km 9) herrscht trotz vieler Wolken gerade ganz ordentliche Weitsicht. Wir befinden uns hier auf amtliche 2309 m über N.N. Ein paar Meter weiter, kann ich links von mir auf einem Felsvorsprung noch ein zweites Gipfelkreuz ausmachen. Des Rätsels Lösung: Der Narrenkogel gilt sowohl als Hausberg von Umhausen als auch von Niederthai, deshalb hat er zwei Gipfelkreuze. Welchem diese 2309 m zugeschrieben werden, lässt sich für mich schwer abschätzen.
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