Raceday
Während meiner Anfahrt vom Hotelzimmer um 6 Uhr zum Startgelände ist es noch dunkel und es regnet dazu immer noch leicht und durchgängig, das macht mir wenig Hoffnung auf eine Wetteränderung. Die Teilnehmer*innen an der Deutschen Meisterschaft im Ultratrail und auf der XXL-Strecke machen sich als erste Starter gerade auf den Weg, sie dürfen eine 20 km lange Zusatzschleife auf die andere Talseite von Reit im Winkl absolvieren, bevor sie dann quasi als Rest die XL-Runde vor sich haben.
Ich trete wie immer auf der „XL“ an, gemeinsam mit den Starter*innen der L-Strecke geht es für uns eine Stunde später um 7 Uhr los. Fünfzehn Minuten vor dem Start ist außerhalb der Halle noch sehr wenig los, die meisten halten sich lieber noch im warmen Festsaal auf. Sogar die Kontrolle der Pflichtausrüstung kann man heute Indoor vornehmen. Ich kann das gut nachvollziehen, muss aber auch durchaus einige bewundern, denen das weniger ausmacht und sehr knapp bekleidet an den Start gehen. Da die meisten aber ihre Wärmebekleidung anhaben, sind die Kontrolleure gnädig, ihnen genügen Handy und Erste-Hilfe-Set.
Ein paar Minuten vor Startbeginn bekommen wir noch ein Ständchen von den Alphornbläsern geblasen. Sie haben es auch vorgezogen, im Saal zu bleiben. Mittlerweile ist es fast hell geworden und …es hat tatsächlich aufgehört zu regnen. Schau mer mal, wie lange es hält? Ich habe für alle Fälle einen größeren Rucksack gewählt, mit noch ein paar zusätzlichen Wechselklamotten drin.
Jutta, Rudi und Stephan und der Bürgermeister von Reit im Winkl geben pünktlich den Start frei. Durch einen mystischen pinkfarbenen Nebel verlassen wir das Startgelände. Zuerst umrunden wir die Sportanlage und bewegen uns anschließend Richtung Waldrand. Die ersten Kilometer sind noch flach und bieten sich wunderbar zum Einlaufen an. Über den Krautloidersteg überqueren wir die Lofer und weiter geht es im Märchenwald an ihr entlang. Jetzt wo es nicht mehr regnet, legen die ersten bereits ihre Regenjacken wieder ab.
Nach 3 km erreichen wir Gut Steinbach und wenig später den ersten Anstieg. Aber Obacht, hier gibt es eine Streckentrennung. Ein Ordner weist uns darauf hin. Die L-er bleiben im Tal, ihnen werden die ersten 500 Höhenmeter erspart. Ihre Streckenlänge hat sich wegen der Änderungen auf ca. 43 km erhöht. Ein Schotterweg führt uns nach oben. Seitlich können wir viele gefällte Bäume ausmachen, die mussten erst beseitigt werden, um den Weg hier freizumachen, als Folge des Unwetters. Nach gut 9 km haben wir unseren ersten Anstieg hinter uns, es geht abwärts. Fast ausschließlich auf einer gut zu laufenden Forststraße. Von hinten rücken bereits die ersten Hundeführer*innen auf, die eine halbe Stunde nach uns gestartet sind. Die Vierbeiner sind aber auch prächtige Zugmaschinen, wie ich so beobachten kann. Da bleibt wenig Luft für die Mädels zum Verschnaufen.
An der Nattersbergalm (km 12) ist eigentlich unsere erste Verpflegungsstation vorgesehen. Eine Mitläuferin, die gerade von der Hütte kommt, meint: hier gibt es nix. Ok, dann weiter. Da muss etwas schiefgelaufen sein. Vielleicht kommt ja später noch eine Station, so wie früher an der Seegatterl Alm, denke ich mir. Nach 14,5 km sind wir unten und erreichen den Parkplatz der Gondelbahn Seegatterl-Winkelmoosalm. Die 8er Gondelbahn kann in einer Stunde 2600 Personen in das Skigebiet befördern. Wir überqueren den weiträumigen Parkplatz, aber auch an der Seegatterl Alm ist tote Hose. Zur Pflichtausrüstung gehört auch das Mitführen von 0,75 Liter Flüssigkeit, so bediene ich mich jetzt an meinem eigenen Vorrat, dafür isser ja da.
Umleitung
Die nachfolgenden acht Kilometer mussten als Folge des Unwetters neu ins Streckenprofil aufgenommen werden. Sind meist nicht ganz so prickelnd für Trailrunner, aber allemal besser als gar nicht zu laufen. Die kommode Schwarzlofer Forststraße führt uns am gleichnamigen Wildbach entlang aufwärts. Dabei bekommen wir besonders zu Beginn auch einige schöne Einblicke in die wildromantische Schlucht geboten. Flankiert wird unser Aufstieg wieder von jeder Menge gefällter Bäume am Wegesrand.
Seit geraumer Zeit warte ich bereits, dass mich die Elite-Läufer der Deutschen Meisterschaft überholen. Dann ist es auch so weit, als Erster passiert mich mit lockeren Schritten Benedikt Hoffmann, aber Manuel Hartweg ist ihm mit einer guten Minute Abstand auf den Fersen. So nach und nach rücken weitere Meisterschaftsläufer auf. Dabei kann ich durchaus unterschiedliche Herangehensweisen beobachten. Während die einen locker und flockig durchpowern, legen andere auch Hiking-Abschnitte ein, um Kräfte, an abschnittsweise steileren Passagen, zu schonen. Viele sind gut gelaunt und freuen sich über meine Anfeuerung, während andere eher konzentrierter bei der Sache sind. Ich versuche immer alle zu fotografieren, aber viele Bilder fallen den schwierigen Lichtverhältnissen zum Opfer. Aber es macht Spaß und bringt Abwechslung die Asse zu beobachten, wenn es schon keine Berge zu sehen gibt.
Nach 23 km komme ich endlich in den Genuss einer ersten Labestelle, meine Getränkeflasche ist schon seit einiger Zeit leer. An der Station neben der Sonnenalm wird uns einiges geboten. Mein Frühstück ist etwas mager ausgefallen, habe daher großen Appetit und freue mich auf eine ordentliche Brotzeit. Brote mit Schinken und Käse, Obst und auch Kuchen werden angeboten. Dazu heißer Tee und Cola. Ich benötige ein paar Minuten, um meine verbrauchten Energien wieder aufzufüllen. Ach ja, und noch was …es regnet noch immer nicht. Das hätte ich nicht für möglich gehalten und ist doch ein guter Ansatz für meine zweite Rennhälfte.
Genau genommen befinden wir uns ja in einem Drei-Länder-Wettkampf, denn wir durchqueren Bayern, Tirol und Salzburg. An der Landesgrenze zum österreichischen Bundesland Salzburg geht es jetzt durch das Natur- und Europaschutzgebiet Winklmoos. Auf einer Länge von 1,5 km ist das Moorgebiet mit ca. einen Meter breiten Brettern ausgelegt und bewahren uns vor nassen Füssen. Vor mir laufen eine Frau und ein Mann mit großen Rucksäcken und Funkgeräten. Sie sind die Schlussläufer der L-Strecke“, erzählen sie mir auf Nachfrage. Deren Teilnehmer*innen sind kilometermäßig noch nicht so weit. Ich hatte schon so eine leichte Befürchtung, liege aber hochgerechnet weit vor dem Zeitlimit von 11 Stunden für die XL-Strecke.
Direkt an der Landesgrenze ziehen wir am Waldrand den Scheibelberg hinauf. Zwischendrin steht ein alter Grenzstein. Nach Ende des Bretterabschnitts wird das Terrain immer schlammiger und feuchter, wir befinden uns jetzt auf einer Skipiste. Dazu fängt es auch an zu nieseln. Nicht schlimm, aber meine Brille ist beschlagen und beeinträchtigt meine Sicht. Als erste Frau der DM überholt mich Juliane Rößler.
Vor der Bergstation der Scheibelbergbahn ist unser Wiesenaufstieg beendet, es geht nach links weiter ins Skigebiet Steinplatte. Über 500 Meter führt uns eine Abfahrt tiefer ins Skigebiet, bevor wir wieder weiter aufsteigen müssen. Ich benötige dringend eine Pause, ich sehe kaum mehr was.
Am Speichersee auf Höhe der Schwarzloferbahn wechseln wir über ins Bundesland Tirol. Hier ist das Wetter wieder trocken und beim anderthalb Kilometer langen Downhill bekommen wir sogar eine ganz passable Aussicht geboten. Man sieht zumindest die Berghänge auf der gegenüberliegenden Talseite. |