Tschirgant Sky Run
Gründlich vermiest, oder zumindest größere Sorgen bereitet haben mir unseren Renntag am Freitagabend leider noch sämtliche Wetter-Apps und Wetterberichte, die uns Starkregen und Gewitter für den gesamten Samstag vorhersagen, daher traue ich meinen Augen kaum, dass mein erster Blick aus dem Fenster am Morgen auf einen wolkenlosen blauen Himmel fällt.
Bis zum Start des TS52 um 6.30 Uhr ziehen dann doch langsam einige Wolken auf. Aber beim Kurz-Briefing vor dem Start gibt Lukas Kocher Entwarnung, die Gewitter bleiben aus, aber mit etwas Regen ist für den Nachmittag zu rechnen. Somit sind auch die Routen von keiner Änderung betroffen. Damit kann ich gut leben.
Die ersten die heute auf den Weg geschickt werden sind um 6.30 Uhr die knapp 100 Starter*innen des TS52. Direkt im Anschluss wird der Einlass in den Startkanal des Marathons geöffnet. Am Eingang wird die Pflichtausrüstung kontrolliert. Bei der Wettervorhersage muss natürlich eine Regenjacke mitgeführt werden, dazu ein Mobil-Telefon und ein Erste-Hilfe-Set mit Rettungsdecke. Alles durchaus verständlich und auch im üblichen Rahmen.
Beat aus der Schweiz spricht mich an: ich bin schuld, dass er da ist, er hat meinen Bericht von 2022 gelesen. So etwas freut mich natürlich und ich glaube kaum, dass er enttäuscht wird. Kurz vor 7.00 Uhr wird es langsam ernst. Mit AC/DC werden wir in verhaltener Lautstärke auf den „Highway to hell“ geschickt. Am Mittwoch habe ich die Jungs um Angus Young und Brian Johnson noch live im Olympiastadion in München erleben dürfen, so kommen gleich wieder freudige Erinnerungen auf.
Die ersten Meter zum Einlaufen sind gar nicht mal so angenehm, der Startkanal neben der Kletteranlage liegt bereits etwas tiefer und auch der gesamte erste Kilometer am Ortsrand von Imst führt immer schwach bergauf, so benötige ich etwas um in Schwung zu kommen. Nach einem rechtsknick auf die Gurgltalschleife wird es aber entspannter, wir rollen leicht abwärts.
Nach drei Kilometern erreichen wir den Wald und wenig später auch die erste wirkliche, aber noch nicht ernsthafte Steigung. In einem Bogen laufen wir am Südwesthang des Tschirgant entlang bis nach Karrösten. Genau unter uns verläuft hier der 5 km lange Roppener Tunnel der Inntalautobahn. Etwa einen Kilometer nach dem Ortsdurchlauf erreichen wir nach ca. 7 km unsere erste Labestation. Ganz ungewohnt wird bereits so früh Cola angeboten. Zusammen mit einem Stück Kuchen nehme ich das Angebot zu einem ersten Frühstück für mich gerne an. Während der Pause flitzt bereits der Führende des eine halbe Stunde nach uns gestarteten TS26 vorbei. Pause braucht er natürlich nicht.
Fast vom Start weg bin ich mit Karl-Walter unterwegs, ihn kennt von Veranstalterseite so ziemlich jeder Ordner, auch hier wird er wieder angesprochen. Bei jedem seiner Starts wurde er bisher als ältester Teilnehmer prämiert. Seinen Bekanntheitsstatus hat er aber bei seinem ersten Auftritt hier erlangt, als er sich oben auf dem Grat schwer verletzte und mit dem Heli ausgeflogen werden musste und darauf wird er auch immer wieder angesprochen. Das ist kein billiges Vergnügen, das man ohne eine dementsprechende Versicherung (wird hier auch vom Veranstalter angeboten) nicht ersetzt bekommt.
Ein schöner Forstweg führt uns durch den Tschirgantwald weiter aufwärts. Mittlerweile herrscht jetzt richtig Betrieb, immer mehr Läufer*innen des TS26-Feldes rücken von hinten auf. Gelegentliche Aussichten hinunter ins Gurgltal belegen, dass wir bereits einige Höhenmeter geschafft haben. Karl-Walter und ich lassen uns auch von den deutlich schnelleren TS26-igern nicht aus der Ruhe bringen und wir genießen die zwischenzeitlichen Panoramen. Ein Selfie auf einer Aussichtsplattform gehört dazu.
Eine Beschilderung führt nach rechts auf einen Geo-Lehrpfad, dieser führt auch an ehemaligen Stolleneingängen und Abraumhalden vorbei. Ab dem 15. Jahrhundert wurden am Tschirgant Blei, Silber und Zink abgebaut. Nach 9,5 km erreichen wir die Karröster Alm und auch unsere zweite Versorgungsstation. Vor dem Zelt ist eine erste Zwischenzeitmessung eingerichtet. Alle vier Routen führen bis hierher, die Starter*innen des TS16 haben aber ihren höchsten Punkt erreicht und dürfen sich auf einem anderen Weg wieder nach unten begeben.
Es wird spürbar steiler und nach Durchquerung einer sattgrünen Almwiese auch deutlich rustikaler. Nach gut 11 km erreichen wir die Streckentrennung. Ein Ordner passt gut darauf auf, dass die T52- und die T26-Läufer*innen ihrer Route nach rechts folgen. Auf dem technisch anspruchsvolleren Abschnitt, wird auf einem seilversicherten, leichten Klettersteig auch Trittsicherheit und Schwindelfreiheit verlangt.
Nach der Trennung wird es für Karl-Walter und mich schlagartig ruhig, wir sind noch die restlichen in Sichtweite verbliebenen Marathonis, aber ich kann mich erinnern, es müssten schon noch ein paar hinter uns liegen. Hier auf etwa 2.000 m Höhe liegen sogar noch ein paar Restschneefelder, die es zu übersteigen gilt, dazu einige knifflige Geröllabschnitte. Der Schlussabschnitt führt uns auf einem Steig diagonal an der Bergflanke entlang durch Latschen auf den Grat. Das Gipfelkreuz des Tschirgant, sowie die geröllige und felsige Flanke des Tschirgant Gipfels liegen hier direkt vor uns. Ich versuche angestrengt, in der Felswüste noch Starter des TS26 auszumachen, kann aber niemand entdecken.
Am sogenannten „Frühstücksplatzl“ haben wir es geschafft und unseren höchsten Punkt auf dem Tschirgantgrat auf knapp über 2.200 m erreicht. Frisch hier oben. Von Gipfel herunter treffen hier auch die Teilnehmer*innen des Ultras und TS26 ein, die Ordner müssen wieder aufpassen, die Strecke des TS26 führt an einer Streckentrennung abwärts, während wir uns wieder mit der Ultrastrecke vereinen und gemeinsam auf dem Grat weiterlaufen. Die meisten Ultraläufer scheinen aber bereits durch zu sein, was den Abschnitt über den Grat für uns etwas beleben und sich natürlich auch auf meinen Fotos gut machen würde.
Bevor es weiter geht, muss ich natürlich erst einmal diese unglaubliche Aussicht genießen. Links in Laufrichtung liegt das Gurgltal, rechts das Oberinntal und das vordere Ötztal. Ganz im Süden zeigt sich die Silhouette des Alpenhautkammes mit teils noch weißen Spitzen. Es hat sich leider weiter zugezogen, aber noch ist es trocken und wir haben größtenteils freie Sicht, nur vereinzelte Wolken beeinträchtigen die Sicht nach unten.
Der vier Kilometer lange Streckenabschnitt auf dem Grat ist sicher das Highlight des Marathons und natürlich auch beim Ultra, nur haben sie noch ein paar Kilometer mehr zum Genießen. Zu Beginn wird der Pfad auf dem Grat aber erst einmal sehr alpin, was für mich und Karl-Walter bedeutet: Gas raus und im Hikingmodus weiter. Vor uns im Visier liegt das wieder etwas höher gelegene Haiminger Kreuz. Als Besonderheit weist der Bergrücken des Tschirgant gleich drei Gipfelkreuze auf, die den jeweils von den Orten Karres, Karrösten und Haiming aus zu sehenden, markantesten Punkt des Gebirges markieren. Das am höchsten gelegene ist das Karrer Gipfelkreuz auf 2.370 m Höhe, an dem der TS52 und TS26 vorbeiführen. Es steht aber nicht auf dem höchsten Punkt des Tschirgant, der liegt noch ein Stück weiter östlich und wird nur von einer Eisenstange markiert. Dazu gibt es noch das Karröster Kreuz das auf dem Vorgipfel auf 2.175 m steht.
Unser Weg zum Haiminger Kreuz ist felsig und nicht ungefährlich und man muss auch mal die Hände einsetzen um nach oben zu klettern. Karl-Walter hat ja noch ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel als ich und lässt hier noch mehr Vorsicht walten, so bleibt er immer weiter zurück. Aber ich bekomme bald neue Models vor die Linse, von hinten rücken Sarah und Isabella von der Ultrastrecke auf. Während einer Unterhaltung mit Isabella, stellen wir fest, dass sie aus Friedberg stammt und lange dort gelebt hat. Ja, so klein ist die Welt.
Nach dem Haiminger Kreuz und diesem kleinen Zwischenaufstieg durch felsiges Terrain geht es nun langsam abwärts und wir schlängeln uns durch Wälder von Latschenkiefern. Die sind meist nicht allzu hoch, so können wir auch immer wieder das Panorama nach unten einsehen. Nach etwa 3 km auf dem Grat erreichen wir die Baumgrenze, welche uns dann doch die Sicht nach unten stark einschränkt. Entschädigt werden wir dafür aber mit einem traumhaften Single-Trail durch lichten Bergwald über einen wunderbar zu laufenden weichen Wiesenboden. Nach 16,8 km erreichen wir auf 1.800 m Höhe unsere nächste Labe unweit der Haiminger Alm. |