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Nach Reindlau – Km 56 – Zeitlimit 21:15 Uhr

Die Hälfte unserer vertikalen Meter sind bereits Geschichte, folglich muss noch mal genauso viel kommen. Los geht’s damit sofort im Anschluss. Der Wurzige Steig führt uns, wie sein Name schon sagt, über unzählige Wurzeln im Gutwald bis zur Wangalm. Wer ein paar Euros einstecken hat, kann sich hier ein leckeres Weißbier gönnen.

Nach der Alm wird es wieder sehr steil. Bis hinauf zum Scharnitzjoch auf 2.046 m gibt es keine Verschnaufpause in Form von flacheren Abschnitten. Höchstens man verweilt für einige Zeit auf einem der zahlreichen Felsbrocken. Klaus hat gerade ein Tief und gönnt sich hier eine kleine Auszeit, bei mir läuft’s wieder ganz passabel. Auf dem Joch wird uns wieder ein toller Ausblick ins Tal und auf die umliegenden Gipfel geboten. Links Scharnitz-, und Schüsselkarspitze, rechts Gehrenspitze flankieren unseren bevorstehenden Abstieg.

Gibt’s noch was Härteres wie mörderische Aufstiege? Ja, manche Abstiege killen die Oberschenkelmuskulatur regelrecht. Sind spürbar kraftaufwändiger und mit Ermüdungsfaktor auch bedeutend gefährlicher. So einer liegt vor uns. Halsbrecherisch geht es im ersten Abschnitt schroff hinunter. Schnee, Felsen, Matsch und Rinnsale, alles dabei. Ich bin hier eher etwas zurückhaltender unterwegs, möchte keinen Absturz riskieren. Muss aber trotzdem Bodenkontakt aufnehmen. Erst zur Hälfte wird es etwas angenehmer. Dafür aber noch steiler. Auf Waldboden mit vielen Naturtreppen geht es in engen Serpentinen runter. Mit heiß gelaufenen Oberschenkeln treffe ich nach 6 Kilometern mit über 1.000 m im Abstieg an V5 Hubertushof Reindlau ein.

„Alles klar bei dir?“ werde ich gefragt. Ich bestehe den medizinischen Check problemlos, fühle mich auch noch erstaunlich gut. Wer auf dem Zahnfleisch daher kommt, hat eventuell schlechte Karten noch weiterlaufen zu dürfen. Bis heute Morgen gab es die Möglichkeit, sich hierher Wechselbekleidung deponieren zu lassen. Ich hole mein Dropbag und begebe mich ins Umkleidezelt und bin richtig baff. Jan sitzt hier, ich dachte er ist längst über alle Berge. Ich wechsle komplett auf trockene Kleidung und auch auf Gore-Tex-Schuhe. Viele Wasserstellen hatten wir bisher zu durchqueren, ich denke in der Nacht könnten die wasserdichten Schuhe vielleicht von Vorteil sein, wenn nur mehr begrenzte Sicht herrscht.

25 Minuten benötige ich für Verpflegung, Kleiderwechsel und Kamerareinigung. Laufende Fotografen haben es schwer mit Stöcken in der Hand, daher habe ich meinen Fotoapparat immer in meinen Ärmling gesteckt um sie schnell parat zu haben. Die superschlaue Idee hat mir leider viel Ausschuss eingebracht. Der Linse hat das feuchte Klima im Ärmel nicht behagt und ist dabei angelaufen und richtiggehend verschmiert. So müsst auch ihr auf ein paar herrliche Aufnahmen verzichten.

Zur Partnachklamm – Km 79,4 – Zeitlimit 2:30 Uhr

Jan ist schon ein paar Minuten weg und Klaus kommt gerade rein als ich aufbreche. Mein Zeitvorsprung zum Cut beträgt nach der Pause immer noch 2 Stunden. Ausbauen war also nicht möglich bei dem letzten schwierigen Abschnitt. Aber jetzt kommt der etwas leichtere Streckenteil mit deutlich weniger Auf- und Abstiegen. Die folgenden 6 km sind dann auch nicht das, was Trailer unbedingt lieben, aber man kann schnell ein paar Kilometer machen. An der Leutascher Ache entlang führt uns ein Wirtschaftsweg flach bis zur Leutschklamm. Der letzte Kilometer davon sogar auf einer Teerstraße. Die Pause hat mir sichtlich gut getan, ich komme schnell voran.

Dann durchqueren wir die Leutaschklamm, die erst 2006 touristisch erschlossen wurde und als Geisterklamm vermarktet wird. An 40 Infopunkten werden Informationen zu Mythen, Geologie, Flora und Fauna der Umgebung den Besuchern näher gebracht. Für 1,4 Mio. Euro wurden im deutsch- österreichischen Projekt Stahltreppen und Brücken montiert.

Mit 1.650 Metern Länge ist sie die längste erschlossene Klamm der östlichen Kalkalpen. Und im Übrigen Eintrittsfrei. Die Stahlkonstruktionen liegen leider nicht auf unserem Weg, wir durchqueren die Klamm oberhalb auf dem Wanderweg ohne die spektakuläre Aussicht auf den rauschenden Fluss. Am Ausgang ist noch ein Kilometer bis Mittenwald zu laufen, wieder ganz flach. „35 km to go“ weist das Kilometerschild vor. Der Hohe Kranzberg rechts von mir, wird schon von der tiefstehenden Sonne rötlich angestrahlt. Ich möchte noch ganz gerne bis Sonnenuntergang am Ferchensee bei Km 70 eintreffen und darf nicht trödeln.

Die Wasserstation in Mittenwald wurde noch kurzfristig zusätzlich eingeschoben und ist außerordentlich gut bestückt, obwohl sie nur Wasser führen sollte, betont die Helferin. So wird uns sogar erstmals heute Cappuccino angeboten. Zwar nur Instant, aber immerhin, wir haben noch eine ganze Nacht vor uns und da kann etwas Koffein nicht schaden.

Ein leichtes Auf und Ab führt uns auf schmalen Waldwegen zum Ferchensee, der nur von kleinen Bergbächen gespeist wird. Ein herrliches Idyll. Die Sonne ist weg als ich ankomme. Schon von weitem ist das große Johannisfeuer auszumachen, das neben unserer Versorgungsstelle errichtet ist.

Wir haben heute Johannisnacht, das ist die Nacht auf den Johannistag vom 23. auf den 24. Juni., Gedenktag der Geburt Johannes des Täufers. Seit dem 12. Jahrhundert ist der Brauch des Johannisfeuers bekannt. Im Mittelalter führte man vor allem Tänze um die fliegenden Funken auf. Da das Fest auch in die Zeit der Sommersonnenwende fällt, war es im Volksglauben mit vielen Bräuchen, wie Fruchtbarkeitsriten verbunden. Der Sprung über die Feuersbrunst sollte sowohl baldige Heirat als auch Schutz vor Hexen und Geistern versprechen. Rings um den See, überall kann man hoch oben auf den Bergen die lodernden Feuer ausmachen.

Für 7 km geht es auf dem komfortablen Bannholzerweg eigentlich immer geradeaus, nochmals so eine Passage die wenig anspruchsvoll ist und auch kaum was für‘s Auge bietet. Mittlerweile ist es Nacht geworden, so kann uns die Reizarmut ziemlich egal sein. Aber der breite Wirtschaftsweg bietet uns bei Dunkelheit auch einen unschätzbaren Vorteil. Man kann hier relativ gefahrlos schnell vorankommen. Der Günter Kromer hat mittlerweile auf mich aufgeschlossen und wir laufen zusammen. Wir haben ja schon mehrere Abenteuer zuletzt gemeinsam bestritten. Zudem: Gemeinsames Licht ist doppelte Sicht.

Rechts geht’s runter auf den Kälbersteig, jetzt heißt es alle Konzentration zusammennehmen. Der Abstieg ist steil und schwierig, bis zur V-Stelle an der Partnach führt der ruppige Pfad ausschließlich über Naturtreppen und viele Wurzeln nach unten. Kurz nach Mitternacht erreichen wir die Labe am Eingang zum Reintal. Mein Zeitpolster hat sich somit wieder leicht erhöht. Die Versorgung lässt keine Wünsche offen, ist äußerst üppig bestückt. Es gibt so ziemlich alles was auf was man jetzt Appetit haben könnte, wie: Suppe, Belegte Brote, Früchte, Nüsse, Riegel, Kuchen, Gels, Cola, Red Bull, Almdudler und Kaffee.  

Zur Längenfelder – Km 88 – Zeitlimit 4:30 Uhr

Nach der Überquerung der Partnach geht es rein in die Klamm. Viel ist natürlich im Dunkeln nicht mehr zu sehen, der Schein unser Stirnlampen kann uns hier auch keine große Übersicht mehr bieten. Über die Eiserne Brücke passieren wir in der Klamm erneut die Partnach. Sie entspringt im Reintalanger und ist der natürliche Abfluss des Schneeferners, dem Rest unseres eiszeitlichen Gletschers auf dem Zugspitzblatt. Den Vermutungen nach gibt es unter dem Zugspitzplatt einen See, der die Partnach speist. Berechnungen zufolge gibt das Platt 350 Liter Wasser pro Sekunde ab, die Partnachquelle jedoch mindestens 500. Die Differenz soll von diesem Höhlensee ausgeglichen werden.

Relativ kommod ist der erste Teil des ca. 1.000 Hm langen Anstiegs durch das Reintal, hinauf auf‘s Kreuzeck zu bewältigen. Dann geht’s rein in den Druidenwald …zumindest spukt er mir gerade so im Kopf herum, in Wirklichkeit heißt er Stuibenwald. Ich muss wohl gerade an Miraculix denken, der im Druidenwald immer die Misteln geschnitten hat für Asterix‘s Zaubertrank. Den könnte ich jetzt gut vertragen, mein „Vertical Limit“ ist so langsam erreicht. Aber unbarmherzig und rustikal geht es nach oben.

Ein kleiner Lichtspot von ein paar Quadratmetern ist alles was die Stirnlampe bieten kann, ringsum herrscht sonst totale Dunkelheit im dichten Wald. Fast, es gibt noch diesen famosen glasklaren Sternenhimmel und Dutzende von Glühwürmchen vor und hinter mir. Das sind die Mitstreiter. Raumgewinn und Entfernung bis zum Plateau sind kaum einzuschätzen. Als einzigen Orientierungspunkt dienen mir immer die Lichtpunkte der Stirnlampen über mir. Gibt es sie nicht mehr zu sehen, müssten wir oben sein.

Aber sehr, sehr, lange zieht sich die Besteigung hin. Es ist ruhig im Wald, keiner gibt Töne von sich, jeder ist mehr oder weniger mit sich selbst, der schwierigen Strecke und diesem hammerharten Aufstieg beschäftigt. Nach 20 Stunden erreiche ich V8 Talstation Längenfelder. Der Speisen- und Getränketisch ist wieder reichlich gedeckt. Eine warme Suppe, Kaffee & Cola machen müde Trailer schnell wieder munter.

Zum Finish– Km 100 – Zeitlimit 9:00 Uhr

Unsere vertikalen Meter sind an der Station aber noch nicht beendet, uns fehlen immer noch fast 400 m im Aufstieg bis zur Bergstation Alpspitzbahn am Osterfelderkopf auf 2029 m ü. NN. In 8 Stunden wird unten im Tal der Osterfelder Berglauf gestartet, führt genau auch über diesen Abschnitt. An der Hochalm führt eine Rampe gefühlt kerzengerade in den Himmel, da bleibt einem fast die Spucke weg. Kurz nach dem Felsdurchbruch bin ich ganz oben. Gefühls- und Höhenmetermäßig. Es ist 4:15 Uhr. Der Horizont zeigt schon leicht rote Ansätze.

Aber noch ist nichts erreicht, der finale Abstieg zählt mit zum härtesten was die Strecke zu bieten hat. Meine Beinmuskulatur ist steif und müde. Ist momentan nicht wirklich gewillt zu laufen. Und es ist nochmals sehr gefährlich zwischen den Felsen. Manche Stellen sind mit Stahlseilen gesichert. Um 4:30 Uhr fängt der Himmel an zu glühen, was für ein Anblick. Es ist überwältigend.

Um 5 Uhr bin ich wieder zurück an der Station Längenfelder. Die letzten beiden Läufer auf der Strecke kommen gerade vom Anstieg aus dem Stuibenwald. Diesmal mache ich nur einen kurzen Stopp, mit den ersten Sonnenstrahlen ist mir warm geworden, die Jacke muss runter. Die Getränkeflasche muss auch nicht mehr aufgefüllt werden. Juhu, für mich geht‘s jetzt nach Hause. Nur noch 7 km. Die haben es aber nochmal in sich.

Nach 23:10 Std. bin ich im Ziel, die Zeit ist mir Schnuppe, aber ich bin stolz diesen grandiosen Lauf geschafft zu haben und dieses Abenteuer erlebt zu haben. Der ZUT ist eine harte Nummer, 90 Ausfälle von 400 Starter/innen sprechen eine deutliche Sprache. Aber man muss einfach dabei gewesen sein.

Mein persönliches „Vertical Limit“ ist hier ebenfalls erreicht …zumindest für heute!

 
Einfach herrlich.
Höchster Punkt der Strecke.
Jan kurz vor dem Abstieg.
Brotzeit an der Hämmermoosalm.
Wasserpassagen gab es viele.
Aufstieg zum Scharnitzjoch.
Umkleidezelte an V5-Hubertushof (km 56).
Kompletter Schuh- und Kleidungswechsel.
Der Hohe Kranzberg im Abendlicht.
Ferchensee.
Johannisfeuer auf den Bergen.
Johannisfeuer an V7-Ferchensee.
4 Uhr. leichte Morgenröte über Garmisch.
Ein letztes Schneefeld zum durchqueren.
5 Uhr, die Sonne geht auf.
Ein Traum in Rot.
Nach 23 Stunden im Ziel.
Zwei glückliche Finisher.
 
ERGEBNISSE
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Thermen-Marathon
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Marathon des Sables
Défi des Seigneurs
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Zugspitz Ultratrail
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Frauenfelder Marathon
   
 
 
Jan
Bernie
 
12:43:11
13:10:04
Günter's Video vom Ultratrail
 
     
       
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