Als letztes Jahr der Vorschlag kam, die Pfingstferien in Schweden zu verbringen, war ich natürlich sofort dabei. Dass am 2. Juni der Stockholm Marathon stattfindet war mir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht klar, aber keine zwei Tage später stand auch schon die Anmeldung. Über 21.000 Meldungen sollten bis zum Anmeldeschluss eingehen, was für den Stockholm Marathon einen neuen Rekord darstellte.
Bereits am 26. Mai flogen wir, das heißt natürlich Silke, Jessi und ich, sowie unsere Freunde Christa und Otto nach Stockholm. Von dort aus fuhren wir erst einmal in das 330 km entfernte Filipstad. Dort trafen wir Ottos Schwester Elfriede und ihren Mann Hartmut. Sie hatten uns ein Haus am See organisiert. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg. 30 km durch den schwedischen Wald führten uns immer weiter weg von der Zivilisation. Das Haus, das zur kleinen Ortschaft Bosjön gehört, liegt einsam und idyllisch gelegen leicht erhoben am gleichnamigen See.
Zwischen Elchen, Bären und Wölfen hatten wir für die nächsten Tage ein Zuhause. Den See konnte man auf Waldwegen umrunden und so hatte ich natürlich ein hervor-ragendes Terrain, um meine letzten Vorbereitungsläufe zu absolvieren. Die Läufe waren der absolute Traum. Während der gesamten Zeit vernahm ich keinen menschlichen oder einen durch einen Mensch erzeugten Laut. Eine traumhafte Stille, die mich umgab. Lediglich gelegentlich auftauchende Spuren eines Elchs erinnerten mich daran, dass ich nicht alleine im Wald bin. Den Rest der Zeit nutzten wir zum Fischen und Rudern und gelegentlichen Ausflügen, schließlich sollte unser Leihwagen ja nicht ungenutzt herumstehen.
Am 01. Juni verließen wir Bosjön um von der Stille ins belebte Stockholm zurückzukehren. Zunächst fuhren wir zum Hotel, um dort schon mal das Gepäck abzuladen. Zusammen mit Silke fuhr ich durch den Berufsverkehr zurück zum Flughafen, um den Leihwagen abzugeben. Da wir im Verkehrschaos mehr Zeit benötigten als gedacht, nahmen wir den nicht gerade billigsten, aber doch schnellsten Weg zurück in die Stadt. Der Arlanda-Express bringt einen mit über 215 km/h vom Flughafen in die Innenstadt. Die 45 Kilometer hatten wir so in nur 20 Minuten zurückgelegt.
Per Tunnelbana waren wir auch in wenigen Minuten an der Marathon-Messe angekommen. Der inzwischen einsetzende Regen verhieß für morgen nichts Gutes. Auf der übersichtlichen Messe hatte ich schnell meine Startnummer und meinen Chip für den Lauf in der Tasche. Das obligatorische Marathon T-Shirt musste ich mir natürlich auch noch kaufen. Danach trafen wir uns vor dem Hotel mit der restlichen Mannschaft, um noch eine Kneippe für‘s Abendessen zu suchen. Gestärkt ging‘s rechtzeitig ins Bett, um fit für den nächsten Tag zu sein.
Als ich um 10:00 Uhr morgens vor's Hotel trat, verging mir erst mal die Freude auf meinen sechsten Marathon. Nicht nur dass es regnete, nein es hatte auch nur 5°C und ein Sturm, der einen schon das Gehen schwer machte, war nicht gerade das was ich mir vorgestellt hatte. Aber was soll's. Es gibt kein Jammern. Je weiter ich mich per Tunnelbana der Haltestelle „Stadion“ näherte, umso mehr Läufer quetschten sich in die U-Bahn. Richtig glückliche Gesichter konnte ich nicht ausmachen.
Vor der Östermalms IP, auf der ja auch am Tag zuvor schon die Messe stattgefunden hatte, verabschiedete ich mich von meiner Familie und von meinen Freunden, nicht ohne, dass mich Silke nochmals fragen musste, ob ich mir das bei dem Wetter wirklich antun will. Zum zweiten Mal in meinem Leben antwortete ich ihr mit „Ja, ich will!“ Nachdem ich meine Kleidertüte abgegeben hatte und mir eine Folie übergezogen hatte, quetsche ich mich erst mal auf die überdachte Tribüne und suchte mir ein Plätzchen. Alle Läufer schienen sich hier gegenseitig wärmen zu wollen.
Kurz vor 12:00 Uhr machte ich mich auf der breiten Lidingövägen bereit. Dort sollte für mich und alle anderen der Startgruppe E und F um 12:10 Uhr der zweite Startschuss fallen. Vom Sprecher wurden alle Nationen in ihren jeweiligen Landessprachen begrüßt und kurz darauf ging`s endlich los. Über die Valhallavägen zur Oxenstiernsgatan war unser erster Höhepunkt bei Kilometer 3 die Strandvägen. Die Prachtstraße bietet den ersten Blick auf das Wasser, das Stockholm dominiert. Hier beginnen die sogenannten Schärengarten mit den 24.000 Inseln. Ich blicke kurz auf die Uhr: Brav, ich hatte mir vorgenommen immer knapp über 6 Minuten zu bleiben, damit ich bei diesem Wetter auch sicher ins Ziel komme. Bis jetzt passt alles, ich bin im Plan. Ans Wetter habe ich mich auch gewöhnt, so dass ich kurz bevor wir das königliche Schloss bei Kilometer 5 erreichen, auch endlich meine Plastikhülle ausziehe und in den Straßengraben befördere.
Durch den Stadtteil Slussen, der seinen Namen von der im 17. Jahrhundert erbauten Schleuse (Slussen) erhielt. Rund um die Schleuse gibt es heute, wie auch damals, viele Kneipen. Doch zum Einkehren bleibt keine Zeit. Zwischen Kilometer 7 – 8 sollte eigentlich wieder ein Highlight anstehen. Die Västerbron, ein endlos scheinende Brücke, sollte uns mit einem Blick nach rechts Stockholm in seiner vollen Pracht zeigen. Die Stadt war jedoch im dichten Regen kaum zu erkennen. Das interessierte jedoch kaum, der Wind auf der Brücke gab uns genug, woran wir uns erfreuen konnten. Bei Kilometer 9 überquerten wir im Stadtteil Kungsholmen noch mal eine kurze Brücke, die uns über einen Park führte. Dort fand gerade ein „Kubb“-Turnier statt. Ein einfaches aber spaßiges typisch schwedisches Spiel, das ich selbst ein paar Tage zuvor in Bosjön noch von Hartmut erklärt bekam und dort auch zum ersten Mal spielte.
Vorbei am Stadshuset, dem Stockholmer Rathaus, geht es weiter über die Centralen zu den Vasaparken. Der Vasaparkt war 1912 Trainingsgelände für die Teilnehmer der Olympischen Sommerspiele in Stockholm. Ach ja, inzwischen bin ich schon fast bei Kilometer 16 angekommen. Dort erwartet uns die Karlavägen, erneut eine Prachtstraße, die mit tollen Fassaden aufwartet. Und kurz darauf ist die erste Runde in Stockholm auch schon gelaufen. 16,6 km und 25,6 km sind die beiden zu absolvierenden Runden lang.
Wieder am Oxenstiernsgatan angekommen biegen wir diesmal aber nach links ab. Dort ist der Nobelpark, in dem ursprünglich ein Palast zur Verleihung des Nobelpreises errichtet werden sollte. Da der Bau nie in die Tat umgesetzt wurde, findet die Verleihung traditionell in der Stadthalle statt. Vorbei an den Botschaften der USA, Englands und auch Deutschlands, kommt die Halbzeit immer näher. Plötzlich werde ich von einem Mitläufer angesprochen. Seine Plastikhülle mit der Aufschrift „I love the wether in Sweden“ war mir zuvor schon mehrmals aufgefallen. „Ob ich den ein Augsburger sei“, wollte er wissen. Na klar antworte ich, fast zumindest. Er kommt auch aus meiner Gegend. Wir unterhielten uns kurz und wünschten uns noch viel Glück.
Kurz nach der 20-Kilometer-Matte ging‘s nach links auf eine lange Gerade Richtung 21,1-Kilometer-Matte. Ungeschützt kam nun der Wind von vorne, Regentropfen peitschten mir ins Gesicht und fühlten sich an wie Nadelstiche. Es war eisig kalt und ich dachte kurzzeitig wieder an meine Plastikhülle, die sicher noch im Straßengraben lag. Bis Km 26 geht es im Zick-Zack immer weiter durch die Djurgärden, bis wir noch bei Km 28 das Freilichtmuseum „Skansen“ rechts liegen lassen. Dort findet man Schweden im Kleinformat, inklusive Tierpark. Tierpark? – Klar dass auch der Besuch mit Jessi dort noch ansteht. In den Djurgärden findet man auch noch das weltberühmte Vasamuseum, doch daran verschwende in nun auch keinen Gedanken.
Nun geht‘s aber wieder zurück in die Stadt, wo wir bis Km 41 die identische erste Runde laufen. Im Kopf begann ich mich mit Rechenaufgaben zu beschäftigen. Noch zwei Kilometer, dann hab ich nur noch zehn. Noch drei dann bin ich bei 35 km etc. So kam ich doch erstaunlich gut voran. Mein Tempo blieb gleichbleibend. Nur die Kälte beschäftigte mich immer wieder. Eine kurze Aufmunterung bekam ich etwa bei Km 36. Ich entdeckte am linken Straßenrand einen „Knorr“-Stand. Neugierig geworden griff ich mir einen Becher. Tatsächlich: Es war Knorr-Suppenbrühe. Da ich aber nichts riskieren wollte, fiel mir nur eine Möglichkeit ein, was ich mit der warmen Brühe anfangen konnte. Ich schüttete sie mir über meine schon leicht steif gewordenen Finger und wärmte mich so etwas.
Kurz vor dem Olympiastadion träumte ich dann schon vom Einlauf und vergaß auch beinahe die Kälte. „Papa, die Fahne!“ – Aus meinen Gedanken gerissen sah ich Jessi und Christa am Straßenrand stehen. Jessi reichte mir wie versprochen die bayerische Fahne, die ich mit meinen Fingern kaum noch halten konnte, aber ich konnte sie mir zum wärmen ja noch umhängen. 500 Meter später sah ich dann Silke und Otto mit Kameras bewaffnet. Also gut, hoch mit der Fahne, war ja so ausgemacht. Dann ging‘s endlich rein ins Stadion. Die Ränge war gut gefüllt und der Applaus war riesig und tat so gut. Die Fahne musste natürlich nochmals etwas wehen lassen und schon war ich da. Auf der großen Anzeigetafel des Stadions konnte ich lesen: „Andreas Greppmeir – GER – 4:26.22“. Jiepp, ich war zufrieden. Um die 4:30 wollte ich laufen und das habe ich – trotz der Umstände – gut hinbekommen.
Vor dem Verlassen des Stadions bekam ich noch einen riesen Oschi von Medaille in die Hand gedrückt. Komisch, war kein Bändel dran, wie soll ich die nun umhängen? Zurück im Östermalms IP pfriemelte ich noch den Chip aus den Schuhen und tauschte ihn gegen ein gelbes Finisher-Shirt. Ja, die Schweden wissen, was man beim Team TOMJ will. Als ich meinen Kleidungsbeutel wieder hatte verzog ich mich in eine halbwegs windgeschützte Ecke um mich umzuziehen. Schön langsam kam die Kälte wieder. Ich zitterte und hatte leichte Probleme beim Umziehen. Als ich Silke und die anderen in der U-Bahn wieder getroffen hatte, war ich froh, dass sich Silke während ich unterwegs war, eine neue, warme Jacke gekauft hatte. Bis zum Hotel war sie meine … Nach einer warmen Dusche und einem leckeren Abendessen war ich fast wieder wie neu und konnte mich nun auf eine paar weitere Tage in Stockholm freuen.
Das Wetter besserte sich auch Tag für Tag, so dass wir schließlich sogar bei sonnigen 20°C unseren letzten Tag genießen konnten. Stockholm ist eine tolle und äußerst lebendige Stadt, die sicherlich einen Besuch wert ist. Naja, und dass Petrus kein Marathonläufer war, daran kann man wohl nichts ändern. |