Raceday
Um 7:10 a.m. war Treffpunkt vor dem Hoteleingang, unsere Hoffnung
dass der vorhergesagte Wetterumschwung pünktlich zum Rennbeginn
eintrifft, erfüllte sich aber leider nicht, eigentlich hatten
wir auch nicht mehr damit gerechnet. Es war jetzt bereits richtig
warm und man musste sich wirklich ernsthafte Gedanken machen, wie
so ein Lauf anzugehen ist. Gerhard und Mario diskutierten noch,
wollten aber trotzdem versuchen mit der Brechstange ihre 3:15 durchzuziehen.
Ich hatte mich schon gedanklich auf eine Zeit knapp unter 4 Stunden
eingestellt, lieber ein paar Bildchen mehr fotografieren und nicht
so durchhetzen wie sonst üblich.
Von unserem Hotel aus waren wir in 10 Minuten im Startkanal, das
war schon mehr als ideal. Gerhard, Mario und ich hatten die Qualizeit
für Start Corral B erfüllt und uns dort für Zeiten
von 3:15 – 3:45 einteilen lassen, die Kapazität in dieser
Zone war auf 3000 Läufer beschränkt und man musste dies
auch schon im Vorhinein mit nachgewiesener Bestätigung, etwa
in Form einer Urkunde oder in unserem Fall druckten wir die Mika-Timing-Ergebnisseite
vom Hamburg-Marathon aus, in die USA faxen, vor uns waren noch die
Läufer von Corral A mit 1500 Startern und die 100 Top-Elite-Läufer.
Ca. 50 Meter hatten wir so nur bis zur Startlinie. Insgesamt standen
35.867 Läufer am Start, die Ausfallquote der Angemeldeten beträgt
damit 20 %, ein ganze Menge was sich so zusammen läppert in
9 Monaten.
Kurz vor dem Start saß oder stand man hier mit Singlet und
kurzer Rennhose bekleidet auf dem Straßenboden des Columbus
Drive und ohne sich überhaupt zu bewegen war es schon richtig
warm, und mehr Bekleidung hätte man jetzt schon gar nicht am
Leibe tragen wollen, manch einer zog jetzt bereits sein Hemd aus.
73 Degrees hatte es, das sind ein gutes Stück über 20
Grad, glücklicherweise wurde die Sonne noch von Schäfchenwolken
zurückgehalten, ich hoffte dass sie sich nicht so schnell vertreiben
lassen würde. Ich glaube kaum dass viele Kleidungsstücke
zum warmhalten bei der Kleiderabgabe abgegeben wurden. Über
unseren Köpfen schwenkte ein riesiger Kran seinen Ausleger,
vielleicht hatten sie dort ja ein Kamera installiert. Wir waren
direkt neben dem Hintereingang des Art Institut of Chicago postiert,
das gerade wieder um einen Anbau erweitert wird, am Donnerstag waren
Gabi und ich hier noch zu Besuch und ergötzten uns an der größten
Sammlung impressionistischer Gemälde außerhalb von Paris,
leider konnte ich eines meiner Lieblingsbilder: "Nighthawks"
von Edward Hopper nicht besichtigen, diese Abteilung war gerade
temporär geschlossen.
Kurz darauf wurde uns die amerikanische Nationalhymne von der in
Amerika berühmten Countrysängerin Jo Dee Messina präsentiert,
auch wenn’s nicht unsere war, ich fand es sehr bewegend. Sie
startete im Übrigen dann auch beim Marathon und kam auch ins
Ziel, als ich auf der Ergebnisliste ihre Zeit nachsah musste ich
schmunzeln, bei ihr konnte man als einzigster Teilnehmerin kein
Geburtsdatum nachlesen. Bestimmt hätte sie sonst nicht gesungen.
Start
Um 7:55 wurde für die Rollis der Start freigegeben und kurz
danach waren auch gleich unserer dran. Ziemlich unspektakulär
setze sich das Feld in Bewegung, ich konnte auf alle Fälle
keinen Startschuss vernehmen. Vorne ging es gleich mal ganz leicht
noch oben, vielleicht 10 Höhenmeter, wenn man sich umdrehte
hatte man einen traumhaften Überblick über das gesamte
Läuferfeld, da seilte ich mich doch gleich einmal in die Mitte
dieser, ich glaube 4 oder 5-spurigen Straße ab und zückte
auf der erhöhten Fahrbahntrennung meine Kamera. Gleich links
des Columbus Drive ging’s am Millennium Park vorbei, den besuchten
wir in den vergangenen Tagen gleich mehrmals, der zu erkennende
Jay Pritzker Pavillon ist schon eine wirkliche Augenweide. Dann
kam gleich ein Tunnel, solche Schattenspender hätten wir uns
im späteren Verlauf des Rennens noch mehrere gewünscht,
war aber leider nicht so.
Nach einem Kilometer überquerten wir das erste mal den Chicago
River, kurz danach bogen wir links in die Grant Avenue ein, wenn
man einen Blick nach rechts warf, konnte manwieder das 15 Stockwerke
hohe Ferris Wheel sehen. Bereits nach einer Meile hatte ich schon
ein richtig schlechtes Gefühl in den Beinen, ob es wohl an
den 3 Tagen Sightseeing mit den vielen Fußmärschen gelegen
hat oder jetzt schon an den Temperaturen? Hier mitten zwischen den
Skyscrapern von Downtown stand die Luft richtig, mir schnürte
es regelrecht den Hals ab.
Kann man bei uns auf solche Bedingungen trainieren, wahrscheinlich
nur in der Sauna. Ich laufe ja des öfteren meine langen Trainingsläufe
in der Mittags- und Nachmittagssonne, aber dies hier war irgendwie
was neues.
Kurz darauf passierte man das wunderschöne alte filigrane Wrigley
Building, das im Auftrag des gleichnamigen Kaugummikonzerns gebaut
wurde und das wirklich einen tollen Kontrast zu den neuen glattflächigen
Hochhäusern bot, genau wie der etwas rechts davon stehende
Chicago Tribune Tower mit seiner auffälligen gelben Kuppel,
dessen Wände mit vielen berühmten Steinen besetzt sind,
die von überall aus der ganzen Welt zusammen getragen wurden,
so u.a. ein Felsbrocken vom Mond und Fragmente des Alamo, des Kolosseums
und der Chinesischen Mauer. Die Zuschauer standen hier dicht an
dicht und machten ein riesiges Spektakel, das war schon wirklich
begeisternd und lenkte mich etwas von der Saunaluft ab.
Nach einem Linksknick ging es das zweite mal über den Chicago
River und nach einer Schleife durch die Wolkenkratzerschluchten
überquerten wir in noch einmal. Rechts von der Brücke
konnte man die Marina Bay sehen, zwei Hochhäuser im Maiskolben-Look,
unser höchstes Augsburger Gebäude wurde hiervon nachempfunden,
aber natürlich nicht ganz so hoch.
Links und rechts der Straße standen die Zuschauer durch die
gesamte Innenstadt dicht gedrängt und feuerten alle mit ohrenbetäubendem
Lärm an. Ich drosselte bereits hier mein Tempo leicht und ob
man es glaubt oder nicht, ich sah hier schon den ersten gehen.
Bei Meile 4 liegt rechts das John Hancock Center, es ist mit 344
Metern das drittgrößte Gebäude von Chicago, am Donnerstag
genehmigte sich unser Team noch im 96. Stockwerk ein Bierchen mit
sagenhafter Aussicht. Neben den Meilentafeln waren hier auch jeder
Kilometer ausgeschildert, ob das die ganze Strecke über war,
kann ich nicht mehr sagen, die könnten mir leicht entgangen
sein bei dem was sich noch abspielte. Wir befanden uns auf dem La
Salle Boulevard, hier in Chicago’s Financial District wurden
auch die Aufnahmen zu „Batman Begins“ gedreht, für
uns auch der Beginn eines überaus harten Workouts. Nach 8 Km/Mile
5 erreichten wir außerhalb von Downtown den Lincoln Park,
den größten Park der Stadt, hier gibt es mit dem Lincoln
Park Zoo, den größten eintrittsfreien Zoo der Welt. Rechts
der Laufstrecke konnte man einen Yachthafen sehen nicht weit von
Chicagos Gold Coast, dem Stadtteil mit den meisten Sandstränden
am Michigansee, hierhin verschlägt es die Einwohner im Sommer
zum sonnenbaden und schwimmen. Hier draußen im Grünen
war die Luft deutlich besser aber dafür wurde es langsam spürbar
wärmer. Die Wolken lösten sich hier aber so langsam auf.
Kurz danach macht der Kurs im Stadtteil Wrigleyville eine Wende,
hier weit außerhalb war dann auch eines der ruhigsten Viertel
des gesamten Laufes, es gab aber absolut keinen Punkt wo man alleine
war und im Vergleich zum NYC-Marathon vor 2 Jahren, würde ich
keine Behauptung aufstellen, wo mehr Leute an den Straßen
stehen, gefühlsmäßig sind die New Yorker höchstens
noch eine Spur enthusiastischer und lauter. Was mir aber wirklich
auffiel waren die wenigen kostümierten Läufer, scheinbar
nimmt man den Chicago Marathon sportlich gesehen etwas ernster als
NYC, heute wäre so eine Verkleidung aber vielleicht auch lebensgefährlich
gewesen.
Die hinteren im Feld mussten bereits hier um ihr Wasser kämpfen
und für viele gab es gar keines mehr, wovon ich aber nichts
mitbekam.
Ab Meile 10 beginnt Old Town, ein charmantes Viertel mit viktorianischen
Häusern, ursprünglich war es Mittelpunkt einer deutschen
Gemeinde, an diesem Tag hatte ich den Eindruck dass alle an die
Marathonstrecke gekommen waren, wir wurden wieder richtig angepeitscht,
das tolle schmiedeeiserne Stadtteilschild im Jugendstil gefiel mir
auch sehr gut, ich konnte es gleich zweimal erspähen und Elvis
sang hier auch, der darf natürlich in den USA nicht fehlen.
Ab hier gab es dann nur noch Sonne, manchmal konnten wir noch geschützt
von Hochhäusern im Schatten laufen aber die Wolken hatten sich
verzogen. Mein Beine wurden auch immer schwerer und mein Lauftempo
verringerte sich langsam aber stetig. Die Gehenden wurden immer
mehr und das obwohl hier viele mit einem Endziel von 3:30 und 3:40
unterwegs waren. Wenn man sich hier einem Pacer-Team anschließt,
bekommt man die Sollzeit die man laufen will, auf einem extra Schildchen
auf dem Rücken befestigt.
Von Km 15 bis kurz vor der Halbmarathon-Marke hat man fast immer
den Blick auf den Sears Tower, einst das höchste Gebäude
der Welt, einem Koloss aus 76.000 Tonnen Stahl. Mehr als 16.000
bronzefarbene Fenster wurden eingebaut. Er wurde 1973 erbaut und
hat 110 Stockwerke. Die Höhe beträgt insgesamt 443 Meter
ohne Antenne. Da die Antenne nicht zum ursprünglichen Gebäude
gehört, zählt sie bei der Höhenangabe nicht mit.
Sonst hätte er eine Höhe von insgesamt 520 Metern. Irgendwo
hat man dieses Gebäude beim kompletten Marathon von allen Himmelrichtungen
immer wieder mal vor den Augen.
Bei Km 20 stand Gabi im gelben Team TOMJ-Shirt und machte Fotos
von uns, wunderschöne Hasenohren vom Sponsor Energizer hatte
sie sich aufgesetzt, obwohl ich wusste dass sie hier irgendwo stand,
konnte ich sie bei der Menschenmenge nicht erspähen. Die Halbmarathonmarke
konnte ich gerade noch unter 2 Stunden passieren, hier war mir aber
schon längst klar, dass die 4 Stunden nicht annähernd
zu schaffen sind. Gerhard und Mario waren bis hier mit 1:39 noch
einigermaßen im Zeitplan. Um 10 Uhr wurden bereits 89 C Fahrenheit/knapp
32 Grad C gemessen, dieselbe Temperatur wie zeitgleich in der Wüste
in Las Vegas und in Miami/Südflorida. Der Tag wird als wärmster
7. Oktober und der Abschnitt als wärmster Indian Summer der
Geschichte eingehen. Ob die globale Erderwärmung daran Schuld
ist, keine Ahnung, 1984 wurden aber auch schon mal 84 C Fahrenheit
gemessen aber der Durchschnittswert liegt für Oktober bei min.
6 C - max. 18 C. Ich hatte eigentlich im Vorfeld eher noch die fröstelnden
Kenianer vom Vorjahr mit ihren weißen Handschuhen bei 4 Grad
C im Kopf und hoffte das dies heuer nicht so der Fall sein würde.
Von den berüchtigten kalten Winden, die hier des öfteren
durch die Hochhäuser ziehen, war auch nicht ansatzweise etwas
zu spüren, wie gerne hätten wir uns so ein Lüftchen
herbeigesehnt. Die Teilnehmer weiter hinten im Feld stiegen bereits
aus Wassermangel in Brunnen um sich zu abzukühlen. Manche gingen
auch in Tankstellen und kauften sich Getränke, andere mit Handys
laufende, verständigten Angehörige um sie mit Wasser zu
versorgen. Vorne bekamen wir dies zwar nicht mit, verwundert aber
auch nicht, für uns war reichlich da und man kostete es auch
übermäßig aus. Mit 3 – 4 Becher kam man pro
Versorgungsstelle einigermaßen durch, 2 Becher davon mussten
immer über den Kopf, wenn man so sagen will, wir soffen ihnen
vorne alles weg.
Kurz danach überholte mich Otto, er war noch gut drauf und
optimistisch die 4 Stunden zu packen, seine Aufforderung mit ihm
mitzugehen, konnte und wollte ich aber nur kurz folgen um ihn mal
zu fotografieren, zu diesem Zeitpunkt war mir die Zeit auch gar
nicht mehr wichtig, ich dachte nur noch daran irgendwie das Ziel
zu erreichen, so viele Geher hatte ich auch noch nie bei einer HM-Zeit
gesehen. Bei Km 23 war auch Mario und Gerhard das Tempo zu hoch,
sie gaben ihren Marschplan auf.
Nach 25 Kilometern, als es mit einem U-Turn in den Jackson Boulevard
ging, musste auch ich meine ersten Walking-Meter einlegen, erstmals
in meiner Marathonkarriere. Entlang der kompletten Strecke standen
auch immer wieder Anwohner mit Schläuchen an der Straße
und versorgten uns Läufer mit einer Wasserdusche. Der Veranstalter
hatte auch zusätzliche Eisstationen eingerichtet und zusätzlich
205.000 Becher an Getränken mehr als im Vorjahr ausgegeben,
all dies reichte bei weitem nicht. Nach 27 km erreichte man Little
Italy, der Stadtteil der in den 1920er und 1930er Jahren als Synonym
für die Mafia in den USA geworden ist, heute waren alle friedlich
und machten lieber Rabatz am Marathonkurs, auch die außen
liegenden Stadtteile machten gehörig Stimmung.
Race over
Genau um 11:30 Uhr bei Meile 18 hieß es dann für
fast 11.000 Läufer: "Stop running, walk, Race over".
Alle die diesen Punkt nach 3 ½ Stunden noch nicht überschritten
hatten, wurden auf direktem Weg zum Zieleinlauf zurück geleitet.
Per Helikopter und Polizei wurden sie zusätzlich aufgefordert
nur noch zu gehen. Günther war hier leider auch dabei, es war
ihm aber nicht ganz klar was passierte, er folgte einfach nur der
Menge. Ein Muskelfaseranriss in der Wade ließ aber sowieso
kein richtiges Laufrennen mehr für ihn zu, trotzdem hätte
er das Rennen lieber komplett und gehend beendet. Ich hatte diesen
Zeitpunkt glücklicherweise schon 45 Minuten früher passiert.
Die Wasservorräte sollen an diesem Punkt verbraucht gewesen
sein, dafür wurden hier in der Straße von der Feuerwehr
die Hydranten geöffnet, damit sich die Läufer abkühlen
konnten. Am Straßenrand konnte ich auch schon mal Läufer
unter ärztlicher Betreuung liegen sehen, 315 Notfälle
gab es insgesamt, davon mussten 195 ins Hospital gebracht werden,
bei Meile 19 verstarb leider ein 35 jähriger Police Officer,
es hieß er war in einem sehr guten körperlichen Zustand
und schon mehrere Marathons gelaufen.
Für mich wurde es wieder richtig laut, ich erreichte bei Meile
19 Pilsen, es wurde mal ursprünglich von Einwanderern der böhmischen
Hauptstadt gegründet aber mittlerer Weile ist es das größte
mexikanische Viertel, was unübersehbar war, die typischen Mexican
Street Art-Malereien an den Hauswänden waren nett anzuschauen
und mir mehrer Fotostopps wert. Die Mexikaner feuerten ihre Landsleute
vehement mit begeistertem "Mechico, Mechico" an, Mario
entdeckte sogar einen Tequila-Stand, den lehnte er aber doch dankend
ab. Schatten gab es kaum mehr, höchsten mal nah an den Häusern.
Meine Gehpausen wurden auch immer länger und meine Laufeinheiten
immer kürzer und langsamer, irgendwo entdeckte ich dann auch
ein Thermometer auf dem 32 Grad angezeigt wurden, wir hätten
hier auch locker irgendwo in Mexiko sein können. Mir kam es
eigentlich gar nicht soooo heiß vor, wahrscheinlich konnte
mein heißgelaufener Körper das gar nicht mehr richtig
aufnehmen. Dann ging’s in einer Unterführung unter dem mehrspurigen
Kennedy Expressway hindurch, für uns Läufer
bedeutete das wieder ein paar Meter Schatten. Bei KM 34 erreichten
wir Chinatown, an einer Art Stadttor empfingen uns chinesische Drachen
und führten ihre Jubel-Tänze auf. Alle Geschäftsschilder
wechselten sehr farbenfroh auf chinesisch. Ein bisschen Abwechslung
tat hier wirklich gut, ein richtiges Mauerwerk an Menschen stand
an den Straßen und feuerte uns erbarmungslos an, ich glaube
sie hatten auch etwas Mitleid mit uns, Sätze wie "Strong
men" u,ä. konnte ich des öfteren vernehmen. Das laufen
wurde trotzdem immer mühevoller, ich konnte mich nur noch mit
immer länger werden Gehpausen von Trinkstation zur nächsten
retten, meine Beine wollten einfach nicht laufen, die Helfer stand
oft mit Wasserkanistern am Rand und schütteten die Flüssigkeit,
wenn gewollt den Läufern über den Kopf. Wasser gab es
wenigstens noch reichlich. Mein Endzeit war mir unterdessen so was
von egal, Hauptsache noch irgendwie ins Ziel kommen ohne einen größeren
Schaden zu nehmen, denn noch lagen 2 Wochen USA Urlaub vor mir und
Gabi, die wollte ich nicht riskieren.
Über eine Brücke kreuzten wir den riesigen Dan Ryan Expressway.
und gelangten nach Bronzeville. Jetzt ging es fast nur mehr geradeaus
auf der Michigan Avenue zurück bis ins Ziel. Schutz vor der
Sonne gab es hier keinen mehr. Höchstens 30 Prozent liefen
noch, wahrscheinlich die allermeisten wie ich, abwechselnd mit laufen
und walken. Wäre interessant zu wissen, wie viele von den Läufern
überhaupt ohne eine Gehpause durchgekommen sind. Das ganze
ähnelte bei diesen Temperaturen mehr einem Überlebenstraining,
als einem vernünftigen Marathonlauf. Durch die vielen Geheinlagen
war meine Zeit natürlich jenseits von Gut und Böse und
lief jetzt schon auf eine Endzeit über 4 ½ Stunden hinaus.
Über uns kreisten immer wieder mal die Hubschrauber, fast wie
die Geier, um zuzustoßen wenn einer am Boden liegt.
Bei Meile 23 passierte man das gewaltige U.S. Cellular Field, dem
Baseball-Stadion der Chicago White Sox.
Gerhard war hier dann auch am Ende seiner Kräfte und Mario
der mit ihm eigentlich gemeinsam ins Ziel laufen wollte, lief jetzt
alleine weiter, er hatte noch ein paar Körner übrig und
holte noch einmal alles aus sich raus, er war dann auch der einzige
von unserem Team, der bei diesem brutalem Wetter, die 4 Stunden
unterbieten konnte, das Finisherfoto ließ er dann auch gleich
mit Eisbeuteln auf dem Kopf machen.
Genau bei KM 40 lag rechterhand das riesige McCormick Messegelände
und daneben das Soldier Field, Spielstätte der Chicago Bears
in der NFL, jetzt hatten ich es fast geschafft, es war noch eine
kleine Steigung zu bewältigen mit Blick auf das Field Museum
und Shedd Aquarium, es ist das größte überdachte
Aquarium der Welt, wir besuchten es am Freitag und ich hatte dieses
herrlich nasse Becken des weißen Beluga-Wal’s vor Augen.
Noch ein Linkskurve in den Grant Park hinein und wir waren auf der
Zielgeraden, natürlich lief ich hier und ließ mir auch
nichts anmerken von den Strapazen, denn hier stehen ja bekanntlich
die meisten Fotografen. 4:41 standen im Ziel für mich zu Buche,
eine Zeit die in meinen schlimmsten Alpträumen nicht vorgekommen
wäre, hätte ich welche gehabt. Dieser Lauf war aber auch
ein ganz spezielles Abenteuer. Trotz der ungewöhnlich hohen
Temperaturen bin ich der Meinung, dass an meinem Leistungseinbruch
zum Großteil die vielen Sightseeing-Unternehmungen ausschlaggebend
waren.
Besonderen und erwähnenswerten Sportsgeist bewiesen hier beim
Zieleinlauf auch zwei Sportler, die bei einer Endzeit von immerhin
knapp über 3 Stunden, einen Läufer, der 100 m vor dem
Ziel einfach umfiel und selbst nicht mehr in der Lage war allein
durchs Ziel zu gehen, unter die Arme griffen und bis zur Ziellinie
schleppten. Gabi hatte es beobachtet, während sie ungewöhnlich
lange im Ziel auf mich warten musste. Insgesamt finishten den kompletten
Marathon nur 24.933 Läufer.
After Race
Unser vereinbarter Treffpunkt im Ziel war am Buckingham Fountain,
eingefleischten Al Bundy Fans würde dieser Brunnen bekannt
vorkommen, da er immer im Vorspann der Serie zu sehen ist, hier
war vom Veranstalter die Runner Reunite Area eingerichtet, der Treffpunkt
zur Familienzusammenführung. Ich traf aber nur Mario an, Gerhard
hatte sofort den Weg zurück ins Hotel zur Erholung gesucht
und Otto hatten wir am Vorabend vergessen zu unterrichten. Kurz
darauf kam auch Günther, erst hier erfuhren wir recht überrascht
vom Rennabbruch, er machte sich aber auch bald auf den Weg ins Hotel
zurück.
Mario und ich wollten noch etwas von der Atmosphäre genießen,
nebenbei erzählte er mir was von einem eiskalten Bierchen,
seine "neuen" amerikanischen Freunde John und Bob hatten
ihm gleich nach dem Zieleinlauf den Kühlwagen von Budweiser
gezeigt, wo er auch gleich mal zwei Becher zwitscherte, ich brauchte
jetzt unbedingt auch eins. Wir hatten Glück und kamen ohne
Probleme wieder in die Zieleinlaufzone rein. 3 Becher eiskaltes
Michelob waren nach diesen Strapazen für uns beide fast wie
die Erlösung. Der Rückweg ins Hotel war jetzt irgendwie
schwebender und wir trafen auch noch unsere amerikanischen Heilsbringer.
Meine Kameraden waren am Nachmittag nicht mehr greifbar, so machte
ich mich allein mit Gabi auf den Weg zur Post-Race Marathonparty
in den Ballsaal des exklusiven Hilton. Dies war dann aber für
mich auch die größte und einzige Enttäuschung dieser
Tage, als Läufer hatte man noch freien Eintritt, für Gabi
musste ich aber 5 $ Eintritt bezahlen und man bekam dafür eigentlich
nichts. Oder höchstens die Möglichkeit an einem der aufgestellten
Computer seine genaue Laufzeit nachzusehen oder auf der Videoleinwand
die Fernsehaufzeichnung des Marathons anzuschauen, warum dafür
ein Begleiter eine Gebühr bezahlen soll, sind mir noch heute
ein Rätsel, vielleicht musste ja irgendeine Eskapade von Paris
Hilton damit beglichen werden. Es war zwar ein Büffet für
Burger, Hot Dogs und ein paar Beilagen aufgebaut, man musste aber
für alles extra bezahlen, nicht mal ein Getränk für
die Sportler gab’s gratis. In einem Nebenraum spielte noch
eine Band in unerträglicher Lautstärke und blecherner
Qualität. Für eine in allen Ausschreibungen groß
angekündigte After-Race-Party mit Gutschein doch ein bisschen
wenig. Lange hielten wir uns da natürlich nicht auf, der Nepp
war uns zu groß.
Am Abend gingen wir noch ein letztes Mal zum Essen. Es war noch
so herrlich warm, dass wir es im Freien zu uns nahmen. Es musste
natürlich nach überstandenem Marathon ein richtig fetter
Burger mit French Fries sein, so nennen die Amis die "Pommes".
Außer Gabi und Otto, sie wollten Kalorienmäßig
nicht so zuschlagen aber leider wurde ihnen das Falsche serviert,
alles richtig schön Fett triefend paniert. Als die Rechnung
kam, lernten wir jetzt doch noch das alte, windige Chicago kennen,
auf unserem Beleg standen 10 Hauptmahlzeiten für uns 6 Personen,
wir reklamierten natürlich. Auf der nächsten Rechnung
waren es dann nur noch sieben, das war aber immer noch eines zu
viel, Mario wurde es langsam zu bunt und nahm das in die Hand und
dann war wieder "ois Tschikago"!
Während Otto, Günther, Mario und Gerhard am Montag den
Heimflug antraten, die beiden letzteren durften sogar gleich nach
Ankunft, den Rest des Tages im Büro verbringen, flogen Gabi
und ich am nächsten Tag nach Las Vegas, während wir am
Nachmittag auf dem Strip spazierten, bei exakt 87 C Fahrenheit,
wurde auch mir so richtig bewusst, welche Affenhitze wir beim Rennen
ertragen mussten. |
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