Nach den ausgiebigen Feierlichkeiten ein halbes Jahrhundert „Laufend um den Wolfgangsee“, steht heuer die 51. Auflage an. Ein großes Jubiläum lockt meist auch immer zusätzliche Starter und Starterinnen zu den Events, was sich im Folgejahr dann wieder deutlich abschwächt. Beim Wolfgangseelauf ist das nicht der Fall. Beim „Goldenen Jubiläum“ 2022 waren knapp 4.000 dabei, heuer ist die Tendenz weiter steigend, fast 5.000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus 47 Nationen stehen in den Anmeldelisten. Am 26. Oktober 1972 lockte der damals zum ersten Mal ausgetragene 27-km-Bewerb, noch bescheidene 13 Starter ins Salzkammergut.
Im Laufe der Jahre kamen peu à peu noch diverse Distanzen hinzu. Hauptattraktion und Namensgeber ist der 27-km-Klassiker mit Start und Ziel in St. Wolfgang, der auf 2.500 Personen begrenzt ist. Kürzere Distanzen, wie der 10-km-Uferlauf (2003), 5,3-km-Panoramalauf (2005) und der Junior-Marathon (2009) folgten. Als letzter Laufwettbewerb kam 2011 der Salzkammergut Marathon dazu, mit einer Limitierung auf 400 Startplätze, er spielt im gesamten Portfolio aber eher eine untergeordnete Rolle. Der Start erfolgt hier im 15 km entfernten Bad Ischl, was dann zugleich auch die Anlaufstrecke darstellt, bevor die Marathonis auf die Klassikdistanz ab St. Wolfgang geleitet werden.
Bereits am Samstag dürfen sich Wanderer sportlich betätigen, für sie stehen heuer erstmals vier Distanzen zur Auswahl. Damit kehrt man auch zurück zu den Wurzeln der Veranstaltung, die aus den damals in Österreich sehr populären IVV-Volkswandertagen heraus entstand. Die Veranstalter wollen damit ganz gezielt gesundheitsbewusste Teilnehmerinnen und Teilnehmer ansprechen, denen es primär um moderate Bewegung in der wunderschönen Landschaft des Salzkammerguts geht.
Mit Charly reise ich am Samstag an, wir checken in Strobl im Hotel Stroblerhof ein. Unser erster Weg führt uns anschließend an die Schiffsanlegestelle runter zum Wolfgangsee. Wir wollen den PKW während unseres Aufenthalts nicht mehr bewegen und nach St. Wolfgang lieber mit dem Schifferl fahren, was ich auch morgen zum Start des Wolfgangseelauf so handhaben werde. Charly, der den Salzkammergut Marathon läuft, kann morgen in Strobl direkt in den vom Veranstalter gestellten Marathonbus nach Bad Ischl steigen.
Seit 150 Jahren sind die Orte am See schon mit dem Schiff zu erreichen. Anfang 1873 wurde das erste Schiff in Einzelteilen von Linz nach Strobl angeliefert. Am 20. Mai 1873 absolvierte das erste Dampfschiff seine Jungfernfahrt. Damit war die Linienschifffahrt am Wolfgangsee eröffnet, der im Übrigen früher Abersee hieß. Eine Benennung des Sees nach dem Ort St. Wolfgang findet sich erstmals mit „Wolfgangersee“ bereits im Jahr 1381, blieb aber noch lange Zeit eine Ausnahme. Eine endgültige Verdrängung des Namens „Abersee“ durch „Wolfgangsee“ wird erst auf den stark zunehmenden Tourismus in der Gegend nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgeführt.
Am Seeufer in Strobl beginnen um 14 Uhr die vielen unterschiedlichen Altersklassenläufe des Junior Marathon mit fast 500 Kindern und Jugendlichen. Wir treffen gerade zum ersten Start ein, bei dem der Jahrgang 2019 und jünger vertreten ist. Der jüngste Teilnehmer ist heute 18 Monate alt, der muss aber noch von einem Elternteil begleitet werden. Aber früh übt sich, wer ein Meister werden will.
In einiger Entfernung können wir bereits die sich rasch nähernde MS Salzburg ausmachen, so verabschieden wir uns schnell vom Junior Marathon. Die Schiffe sind hier recht flott unterwegs finde ich. In 25 Minuten Fahrzeit sind wir mit noch einem Zwischenstopp in Gschwend, am Anlegeplatz in St. Wolfgang, unweit der Pfarr- und Wallfahrtskirche St. Wolfgang und dem berühmten Weißen Rößl. Seit über 500 Jahren gibt es das Hotel schon, seit mehr als 100 Jahren ist es im Familienbesitz.
Verbunden mit einer kleinen Sightseeingtour machen wir uns auf den Weg zum Michael Pacher-Haus, wo wir unsere Startunterlagen empfangen. Um 18 Uhr findet dort später noch die Pasta Party statt, die sich hier „Griaß Eich" nennt. Ein Gutschein dafür befindet sich in unseren Startunterlagen.
Leider kommt wie vorhergesagt in der Nacht auch die Wetterwende im Salzkammergut an und einiges an Wasser vom Himmel, dazu fallen die Temperaturen in einen niedrigen einstelligen Bereich. Der Wettercheck am frühen Morgen vor der Hoteltür fällt daher nicht sonderlich positiv aus, aber wenigstens hat es wieder aufgehört zu regnen. Ich habe jetzt das Problem, dass ich nicht mehr weiß, was ich anziehen soll. Ich entscheide mich für etwas wärmer und mit Regenjacke im Rucksack, den ich eigentlich nicht mitnehmen wollte. Aber so kann ich ab- oder gegebenenfalls anlegen.
Das erste Schiff bringt mich um 8.45 Uhr nach St. Wolfgang. Warm eingepackt suche ich erst mal den Weg zum Michael Pacher-Haus, da ich noch über eine Stunde totschlagen muss bis zum Startprozedere. Dort gibt es im Veranstaltungsraum im 1. Stock, wo gestern die Pasta Party stattfand und nach dem Lauf die Siegerehrungen durchgeführt werden, einen angenehm warmen Saal mit Stühlen, wo man noch entspannen kann. In der 10 Gehminuten entfernten Volksschule, kann ich meinen Kleiderbeutel abgeben. Nebenan sind auch die Duschen, getrennt von Männlein und Weiblein untergebracht.
Anschließend begebe ich mich zum Startplatz im Herzen von St. Wolfgang, wo traditionell der Wolfgangseelauf gestartet wird. Bis spätestens 10.20 Uhr sollen sich alle im Startkanal einfinden, um einen geregelten Ablauf nicht zu gefährden. In drei Startgruppen ist dieser unterteilt, die Schnellsten starten im ersten Block um 10.30 Uhr, um 10.34 Uhr folgt der zweite und um 10.38 Uhr der dritte Block. Der Moderator am Startbogen ist gar nicht zufrieden mit der Undiszipliniertheit einiger Teilnehmer und beklagt sich mehrmals über die, die erst kurz vor dem Start eintreffen und sich jetzt noch irgendwie reinquetschen müssen.
Am Start des Klassik Run über 27 km sind heute 1.342 Sportlerinnen und Sportler. Die heutige Temperatur von knapp 10 Grad ist geradezu optimal für Bestzeiten, meint der Sprecher. Mein Wohlfühlbereich ist das nicht, mir wären die 18 Grad von gestern bedeutend lieber. Eine digitale Stimme zählt den ersten Start von 10 herunter und der erste Block darf sich auf die Runde begeben. Block zwei, in dem ich mich befinde, rückt derweil bis zur Startlinie vor, vier Minuten später, schickt auch uns die Stimme vom Band auf die Reise um den See.
Pünktlich mit dem Start fängt es auch leicht zu regnen an. Das geht ja schon mal gut los. Über die Pilgergasse geht es runter zur Anlegestelle der Schifffahrt und an der Talstation der SchafbergBahn vorbei. Sie ist die steilste Zahnradbahn Österreichs und führt bis auf den Gipfel des 1782 m hohen Schafberg. Bevor 1892/93 die Bahnschienen auf den Schafberg gelegt wurden, ließen sich noblere Herrschaften schon mal nach oben tragen. Aus Aufzeichnungen weiß man, dass sich in St. Wolfgang schon früh der Beruf des „Sesselträgers" entwickelte. Heute fährt man bequem mit der Bahn in 35 Minuten nach oben auf eines der Wahrzeichen des Salzkammerguts.
Nach etwa 10 Minuten ist der Regenschauer durch und es lässt sich gleich viel angenehmer laufen. Bis zum Ortsteil Ried geht es immer schön flach am Seeufer entlang. Nach 3 km erwartet uns bereits die erste Getränkestation mit Wasser, Iso und warmen Tee.
In Ried ist auch der Anstieg zum Falkenstein erreicht, zunächst noch mäßig steigend zieht sich die lange Läuferschlange durch eine grüne Wiesenlandschaft mit wunderbarem, rückwärtigem Blick hinunter zum „See“, wie man ihn hier am Wolfgangsee meistens nur nennt, als gäbe es keinen anderen.
Wir sind jetzt auf dem ältesten Pilgerweg Europas unterwegs. Mit Eintritt in den Wald wird es gleich spürbar steiler und anstrengender für alle. Die meisten in der Leistungsklasse um mich herum, inklusive mir, marschieren da lieber um Kräfte zu sparen. Auf 1,7 km Aufstieg sind über 200 Höhenmeter zu bewältigen und das ist recht üppig. Plötzlich wird es unerwartet hell im Wald, die Sonne bahnt sich immer wieder durch größere blaue Lücken, den Weg durch die Wolken. Damit habe ich heute überhaupt nicht gerechnet und war auch nicht so vorhergesagt, was für eine angenehme Überraschung.
Oben angekommen hat man an die Felswand des Falkensteins eine Wallfahrtskirche gebaut, sie ist dem heiligen Wolfgang geweiht und befindet sich über der Höhle, in der Bischof Wolfgang der Legende nach fünf Jahre als Einsiedler gelebt haben soll. Von dort schaute er hinunter auf den Abersee und fasste den Entschluss, unten am See eine Kirche zu bauen. Um den richtigen Platz zu finden, schleuderte er seine Axt ins Tal. Dort, wo er sein Beil wiederfand, begann er die Kirche zu errichten. Doch das Bauvorhaben war für einen allein viel zu groß, so nahm er die Hilfe des herbeigeeilten Teufels an. Als Belohnung sollte dieser die Seele des ersten Pilgers bekommen, der die Kapelle betrat. Schnell wurde der Bau fertig gestellt. Doch durch listige Gebete Wolfgangs betrat als erstes Lebewesen ein Wolf den Innenraum, und der Höllenfürst musste mit dem Tier vorliebnehmen.
So steil als zuvor bergauf, geht es jetzt durch den Wald auch wieder hinunter. Mir kommt’s sogar noch steiler vor, was mich mein beschädigter Meniskus auch leicht spüren lässt. Auf den Schotterabschnitten gehe ich es so lieber etwas langsamer an, dadurch werde ich von vielen von hinten Aufrückenden geschluckt. |