Einst strengbewachte Grenze, heute das Tor zu Österreichs größtem Naturpark, dem Karwendel Alpenpark. Für mich persönlich war der Grenzübergang in Scharnitz auch immer so etwas wie das Tor zum Süden. Von Bayern führte mich der Weg in den Urlaub meistens über Zirler Berg und Brennerpass nach Italien, Südfrankreich oder Spanien.
Legendär ist schon der Karwendelmarsch, der auf einer Punkt-zu-Punkt Strecke von Scharnitz nach Pertisau am Achensee führt. Nach 19-jähriger Pause wurde die von 1969 – 1990 sehr erfolgreiche Veranstaltung vor zwei Jahren wieder neu aufgelegt und feiert somit heuer ihr 25. Jubiläum. Bis zu 4.000 Marschierer waren vor ihrer Pause am Start, die Neuauflage hat man auf 2.500 reglementiert. Aber noch sind die Startplätze keine Mangelware, heuer sind in den unterschiedlichen Bewerben gut 1.200 Teilnehmer gemeldet.
Zum wandern bin ich natürlich nicht hier. Zu den Disziplinen Karwendelmarsch und Karwendel Nordic Walking gesellt sich noch der Karwendellauf über 52 km und 2.280 Höhenmeter. Während die Wanderklassen ohne Zeitmessung durchgeführt werden, ist beim Lauf der gelbe ChampionChip im Einsatz. Gleich ist bei allen Langstrecken der Zielschluss um 20 Uhr am Achensee. Wer bis 15 Uhr die Kontrollstation Engalm (Km 35) nicht erreicht hat, für den ist der Lauf/Marsch beendet. Für mich eine gute Gelegenheit nach dem APM Ultra vor 7 Tagen heute etwas langsamer machen zu können ohne Zeitdruck.
Wer in Tirol wandern geht, kommt zwangsläufig mit dem Adlerweg in Verbindung, die 280 km lange Hauptroute des Adlerwegs zieht quer durch das Land. Ein Abschnitt des Weitwanderweges, führt auch auf unserer Route durch das Karwendelgebirge. Wer sich den Routenplan genauer ansieht, wird feststellen dass er wie die Silhouette eines Adlers, der seine Flügel ausbreitet aussieht. Das gleiche kann ich aber auch in der Grafik der Karwendelmarschstrecke erkennen, wir laufen praktisch auf den Schwingen des Adlers. Der Kopf unseres Raubvogels befindet sich genau am dritten Aufstieg über den Binssattel, unserem höchsten Punkt heute. Bin mal gespannt was uns da erwartet.
Schwerelos gleitet der König der Lüfte dahin und betrachtet die Welt von oben. Diese Freiheit kann man hier in den Tiroler Bergen erleben und deswegen wurde der Adler zum Namenspatron für den großen Wanderweg und ist auch sowas wie das Wappentier des neu aufgelegten Karwendelmarsches. Insgesamt beheimatet der Karwendel 21 Brutpaare. Das Gebiet bietet ihm die benötigten Lebensumstände in den hohen Gebirgsketten. Mit ca. 2 Paaren pro 100 km² ist das Karwendelgebirge flächendeckend vom Steinadler besiedelt und weist zurzeit eine der höchsten Adlerdichten im Alpenraum auf. Heute werden wir aber bei dem zu erwartendem Wetter wohl kaum einen am Himmel kreisen sehen.
Wovon ich eigentlich erhofft hatte, nichts erwähnen zu müssen, trifft.nämlich leider jetzt doch wieder ein: vom Sommer 2011 und mit ihm sein oft grausliges und regenreiches Wetter. Der Durchzug eines ergiebigen Regentiefs ist uns fest versprochen und der schon zur Genüge bekannte Laufalptraum hat uns wieder. In Chamonix weiter westlich, von wo man uns die Wolken rüberschiebt, hat man vor ein paar Stunden beim berühmten Ultra Trail du Mont Blanc schon den Start wegen des Starkregens einige Stunden nach hinten verschoben. Um 4 Uhr nachts kann ich in Scharnitz am Himmel aber immer noch die Sterne ausmachen. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt, daher hoffe ich immer noch auf Verspätung des Unwetters.
Beim Marsch zum Start am Gemeindeplatz direkt an der Durchgangsstraße fallen aber schon die ersten Tropfen vom Himmel. Zehn Minuten vor dem Startschuss gebe ich meine Wechselkleidung zum Transport an den Zielort ab. Meine kompletten Laufklamotten habe ich gestern bei fast 35 Grad Plus eingepackt, da war im Internet noch von Temperaturen bei Regen um 10 Grad die Rede. Günter Kromer erzählt mir von den „Latest News“ und die sprechen schon von möglichem Schneefall oben in den Bergen. Ich bin eigentlich ganz gut ausgerüstet, aber an eine lange Hose habe ich nicht im Entferntesten gedacht, also auch keine im Laufrucksack. Eingepackt habe ich aber Regenjacke, Mütze, Ärmlinge und Handschuhe, weswegen ich von meiner lieben Frau sogar etwas gehänselt wurde.
Da es bei der Kleiderabgabe auch schon stärker zu regnen beginnt, entscheide ich mich bereits für einen Start in Regenjacke. Vom Sprecher bekommen wir nochmals Informationen über die Wetterentwicklung der nächsten Stunden. Es wird im Laufe des Tages auf alle Fälle mit stärkeren Regenfällen zu rechnen sein, werden wir „beruhigt“. Stockdunkle Nacht, Regen prasselt hernieder und die Aussichten sind miserabel, das ist so eine Situation wo ich mich schon kurz frage: „Warum stehe ich eigentlich hier und wie verrückt muss man eigentlich sein überhaupt los zulaufen?“ Alle Gedanken sind aber nur Momentaufnahmen und wirklich nicht zu starten ist natürlich auch keine Option.
Nach einem flachen Kilometer Einlaufen dürfen wir auch schon den ersten kleineren Aufstieg bewältigen. Mir wird‘s mit meiner Regenjacke bereits richtig warm und da der Regen tatsächlich wieder aufgehört hat, entledige ich mich ihrer sehr schnell. Mittlerweile ist es hell geworden und es sieht alles wesentlich freundlicher aus am Himmel als angenommen, bequem lässt es sich in kurzer Hose und Shirt laufen.
Nach drei Kilometern komme ich mit Tom Eller ins Gespräch, wir haben uns schon am vergangenen Sonntag auf der Strecke beim APM Ultra mal kurz getroffen. Er ist schon ein ganz verrückter Hund und Hardcore Trailer, nächste Woche wird er noch die 170 km Rund um Köln packen und danach entscheiden ob er „wieder“ beim „Tor de Géants“ über 330 km und 24.000 Hm antreten wird. Zu uns gesellt sich noch der Dieter Ladegast aus Bayreuth und so pflastern Storys und Erlebnisse unseren Weg, der so für mich unglaublich kurzweilig und unterhaltsam ist. So schnell kann sich die Stimmung ändern.
Im Karwendeltal sind entlang des wildromantischen Karwendelbaches bis zur ersten Labestation etwa 10 km zurückzulegen. Rechts über uns thronen die gewaltige Pleisen- und Larchetkarspitze mit über 2.500 m Höhe. Bedeutendster Fund war 1951 oben auf der Pleisenspitze ein ca. 8.000 Jahre altes Elchskelett, da kann man sich vorstellen was uns damals alles so über den Weg gelaufen wäre. Gefühlsmäßig kommt mir der Weg eigentlich fast flach vor, dem ist aber nicht so, laut Höhenprofil geht es immer leicht aufwärts. Nach gut einer Stunde haben wir schon die Larchetalm zum Frühstücken erreicht. Äpfel, Bananen und Kekse werden uns serviert.
So könnte es weitergehen …tut es aber nicht, am Himmel kann man schon sehen wie die Wolken immer bedrohlicher werden und die Gipfel langsam umschließen. Die Strecke legt jetzt auch spürbar an Steigung zu, was sich auch bald auf die Temperaturen auswirkt. Wir legen alle unsere wärmeren Klamotten bzw. unsere Regenjacken wieder an. Unterhalb des Karwendelhauses (Km 19) auf 1.771 m hat es sich bereits richtig ungemütlich zugezogen, die Bergspitzen über uns und selbst die Alpenvereinshütte in unmittelbarer Nähe sind im Nebel nur mehr schwer erkennbar. An der großen Brotzeitstation steuere ich als erstes die leckere, warme Kartoffelsuppe an, die auch sonst begeisternde Abnehmer findet. Dazu wird uns u.a. heißer Tee geboten. Aber an der zugigen Zeltstation ist schon empfindlich kalt geworden, trotz Handschuhe komme ich bald ins frösteln.
Tom und Dieter drängen zum Aufbruch. So schön es war, ich lasse sie ganz gerne davonziehen, sie sind nicht meine Kragenweite, haben ein wesentlich höheres Leistungsvermögen, was mich wahrscheinlich eher ins Verderben führen würde. Zudem ist der Ultra der Vorwoche bei mir auch noch deutlich spürbar. Bergab rauschen sie davon. Auf rustikalen Wegen geht es serpentinenartig runter zum Kleinen Ahornboden. Auf dem Almboden gibt es Bestände mit einzelnen bis zu 600 Jahre alten knorrigen Bergahornbäumen. Über Jahrhunderte waren das Tal in jedem Frühjahr überschwemmt. In Verbindung mit dem mageren Boden der Hochtäler wurden die Tannen und Fichten zurückgedrängt und der Bergahorn nutzte die Chance sich hier anzusiedeln. Selbst im Regen ist das Tal wunderschön anzusehen.
An der dort postierten Jausenstation drängen sich gerade viele Läufer unter das Zelt, da wieder ein anständiger Duscher vom Himmel kommt. Einer schnorrt sich ein paar Gummihandschuhe von den Helfern um seine Finger wenigstens etwas vor der Kälte zu schützen. Selbst dabei hat er, außer dem spärlichen Gewand das er an hat nichts. Es hilft nix, ich muss weiter. Auf meine Kameralinse installiere ich ab hier den Wasserfilter, um auch möglichst authentische Bilder unserer Umstände liefern zu können …ha ha ha. Unmittelbar danach passiere ich das Denkmal des wilden Freiherrn Hermann von Barth, der in einem einzigen Sommer 88 Gipfel des Karwendel im Alleingang bestieg. Insgesamt kommt man ungefähr auf eine Zahl von 200 Spitzen, die teils skurrile Namen wie Hinterödkopf, Krapfenkarspitze, Fleischbank, Stierjoch oder Luderwände tragen.
Nach einem langgezogenen Schotterfeld geht es wieder auffi. Erst noch relativ komfortabel durch lichte Wälder, aber nach der urigen Ladizalm wird es richtig steil. Eine Gruppe Berliner Jungs muss ihren Kameraden schon mächtig motivieren, damit er überhaupt noch weiter geht. Die letzten 300 Hm hinauf zur Falkenhütte haben es wirklich in sich. Normalerweise würden wir ja zur Entschädigung mit einem atemberaubenden Panorama auf die vor uns liegenden Ladiderer Wände belohnt, aber da ist heute leider Fehlanzeige, sie sind vollkommen in Wolken gehüllt. Dafür hat es aber wenigsten seit einiger Zeit mal wieder aufgehört zu regnen.
Unterhalb der Falkenhütte können wir uns wieder stärken. Das Verpflegungszelt steht zwar an sehr exponierter Stelle wo es zieht wie Hechtsuppe, aber die Brotzeit ist wieder allererste Sahne. Alles was wir heute an den Stationen serviert bekommen ist ausschließlich BIO. Alle Produkte kommen von Bio-Bauernhöfen aus der Region und wurden teilweise extra für den Karwendelmarsch hergestellt. Im gerade vorliegenden Fall muss ich besonders die extra dicke Hafersuppe löblich erwähnen, ist mal wirklich was anderes wie die pappsüßen Energygels. Die warmen Speisen und Getränke finden bei dem jetzigen Schmuddelwetter nicht nur bei mir am meisten Anklang. Am allerbesten schmecken mir aber die selbstgemachten Riegel. Sie sehen aus wie kleine Florentiner und schmecken beinahe auch so, nur nicht ganz so süß, am liebsten würde ich mir den Rucksack voll einpacken, sie gibt es aber noch an diversen Stationen zum durchfuttern.
Kurz nach mir treffen meine Fotoreporter-Kollegen Günter Kromer und Wolfram Brunnmeier ein, wir haben uns seit dem Start aus den Augen verloren. Der Wolfram hat sich mittlerweile ganz schick in einen edlen Müllsack gezwängt. Steht ihm ganz gut, vielleicht nicht optimal figurbetonend, aber was macht man nicht alles um sich vor Nässe zu schützen. Als Paparazzi-Trio machen wir uns gemeinsam auf den weiteren Weg. Direkt unterhalb den furchterregenden Laliderer Wänden geht es für uns weiter. Die Kette aufeinanderfolgender, fast senkrechter Felswände ist eines der bekanntesten Klettergebiete der Nördlichen Alpen. Die Wände sind etwa 900 Meter hoch und reichen bis knapp unter die Gipfelbereiche von Laliderer Spitze (2.588 m) und Grubenkarspitze (2.663 m). Aber so weit nach oben können wir heute leider nicht sehen.
Nach einem kurzen Aufstieg verlieren wir bis runter zur Engalm 550 Höhenmeter auf größtenteils winkligen kleinen Trails. Die Eng ist der Zugang für die Münchner in die Karwendelberge weil sie praktisch direkt vor ihrer Haustüre liegt. Flächenmäßig gehören den Tirolern 727 km2 des Karwendel und den Bayern knapp 200 km2. Der wesentlich größere Teil befindet sich also auf österreichischem Gebiet.
Für Wanderer und Nordic Walker ist an der Engalm die kürzere 35 Kilometer-Variante des Karwendelmarsches beendet. Nach dem Zieleinlaufbogen ist wieder eine große Labestation errichtet. Besondere Schmankerl sind der warme Gemüsefond und die kalte Heidelbeersuppe, dazu kann man sich noch einen Joghurt einverleiben. Schon beim Abstieg wurde der Regen am Schluss immer stärker, aber jetzt fängt es richtig zu schütten an, außerdem sind erste Donner am Himmel zu vernehmen.
Nach einer ausgiebigen Stärkung nehme ich mit Günter und Wolfram im strömenden Regen den dritten und letzten Aufstieg in Angriff. Mit 650 Hm auf den nächsten 6 km ist er auch der steilste und schwierigste des ganzen Kurses. Um uns blitzt und donnert es in einer Tour. Die Feuchtigkeit dringt jetzt selbst durch meine Regenjacke mit einer Wassersäule von 10.000 mm und meine Hose ist vollkommen durchnässt, angenehm ist das nimmer. An weitere zusätzliche Wechselkleidung, habe ich selbst am Start nicht für nötig gehalten.
Ja, aber was will ich mich eigentlich beklagen, vor mir sehe ich so einen jungen Burschen in dessen Haut ich noch viel weniger stecken möchte. Nur mit Shirt und kurzer Hose ist er unterwegs und er ist beileibe kein Ausnahmefall. Ich unterhalte mich mit Wolfram darüber, scheint so als sind die traurigen Vorfälle vom Zugspitz-Extremberglauf schon wieder von vielen vergessen. Meiner Meinung nach hätte jemand in diesem Aufzug nicht mehr die Bergüberquerung antreten dürfen. Heute erweist sich wieder als richtig die Berge nicht zu unterschätzen. Je höher wir klettern umso kälter und ungemütlicher wird unser Unterfangen, die Landschaft gibt schon lange nichts mehr von ihrer Schönheit preis. Für uns geht es nur mehr darum endlich oben anzukommen um abwärts wieder in schnellere Bewegungen zu geraten, um etwas aufzuwärmen. Dazu spüre ich heute meine Adduktoren beim Aufstieg immer intensiver.
Meine Hände sind trotz, natürlich fast triefender Handschuhe, nur noch ein Fremdkörper von mir. Die Kamera habe ich längst in Plastikfolie fest verstaut, um sie vor dem absaufen zu schützen. Als purer Glücksfall hat sich heute ein alter Filz-Trachtenhut von meinem Vater erwiesen, ich habe ihn eigentlich nur gewählt weil er so gut zu meinem Alpen-Outfit passt. Er ist vollkommen Wasserdicht und hält meinen Kopf unglaublich warm, was ich mir von keiner anderen Kopfbedeckung heute hätte besser vorstellen könnte. Da habe ich heute auch wieder was dazu gelernt, jetzt weiß ich wieso die Bergler nicht ohne aus dem Haus gehen.
Plötzlich reißt mich ein Blitz und unmittelbar danach ein gewaltiger Donnerschlag aus der Lethargie, der kann nicht mehr allzu weit von uns entfernt gewesen sein. Wir sind auf der Karte am Kopf des Adlers und der beißt heute zurück. Der Regen weicht Hagel- und Graupelschauern, wir müssen weiter, weiter und höher, immer unwirtlicher werden die Bedingungen. Aber es wird noch besser, kurz vor Überquerung unseres höchsten Punktes am Binssattel liegt Schnee, noch nicht hoch, aber nix wie weg von hier. Halt stopp, das muss ich dokumentieren, trotz nicht mehr vorhandenem Fingergefühl packe ich noch die Kamera für zwei Beweisfotos aus.
Auch der Abstieg ist gefährlich und wirklich laufen lassen kann man’s nicht. Etwas besser wird’s trotzdem. Einige haben sich die goldene Rettungsdecke oder einen Müllbeutel um den Körper gewickelt und versuchen so ihr Glück. An der Gramaialm-Hochleger genehmige ich mir schnell eine warme Suppe und zwei Becher heißen Tee und weiter geht’s. Ich muss in Bewegung bleiben, mich fröstelts gewaltig, die feuchte Kleidung bereitet kein Vergnügen mehr. Und auch meine linken Adduktoren schmerzen immer mehr, ich kann kaum mehr meinen Oberschenkel anheben. Wenigstens geht es immer abwärts. Eine Wahrnehmung der Landschaft ist kaum mehr möglich, ich möchte einfach nur noch ins Ziel kommen.
Die nächste Aufwärmmöglichkeit bietet uns einige Kilometer später die Station an der Gramaialm. Je heißer, je besser das Getränk. Mich fröstelt, hab ich das schon erwähnt? Von Feuerwasser bin ich eigentlich kein Fan. Warum mir trotzdem „gibt’s an Schnaps?“ rausrutscht, muss wohl an dem zu erwartenden Brennen durch den Körper liegen. „Joa, moagst oan? Kommt wie aus der Pistole geschossen von der freundlichen Helferin und zaubert sofort eine Flasche hervor. Tut gut heute und weiter, in Bewegung bleiben. Günter und Wolfram sind mir jetzt beim schnapseln enteilt. Aber der Regen bleibt mein Begleiter. Über Feldwege und Wiesen mit leichtem Gefälle führt der weitere Weg abwärts.
An der letzten Getränkestation Falzturnalm erfahre ich dass die Veranstaltung abgebrochen wurde. Als der Regen zu Hagel und später sogar zu Schnee wurde, reagierten die Veranstalter und verlegten um gegen 14:00 Uhr das Ziel in die Eng. Hilft mir nix, ich hab noch 4 km. Schnell einen heißen Tee und weiter, mich friiiiiert’s. Der Schlussabschnitt führt fast kerzengerade auf einer Teerstraße nach Pertisau.
Kurz nach der Teepause sind meine Adduktorenprobleme zu groß, ich werde vom Karwendelläufer zum -marschierer. Laufen geht einfach nicht mehr und selbst gehen bereitet mir im langsamen Tempo ärgste Qualen. Aber stehenbleiben ist auch nicht drin, ich zittere wie ein Schlosshund. Meine Arme muss ich mit Gewalt steif halten um dem etwas Einhalt zu gebieten. Und das bei meinem 50. Langen Kanten, bestünde jetzt irgendwo eine Ausstiegsmöglichkeit, dann wäre es vermutlich um mich geschehen. Dann gäbe es eine DNF. Die Schmerzen würden wahrscheinlich nach einer Pause wieder nachlassen, aber ich habe keine Chance die vollkommen ausgefroren einzuhalten. So muss ich durchhalten bis Pertisau. Nach unendlich langen drei Kilometern komme ich nach 8 1/2 Std. ins Ziel. Über eine halbe Stunde nach Zielankunft zittere ich in trockenen Klamotten immer noch wie ein Parkinson Kranker. Mein 50. Marathon/Ultra wird mir wohl immer in Erinnerung bleiben.
Lange aufhalten will ich mich im Zielort nicht. Leider, so bekomme ich wenig vom Achensee zu sehen. Aber im Dauerregen ist es einfach kein gemütlicher Aufenthaltsort, ich bin froh als ich im warmen Bus sitze. Eine Stunde soll der Rücktransport nach Scharnitz dauern, daraus werden heute auf der überfüllten Inntalautobahn fast zwei. Ich habe aber nichts mehr mitbekommen, mir sind die Augen zugeklappt. Bei der Ankunft am Startort um 17 Uhr wache ich auf und die Sonne strahlt mir aus einem blauen Himmel über dem Karwendel entgegen …als ob nichts gewesen wäre. Sauerei!
Mit dem Karwendellauf habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen, den Kampf werde ich sicher noch einmal ausfechten, dann aber bitte bei schönem Wetter. Trotz der erschwerten Bedingungen habe ich den Lauf nur in allerbester Erinnerung. Kurs, Landschaft und Verpflegung waren hervorragend. Auch wenn die Organisation von anderen einiges an Kritik einstecken musste. Nach dem für mich absolut gerechtfertigten Abbruch mussten viele Teilnehmer 3 – 4 Stunden warten, ehe sie aus der Eng zurücktransportiert werden konnten. Ich denke dennoch dass der Veranstalter auch hierfür das Beste gegeben hat, die geografisch schwierige Lage in der Eng und dazu der viele Urlaubsverkehr auf den Straßen machten es bestimmt nicht einfach auf die Schnelle so viele Busse bereit zu stellen. |