Gibt’s
schon wieder Bananen
Seit vielen Jahren, immer wenn es heißt: Mitte Mai ist Rennsteiglauf,
treffen sich in Eisenach im Thüringer Wald mit den Ultraläufern
die Verrücktesten der Laufszene. Für 2009 hat der Veranstalter
2.161 Anmeldungen im Sack die den langen Kanten über schlappe
72,7 km mit über 1.500 Höhenmetern in Angriff nehmen wollen.
Besonders hervorzuheben sind die vielen Wiederholungstäter.
7 Stück sind heuer bereits mindestens zum 35. Mal, 44 das 30.x
und 75 das 25.x dabei und das ist nur die Spitze des Eisberges,
dazu kommen Unzählige, die ein paar weniger als die genannten
haben und natürlich alle Mehrstundenläufer/innen, Biel-
und anderen Ultralauf-Finisher, Multimarathonläufer und wer
weiß was noch.
Wenn man am Rennsteig mit einem Läufer ins Gespräch kommt,
kapiert man ganz schnell wie der Hase läuft, hier tummeln sich
die ganz harten Mädels und Jungs. Im Vorjahr hab ich es zum
ersten Mal so erlebt und war begeistert, darum bin ich u.a. auch
wieder hier.
2009 steht der Lauf ganz im Zeichen seines Namensgebers Johann Christoph
Friedrich GutsMuths, dessen 250. Geburtstag gewürdigt wird.
Er war seinerzeit ein namhafter deutscher Pädagoge und Mitbegründer
des Turnens.
1801 schrieb er das Buch: Mechanische Nebenbeschäftigungen
für Jünglinge und Männer, ob er damals an so eine
Laufveranstaltung gedacht hat? In einer Vorsichtsregel fürs
Laufen schrieb er aber bereits: „Man beobachte die Läufer
und lasse jeden aufhören, so bald sich stärkere Erhitzung
zeigen will, und der Odem zu kurz wird. Nimmt man diese Regel zur
Grenze, so ist durchaus nichts vor dem längsten Laufen zu befürchten.“
Ich werde mir seine Weisheiten zu Herzen nehmen.
Jan und Hans gehen Morgen wie ich zum zweiten Mal hier an den Start,
der erste Weg führt am Samstag zum Abholen der Startunterlagen
ins Creutznacher Haus, direkt hinter der Georgenkirche am Marktplatz,
in der 1685 der Orgel- und Klaviervirtuose Johann Sebastian Bach
getauft wurde. Der Ansturm zum Supermarathon ist heuer derart groß,
dass dem Veranstalter sogar die Finishershirts ausgehen.
Um 18 Uhr ist im Festzelt nebenan, Beginn der Heichelheimer Kloßparty.
Vom Vorjahr weis ich, dass sich sehr schnell, lange Schlangen vor
der Essensausgabe bilden, daher haben wir uns mal vorsichtshalber
gut positioniert. 10 Minuten vor Ausgabe geht auch ein Ruck durch
die Reihen und im Nu steht die Schlange bis zum Zelteingang, was
der Zeltsprecher umgehend mit den Worten quittiert: Gibt’s
schon wieder Bananen.
Traditionell sorgen hier die Kartoffelklöße, anstatt
Pasta für den morgen benötigten Kohlenhydratantrieb, was
seinen guten Grund hat. Über Generationen war die Kartoffel
das Grundnahrungsmittel Thüringens, der Höhepunkt einer
jeden festlichen Tafel der Thüringer Kloß, dabei, so
wird gesagt, soll er ursprünglich nur eine Notlösung gewesen
sein. Das wenige Getreide reichte gerade dazu, Grütze und Brei
zu kochen. Da blieb kaum Mehl für einen Kuchen übrig –
und wenn, dann war es nicht ausgemahlen, sondern dunkel.
Findige Hausfrauen fanden heraus, dass sich beim Reiben und Auspressen
von Kartoffeln im Presswasser eine stattliche Menge Kartoffelstärke
absetzte. Diese wuschen sie aus, bis sie ein blütenweißes
Kartoffelmehl erhielten, das sich hervorragend zur Ergänzung
des Mehles zum Kuchenbacken eignete. Da es aber ein Verbrechen gewesen
wäre, die Kartoffelreibe an das Vieh zu verfüttern oder
gar wegzuwerfen und sie nichts anderes gewöhnt waren, als aus
"nischt" was zu machen, erfanden sie daraus den delikaten
Rohen Kloß.
Zu den Knödeln wird uns hier noch Rotkohl und Gulasch serviert
und ganz neu im Programm, dann doch erstmals – wahrscheinlich
hat man sich dem Druck einiger Läufer gebeugt – Nudeln
zum Fleisch. Ich bleibe bei der Tradition und nehme die Klöße,
ist doch mal was anderes und schmeckt zum schwarzen Gerstensaft
hervorragend. Insgesamt werden an allen Ausgabeorten über 20.000
Klöße verdrückt.
Neuer Lauf, neues Glück
In der Nacht rumst es gewaltig, ein Gewitter mit ergiebigen Regenfällen
geht über den Thüringer Wald hernieder und putzt in für
uns noch mal so richtig raus. Um 5.45 Uhr stehen wir auf dem Marktplatz,
schauen in den Himmel und sind unschlüssig. Wieder so ein Tag,
an welchem die Kleidungswahl einer Wissenschaft gleicht.
Eigentlich sieht es schon wieder recht ordentlich aus, aber es hat
deutlich gegenüber dem Vortag abgefrischt, die Wahl ist nicht
leicht. Man kann sehen, dass sich doch viele für Langarm oder
Jacken entschieden haben. Ich wähle eine ärmellose Jacke,
m4y-Autor Joe meint aber: viel zu warm. Ich habe aber ein Täschchen
dabei und kann sie später ablegen, scheint mir die beste Lösung
zu sein.
Bei meinem zweiten Einsatz habe ich was gut zumachen. Letztes Jahr
lief ich zum ersten Mal und hatte super viel Respekt und bin im
ultragemächlichen Tempo über den Rennsteig gejoggt und
hab viel Spaß gehabt, trotz alledem habe ich mir im Zieleinlauf
gedacht, das tust du dir nicht wieder an. Aber wie das im Allgemeinen
so ist, am nächsten Tag gilt schon wieder: „Was schert
mich das Geschwätz von gestern“.
Aber da stand für mich noch die relativ unrühmliche Zeit
von knapp unter 10 Stunden, anfangs im Spaß habe ich gesagt
und auch geschrieben: „Aber beim nächsten Mal mach ich
ernst“, und je mehr ich darüber nachgedacht habe, umso
mehr setzte sich der Gedanke fest: „die 9 muss weg!“
Ich hab mir Extra den Streckenplan mit Höhenprofil und meinen
Durchgangszeiten vom Vorjahr als Marschtabelle am Handgelenk angebracht,
aber 50 Minuten müssen erst mal rausgelaufen werden. Ich bin
zuversichtlich, dass das mit der geballten Erfahrung eines Supermarathons
im Rücken klappen wird.
Über uns kreist der Hubschrauber, er hat sich die Vogelperspektive
für den Start ausgesucht. Punkt 6 Uhr, bei noch leichter Dämmerung
werden 2.021 Läufer/innen auf die lange Reise geschickt. Die
ersten Meter führen durch die enge Karlstraße, für
einen normalen Marathon mit 2.000 Teilnehmern wäre eine Fußgängerzone
in dieser Größenordnung, als Startbereich undenkbar,
aber die erfahrenen Ultras wissen genau: hinten ist die Ente fett,
daher gibt’s überhaupt keine Gedränge oder Probleme.
Links vor dem Nikolaitor verabschiedet uns Luther auf seinem Denkmal
aus Eisenach, danach biegen wir rechts ab und schon geht es richtig
zur Sache. Der 25 km lange Anstieg auf den Inselsberg beginnt.
Schon auf den ersten Kilometern wird einem bewusst, was der Gewitterregen
in der Nacht angerichtet hat, immer wieder gibt es kleine Staus
vor Wasserpfützen. Klar, wer holt sich schon gerne gleich zu
Beginn nasse Füße. Nach 20 Minuten passiere ich das über
100 Jahre alte Burschenschaftsdenkmal, das auf einer Anhöhe
etwas über uns zu Ehren des vaterländischen Einsatzes
der studentischen Verbindungen errichtet wurde, passend dazu kämpfen
sich bereits einige Sonnenstrahlen den Weg durch die Wolken.
Die Temperaturen sind jetzt auch deutlich angenehmer, als es der
Morgen vermuten ließ. Ein erstes Frühstück mit warmen
Tee, Wasser, Cola und Früchten kann an der Station „Hohe
Sonne“ nach gut 7 km eingenommen werden, gleichzeitig ist
hier für uns der Eintritt in den Rennsteig. Der Name ist im
Übrigen die Bezeichnung für einen auf- und absteigenden
Bergpfad, auf dem man schnell vorwärtskommt. Wege mit dem Namen
Rennsteig gibt es in Deutschland über 200, aber keiner von
ihnen ist so berühmt wie der hier. Bis 2001 war hier auch der
Startplatz des Supermarathons.
Langsam aber stetig führt der Weg nach oben, meist mit moderater
Steigung und deshalb gut zu laufen. Der immer wieder von der Sonne
angestrahlte, nasse Wald und die damit verbundenen Hoffnung, dass
uns das Wetter keine unangenehmen Überraschungen mehr präsentieren
wird, lassen momentan bei mir keine Zweifel an einem guten Gelingen
aufkommen, es ist einfach herrlich mit den wärmenden Sonnenstrahlen
hier rauf zu laufen.
Nach einem leichten Bergabstück erreiche ich nach knapp 18
km die „Glasbachwiese“ am Passübergang der Straße
von Bad Liebenstein nach Ruhla. Ich möchte mich in meinem Bericht
auch etwas ausführlicher mit der Culinaria Rennsteig, den angebotenen
Speisen und Getränken der großen Verpflegungspunkte der
Strecke befassen. Haben sie doch meines Erachtens einen großen
Anteil am Kultstatus des Rennsteiglaufs.
Jetzt ist es kurz nach 8 Uhr, da passt eine erste Brotzeit doch
recht gut. Unter einem bestimmt 20 Meter langen Zeltstand wird uns
so Allerlei geboten. Also, was steht auf dem Speiseplan. Erstmal
natürlich die Kultspeise schlechthin, der Schleim. Angeboten
wird er in den Geschmacksrichtungen Orange, Himbeere, Traubenzucker
und Heidelbeere. Des Weiteren gibt es leckere Schnittlauch- und
Schmalzbrote, Äpfel und Bananen. Dazu Tee, Cola und Wasser.
Für’s erste doch schon mal ganz ordentlich, aber es wird
noch besser …viel besser, kann ich euch versprechen.
Am Gipfel
Gleich nach der Station macht Europas größter Crosslauf
seinem Namen alle Ehre, mitten durch den Wald führt der Weg,
über Stock und Stein und vielen, vielen Wurzeln, ganz praktisch
dass ich hier erstmal noch am gehen bin, um die Reste meiner Brotzeit
zu verdrücken. Immer steilere Passagen sind zu bewältigen
auf den nächsten Kilometern hinauf zum Großen Inselsberg
auf 916 m Höhe. Als Grenzweg teilte der Rennsteig den Berg
einst in gothaisches und hessisches Gebiet, wovon die beiden Gaststätten
zeugen. Er ist wegen seiner Aussicht und guten Zugänglichkeit
der am häufigsten besuchte Gipfel des Thüringer Waldes.
Wir haben kurz vor dem Berggasthof die 25 km voll.
Der Gipfel liegt heute im Nebel, da lohnt sich für mich kein
längerer Fotostopp. Wo es steil rauf geht, geht’s auch
meistens wieder runter, die folgenden 200 Höhenmeter Abstieg
haben es wahrlich in sich. Vom letzten Jahr bin ich noch vorgewarnt,
da hätte ich mich beinahe auf die Nase gelegt. Daher bin ich
auf der Hut und bremse mich lieber etwas ein.
Im Vorjahr hatte ich hier bereits mit einem schmerzhaften Schienbeinkanten-Syndrom
zu kämpfen, dem langen Anstieg waren meine Muskeln nicht gewachsen.
Das ganze Jahr durch, hatte ich darauf immer wieder mit Problemen
zu kämpfen, mit teilweise mehreren Wochen Laufpause. Im Fitnessstudio
habe ich mir schließlich im Winter einige ganz einfach auszuführende
Kräftigungsübungen zeigen lassen. Über ein halbes
Jahr lang betreibe ich seit dem, jeden Tag kontinuierlich ein paar
wenige Minuten lang Muskelaufbau. Mit Erfolg, heute habe ich keinen
Ärger, alles ist bestens. Davor hatte ich eigentlich den größten
Bammel.
Am Ende des Steilabstiegs liegt die „Grenzwiese“, an
der Landstraße zwischen Tabarz und Brotterode. Hier befinden
sich neben einem großen Parkplatz mehrere Gasthäuser
und eine Sommerrodelbahn. Unmittelbar am Parkplatz steht der "Preußische
Grenzadler", ein Grenzstein mit eingesetztem Adler. Bis 1945
verlief hier die Grenze zwischen dem Herzogtum Sachsen-Gotha-Coburg
und der ursprünglich hessischen und später preußischen
Enklave Schmalkalden.
Mein Magen knurrt, darum werde ich mal schaun, was angeboten wird,
das Schild vom WSV Brotterode verkündet Tee, Schleim, Wasser,
Obst und Brot. Aber da ist natürlich viel mehr drin, als drauf
steht. Allein die Stullen bieten eine Auswahl an Schmalz-, Käse-,
Salami- und Butterbroten. Dazu Weiß- oder Schwarzbrot pur.
Ganz praktisch, gleich daneben steht eine Salzbüchse, so können
auch gleich einige verloren gegangene Elektrolyte wieder nachgefüllt
werden. Zitronen und Bananen liegen auch griffbereit. Jetzt noch
eine Cola und einen Becher Wasser und weiter geht’s.
Auf den nächsten 10 Kilometern machen Jan und ich richtig Druck,
oft ist das Streckenprofil leicht abschüssig und die Wege sind
meist auch trocken und fest. Bergab ist Jan in seinem Element, da
kann er fliegen und ich hänge mich an ihn wie eine Klette.
Voriges Jahr ist er 8:24 gelaufen, darum versuche ich heute so lange
wie möglich mitzuhalten.
Ja, wirklich ein geiler Abschnitt mit den häufigen Gefällen
um richtig Pace zu machen. Zwischendrin passieren wir das „Possenrieder
Kreuz“, ein einsamer Trompeter im Wald bläst uns hier
ein Ständchen. Gleich wird’s auch voller auf der Piste,
hier treffen die 35 km-Wanderer von ihrem Startort auf den Rennsteig.
Bestimmt anderthalb Kilometer vor der nächsten Super-Fressstelle
kann man im Wald schon den Sprecher vernehmen, der an der „Ebertswiese“
fast jeden persönlich begrüßt. Und wieder gibt’s
eine Musikeinlage. Drei Alphornbläser stehen etwas oberhalb
und geben ihr Bestes.
Halbzeit
So, die Hälfte ist durch, jetzt aber ran an den Speck. Jan
und ich haben Hunger nach der Tempohatz. Hier an der „Ebertswiese“,
eine der schönsten Bergwiesen des Thüringer Waldes, welche
eine vielfältige Flora mit zahlreichen schönen Wiesenblumen
beherbergt, gibt’s fast alles was das Herz begehrt. Einen
richtig kleinen Marktplatz hat man hier aufgebaut, als erstes steuern
wir gleich den Stand mit den heißen Würstchen mit Senf
an. A bisserl was Deftigeres können wir jetzt gut vertragen.
Den Stand kann ich gut und gerne weiter empfehlen. Natürlich
gibt’s wieder alle Arten von Broten, Obst und Getränken.
Aber was mir hier jetzt noch ganz besonders auffällt, ist die
Bezeichnung für den Schleim. Interessanterweise wird er hier
als Heidelbeersuppe bezeichnet. Jetzt kann man sich aussuchen, haben
wir Heidelbeerschleimsuppe getrunken oder etwa doch Heidelbeerschleim
gegessen? Die Meinungen über den Schleim gehen sowieso total
auseinander, die Einen schwören drauf, die Anderen meiden ihn
wie der Teufel das Weihwasser. Schlechtes ist nicht drin, der Hauptanteil
besteht aus Haferflocken, also wirklich eine gute Energiequelle
und problemlos und schnell runterkippen lässt er sich auch,
dazu noch gut verträglich, also eine denkbar gute Läuferverpflegung.
Mir schmeckt er während des Rennens, zuhause als Hautmahlzeit
würde ich ihn aber wohl auch nicht unbedingt favorisieren.
300 kg Trockenpulver werden benötigt um alle ausreichend zu
versorgen.
Warm ist es mir auch geworden, die Weste kommt runter und wird in
meiner Gürteltasche verstaut. Ein schneller Blick auf meine
Zeittabelle verrät mir, ich habe bereits 40 Minuten zum Vorjahr
gut gemacht, das passt doch wunderbar. Auf geht’s und weiter,
ab hier nehmen die Steigungen, aber vor allem auch die schlechten
Streckenverhältnisse wieder deutlich zu. Durch die vielen Wanderer
wird es noch zusätzlicher enger auf der Strecke, aber sie räumen
immer gleich bereitwillig und schnell den Weg.
Die nächste Mega-Brotzeitoase sind die „Neuhöfer
Wiesen“ bei km 45. Wenn ich vorhin die Würstchen als
deftig beschrieben habe, dann war das vielleicht etwas voreilig.
Diese Station verlässt garantiert keiner mit knurrendem Magen.
Vieles ist natürlich auch den Wanderern geschuldet, die zu
diesem Zeitpunkt auch bereits über 25 km zurück gelegt
haben und rustikaleres vertragen. Deftig passt hier einfach am besten.
Die Knacker mit Schwarzbrot und die mit groben Schmalz o.ä.
(genau kann ich es nicht analysieren) und Paprika und Essiggurken
belegten Schnittchen würden mich – nach jetzt fünfeinhalb
Stunden Laufzeit – schon richtig anlachen, aber das verkneife
ich mir doch lieber, so was habe ich während eines Laufes noch
nie zu mir genommen und weis daher nicht ob es mir bekommt. Da greife
ich lieber wieder zum bewährten Schleim. Bananen, Äpfel,
Zitronen, warmer Tee, Cola und Wasser sind natürlich auch hier
unbegrenzt zu haben.
Das Waldstück nach den „Neuhöfer Wiesen“ hat
es in sich, des Öfteren sind Schlangenlinien bis an den Waldrand
mit Bückeinlagen unter den Ästen durch nötig, um
nasse Füße zu vermeiden. Auf den weichen Waldwegen, steht
das Wasser in großen Pfützen, manchmal sind’s fast
kleine Waldseen. Dann haben wir dieses Waldstück überstanden
und bewegen uns auf ein Hochplateau mit herrlicher Aussicht über
den Thüringer Wald zu. Die Beine werden aber immer schwerer,
der grobstollige Weg hinauf auf die Anhöhe tut sein Übriges.
3 km vor dem „Grenzadler“ wird der Weg aber wieder deutlich
besser und es geht wieder meist leicht bergab. In der Nähe
von Oberhof passieren wir die Trainingsstrecken der Biathleten und
Langläufer, mich amüsiert das Schild: Stop Trainingsstrecke,
Sportler haben Vorfahrt. Was wäre wenn jetzt wirklich einer
kommen würde, sind nicht in dem Fall wir die Sportler, weil
wir uns in einem Wettkampf befinden und nicht im Training. Wer müsste
warten?
Teilziel Grenzadler
Das erste Teilziel ist erreicht, wir sind am „Grenzadler“.
Seit 1866, als der Kreis Schmalkalden preußisch wurde und
hier eine Hauptverkehrsstraße die preußische Grenze
kreuzte, markiert der Grenzstein mit Adler diese Stelle und gab
ihr seinen Namen. Die Wanderer sind hier im Ziel, für die Supermarathonis
besteht die Möglichkeit eines offiziellen Ausstiegs mit separater
55 km-Wertung. Die Medaille wird auch jedem umgehängt, der
davon Gebrauch macht. Hans macht‘s und insgesamt 50 weitere,
schon 45 Minuten vor uns hat er den Punkt erreicht, Knieprobleme
bereits aus dem Vorfeld sind der Grund seiner Vorsichtsmaßnahme.
Für mich und Jan war es nichts Neues, die Möglichkeit
davon Gebrauch zu machen hat er uns schon vorher angedeutet. Aber
auch 55 km sind aller Ehren wert.
Zur Stärkung wird uns geboten: Schleim, Salami-, Butter und
Schmalzbrote, Äpfel, Bananen und Zitronen. Ich greif mir diesmal
ein Butterbrot und ein Päckchen Salz dazu, Natrium ist sehr
wichtig. Neben mir steht Jürgen Herrmann mit der Startnummer
1, der Zielsprecher weist in als den ersten aus, der sich zum SM
angemeldet hat.
Anspruchsvoll geht’s weiter, gleich nach überqueren der
Teerstraße, zweihundert Meter oberhalb der Biathlon-Rennsteig-Arena-Oberhof
dürfen wir wieder einige Höhenmeter erklimmen. Bevor der
Aufstieg zum Großen Beerberg, dem höchsten Punkt des
Laufes beginnt, geht es nochmal runter, um am Rondell die Bundesstraße
zu überqueren.
Mir fällt es hier schon ziemlich schwer das Tempo von Jan beim
Bergab-Laufen zu halten. Aber noch kann ich am Anstieg wieder aufschließen.
Richtig Cross geht’s weiter, ausgewaschene, mit Wurzeln und
Steinen übersäte Waldwege führen zum Gipfel, der
etwa bei km 62 erreicht ist. Ab km 60 hat sich Jan abgesetzt, ich
weis dass ich auf den letzten 10 Kilometern eh nicht an ihm dran
bleiben kann, wenn er mal zum fliegen ansetzt ist er nicht mehr
zu halten, aber noch sehe ich ihn ein Stück vor mir. Schon
als Kind war er bergab immer der Schnellste, hat er mir erzählt.
Kein Wunder, dass einer seiner Lieblingsmarathons, der Pitztaler
Gletschermarathon ist, da geht’s fast nur runter. Aber ich
bin jetzt fast eine Stunde unter meiner Vorjahrszeit und die versuche
ich ins Ziel zu bringen.
Schlussoffensive
Endlich oben, das Schild „Höchster Punkt des Laufes“
ist eine Wohltat, von "Plänckners Aussicht" an geht’s
nun überwiegend nur noch talwärts. Aber man muss sich
die Kräfte eingeteilt haben, das runterlaufen malträtiert
die Oberschenkel gewaltig. Bei mir geht es noch, aber doch nicht
mehr so dynamisch, wie ich es mir eigentlich erhofft hätte.
Begeistert bin ich aber von einem mit Rindenmulch ausgelegten Teilstück,
darauf läuft es sich wie auf Federn.
Der letzte große Versorgungspunkt ist an der „Schmücke“
bei km 64, einer Ansiedlung von ein paar Gebäuden wie der Wetterstation
und dem höchstgelegenen Gasthof des Thüringer Waldes.
Heute ist es ein privat geführtes Waldhotel, besonders genutzt
von Wanderern und massenweise einströmenden Touristen. Ein
reichhaltiges Sortiment wird wieder angeboten, Hunger habe ich aber
keinen mehr. Die Aussage „man geht hungrig an den Start und
kommt satt ins Ziel“ trifft jetzt voll zu.
Schnell noch eine Cola und einen weiteren Becher Getränk und
weiter geht’s, aber was ist das denn? Ich habe mir versehentlich
einen Becher Bier geschnappt, darüber bin ich jetzt nicht gerade
traurig, aber erwartet habe ich es auch nicht. Eigentlich war ich
immer der Meinung, Alk gibt es erst an der allerletzten Verpflegungsstelle
in Form von Schwarzbier und darauf war ich auch eingestellt. Muss
ich mir aber merken, ist nämlich nirgends abgedruckt oder angekündigt.
Bald kommt das 65er Schild, ein Blick auf meine Zeitentabelle verrät
mir, ich bin locker im Soll. An einem Berghang geht es teilweise
kräftig bergab, aber leider ist auch noch ein ca. 500 Meter
Anstieg zu bewältigen, ehe ich die letzte Getränkestelle
„Kreuzwege“ mit dem angebotenen Schwarzbier erreiche.
Ich hab mein Soll schon intus und genehmige mir daher nur noch Wasser.
Hier wird auch der Rennsteig verlassen. Breite, ebene Wege führen
hinab nach Schmiedefeld. Wer auf den folgenden Kilometern auf ein
70er Schild wartet wird enttäuscht sein, es existiert nicht,
im Vorjahr bin ich noch darauf reingefallen. Warum das so ist, würde
mich aber brennend interessieren. Dafür gibt es noch eine 71er
und 72er Markierung.
Die letzten Hügelchen werden zu Bergen aber dann bin ich doch
im Ziel und die „Acht“ steht. Fast genau eine Stunde
besser als im Vorjahr. Mit meinen 8:51 kann ich ausgezeichnet leben,
ich habe mein persönliches Ziel erreicht. Hans und Jan erwarten
mich schon, er hat mir den Berg runter, doch noch glatt 10 Minuten
abgenommen, Chapeau. Da gesellt sich auch noch Joe dazu. Wie schnell?
8:33, da muss ihn doch ein Drache gejagt haben!
Wer jetzt im Ziel denkt, mit dem Essen geht’s so weiter wie
entlang der Strecke, wird enttäuscht sein. Man kann lediglich
noch seine Gutscheine für einen Becher Gemüsesuppe und
ein Fläschchen Altbier einlösen. Aber an den vielen aufgebauten
Ständen, findet sich noch für jeden Geschmack etwas, freilich
nur gegen Bares.
Und nicht vergessen: unbedingt die Sofort-Urkunde ausdrucken lassen
mit Original Rennsteiglauf-Stempel versehen lassen, der belegt:
„Läufer hat teilgenommen und das Ziel erreicht“.
Ist genauso Kult wie der Lauf und die Verpflegung auf der Strecke.
Manch einer lässt sich auch seine Startnummer, Hand oder Unterarm
abstempeln. Es gab sogar mal einen mit einem besonders delikaten
Wunsch. Er ließ buchstäblich die Hosen fallen. |