Fragt
man Berglauf-Experten, sind die sich schnell einig, dass der Karwendel-Berglauf
zu den härtesten Bergläufen Deutschlands zählt. „Was
die Streif für die Skifahrer, das ist der Karwendellauf für
die Bergläufer“, meint gar Kurt König, früherer
Weltklasse-Bergläufer und heute Orga-Chef. Auf 10,6 km sind knapp
1.400 Meter Höhenunterschied zu bewältigen. Gestartet wird
in Mittenwald, das Ziel liegt auf der Karwendelspitze auf 2.291 Seehöhe.
Beste Voraussetzungen also für Mario und mich noch ein paar harte
Trainings-Höhenmeter zu sammeln. Mario’s Ziel ist den Jungfrau
Marathon unter 5 Stunden zu bewältigen und meines der Ultra Trail
in Sonthofen und da heißt es bestens gerüstet zu sein.
Nachdem es am Samstag den ganzen Tag geregnet hat, präsentiert
sich der Himmel in Augsburg am frühen Morgen fast wolkenlos.
Unterwegs nehme ich mit Mario Kontakt auf und der packt gleich den
Hammer aus: „Wir laufen nicht auf den Karwendel, sondern es
gibt eine Alternativstrecke, gestern Abend wurde es noch auf der Website
gepostet“. Sch..., aber doch einigermaßen verständlich,
sofort erinnert man sich wieder an die fürchterlichen Bilder
der Zugspitzlauf-Katastrophe von vor zwei Jahren.
Extrem schlechte Sichtverhältnisse, Temperaturen um den Gefrierpunkt,
Schnee im Zielbereich und glitschige Bergpfade ließen den Organisatoren
in Absprache mit der Bergwacht keine andere Wahl als aus Sicherheitsgründen
den Lauf auf die Karwendelspitze abzusagen und statt dessen auf eine
Ausweichstrecke auszuweichen. Heute hat sich der Regen zwar größtenteils
verabschiedet aber je weiter ich mich den Bergen nähere umso
mehr zieht es sich wieder zu. Die hohen Gipfel sind allesamt von Wolken
umhüllt, selbst wenn sie uns rauf gelassen hätten, wäre
die Sicht im oberen Teil gleich null.
Wenige Meter neben der mit wunderschönen Fresken bemalten Kirche
St. Peter und Paul in der Altstadt von Mittenwald steht der Startbogen
und ist auch der Empfang der Startunterlagen eingerichtet. Die Parkplatzsituation
in der Altstadt ist etwas schwierig, weil es da nur ganz wenige Parkplätze
gibt, man parkt am besten gleich am Bahnhof und geht die ca. 500 Meter
zu Fuß in die Ortsmitte. Am Startplatz werden uns Information
zum neuen Tagesablauf vom Organisationsleiter per Micro übermittelt.
Die neue Strecke wird uns auf den Hohen Kranzberg auf 1.391 m führen,
der vom Ort aus gesehen genau gegenüber des Karwendelmassivs
liegt. Vor 10 Jahren wurden auf den Kranzberg schon mal Qualifikationsläufe
für die Berglauf-Weltmeisterschaften durchgeführt. Mit der
Streckenverlegung gibt es auch noch eine neue Startzeit, statt 9.50
Uhr wird jetzt erst um 10.10 Uhr gestartet. Nach seinem Interview
können Mario und ich auch noch Ex-Berglauf-Weltmeister Helmut
Schiessl abfangen und mit ihm ratschen, er ist heute der Top-Favorit,
aber der Renndirektor am Micro meint dass auch zwei ganz starke Italiener
im Feld sind.
Von Helmut Schiessl erfahren wir von zwei deftigen Rampen auf der
Piste, sonst ist die Alternativstrecke aber sehr gut zu laufen. Die
Infos helfen uns natürlich schon ein Stück weiter, so wissen
wir jetzt wenigstens einigermaßen was uns erwartet. Ich will
natürlich auch von ihm wissen, ob er auch mal gehen muss oder
wie er es so hält an Steilstücken. Manchmal führt kein
Weg daran vorbei meint er, aber er versucht es meist mit ganz langsamen
Laufen, in einem Geschwindigkeitsbereich von etwa 5 km/h
Ich will heute auch versuchen so viel wie möglich bergauf
zu laufen, anders als beim Marathon wo man sich in meiner Leistungsklasse
genau überlegen muss, ob man lieber Körner spart und ins
Marschieren übergeht oder ob man es ausreizen will, aber es
meistens hinterher bereut. Heute ist’s ja weniger als ein
Viertele vom Marathon, daher sollen die Oberschenkel schon etwas
traktiert werden.
Nur wenige Meter durch’s Dorf müssen mir und meinen 310
Mitläufern reichen, um auf Temperatur zu kommen. Schon am Ortsrand,
neben dem Kreuzberglift geht es bergauf, aber alles im verträglichen
Rahmen. Nach anderthalb Kilometer wird es wieder flacher und sogar
einige leichte Gefälle sind dabei. Die erste Rampe die uns
Helmut Schiessl versprochen hat erreichen wir nach etwa mehr als
3 Kilometern. Auf einem schmalen Pfad zieht sich die Strecke über
einen Kilometer in Serpentinen im Wald nach oben, hier darf zwischendrin
auch mal gegangen werden, wir wollen es ja nicht übertreiben.
Am Ende der Rampe erwartet uns eine matschige Engstelle, ich komme
mit einem halben nassen Fuß davon, aber Mario hinter mir ist
nicht so reaktionsschnell und taucht voll in ein Schlammloch ein.
Für ihn rentiert sich jetzt wenigstens zu Hause eine ausgiebige
Laufschuhreinigung.
Auf einem Abwärtsstück nach der Berggaststätte St.
Anton überqueren wir die wunderschönen, saftig grünen
Buckelwiesen. Entstanden sind sie in der Eiszeit, als Mittenwald
von einem 1.000 Meter hohen Gletscher bedeckt war. Dieser Gletscher
hat unzählige Steine aus dem heutigen Italien, der Schweiz
und Österreich hierher geschoben. Als er sich langsam zurückzog,
hat er eine Art Buckelpiste hinterlassen. Feuchtigkeit hat den Untergrund
unterschiedlich stark ausgespült, so dass die Mulden zwischen
den Buckeln noch tiefer wurden. Sind wirklich toll anzusehen aber
noch schöner ist durch sie zu laufen, da kommt so richtig Freude
auf.
Kurz nach km 6 ist die einzige Wasserstation des Laufes aufgebaut,
ein Becher kann nicht schaden, nachdem es jetzt auch spürbar
wärmer geworden ist. Nach anfangs dichter Bewölkung, gibt’s
schon einige blaue Lücken am Himmel. Kurz darauf passieren
wir etwas oberhalb den 1.136 m hoch gelegenen Wildensee, der eigentlich
nur eine flache Schmelz- und Regenwassermulde ist, weil er keinen
Zufluss hat. Darum ist er auch der wärmste See in der ganzen
Gegend.
Nach 7,5 km kommt die zweite Rampe, bis zum Gipfelhaus des Kranzbergs
auf 1.391 m geht es jetzt mehr oder weniger immer steil nach oben.
Der größte Teil der Strecke wird im Wald auf einem Singletrail
absolviert. Ich würde gerne noch mehr Laufeinlagen einstreuen,
aber das Überholen ist auf diesen schmalen Waldwegen oft sehr
schwierig und ich will es auch nicht herausfordern und einen Absturz
riskieren. Aber immer wenn sich die Gelegenheit ergibt, packe ich
sie beim Schopf, so kann ich mich von Mario noch etwas absetzen.
Die letzten 250 Meter führen uns aus dem Wald heraus und am
Hang entlang noch mal sehr steil hinauf. An der Gipfelhütte
wird die Zeit genommen.
Die Softwareauswertung ergibt 655 Höhenmeter positiv und 170
negativ auf einer Streckenlänge von knapp 10 km. Die Strecke
bot uns zwar nicht die spektakulären hochalpinen Höhepunkte
des Original Karwendellaufs, aber dadurch dass ein Großteil
der Strecke laufend zu bewältigen war, bestimmt einen hervorragenden
Trainingseffekt. Die schönen landschaftlichen Eindrücke
über das Isartal, Mittenwald und nicht zu vergessen die wunderschönen
Buckelwiesen machten den Lauf allemal zu einem adäquaten Ersatz.
Obwohl jetzt schon die Sonne scheint, ist der Gipfel auf der gegenüberliegenden
Karwendelspitze immer noch in den Wolken. Die Aussicht von hier
ist also allemal auch noch besser.
Zum Bergrestaurant Kranzberghaus etwas unterhalb des Gipfels hat
man unsere Wechselkleidung transportiert, vom dort müssen wir
noch eine kleine Wanderung bis zur Bergstation des Kranzberglift
zurücklegen um wieder ins Tal zu gelangen. Von dort befördert
uns der über vierzig Jahre alte Sessellift gemütlich ins
Tal hinunter. Viele nehmen aber auch den direkten Wanderweg runter
zu Fuß auf sich. In der Sporthalle im Zentrum von Mittenwald
kann sich jeder Teilnehmer noch ein hochwertiges Funktionsshirt
abholen. Zur Stärkung bekommen wir auch noch einen Teller Nudeln
und ein Flasche Bier nach Wahl: scharf oder bleifrei.
Helmut Schiessl hat es nicht auf’s Siegertreppchen ganz nach
oben geschafft, für ihn blieb nur der zweite Platz übrig,
hinter Gerd Frick aus Südtirol mit einer Zeit von 42:44. |