Das wird
in Zukunft meine Antwort auf den klassischen Läufer-Spruch
"Einmal im Leben musst Du nach Biel" sein.
Um es vorweg zu nehmen, es war härter als erwartet und ich
bin froh, daß ich es bis ins Ziel geschafft habe.
Die Vorbereitung für meinen ersten 100 km Lauf war nicht besonders
anders, als das Training für einen Marathon. Da Biel allerdings
am Freitag um 22:00 Uhr startet, standen einige lange Einheiten
in den Abendstunden an. Das war auch wichtig und ist für jeden
zu empfehlen, der sich auch mal an dieses Lauf wagt.
Als wir gegen 18:00 Uhr am Eisstadion in Biel ankamen, herrschte
bereits reges Treiben und wir nutzen die Zeit bis zum Start um noch
eine Portion Nudeln zu essen und um etwas zu relaxen.
Der Wetterbericht, war zum Glück sehr gut. Es wurde eine trockene,
aber kalte Nacht vorausgesagt. Martin Bauer, alias Colt, hatte sich
bereit erklärt mir auf dem Rad Beistand zu leisten. Das war
eine große Hilfe, denn so konnte ich Klamotten zum Wechseln
und ein zweites Paar Schuhe mitnehmen. Sind es am Start noch 15
Grad, so kann es in den frühen Morgenstunden bis 4 Grad abkühlen.
Pünktlich um 21:40 Uhr wurden die Coaches (so die offizielle
Bezeichnung der Begleitradfahrer) mit einer Polizeieskorte zu Kilometer
20 begleitet. Ab diesem Punkt durften uns die Trainer begleiten.
Davor war es einfach zu eng. Da in diesem Jahr die 50. Auflage des
100 km Laufes von Biel anstand war eine Rekordzahl von 2500 Teilnehmern
gemeldet.
Um 22:00 Uhr war dann auch pünktlich, wie es sich für
die Schweizer gehört, der Start des Hauptfeldes. Die ersten
6 Kilometer verliefen durch die Bieler Innenstadt, bevor dann der
erste kleinere Anstieg folgte. Da ich in der vergangen Woche noch
an einer kleinen Erkältung laborierte beschloss ich, meiner
Taktik vom Rennsteiglauf folgend, sehr kontrolliert und gemütlich
anzugehen. So kam ich auch ohne größere Schwierigkeiten
zu km 20, wo mich Martin schon mit dem Velo (Schwitzerdütsch
für Fahrrad) erwartete. Bis km 55, am so genannten "Ho
Chi Minh – Pfad" hatte ich nun also eine Begeleitung
an meiner Seite.
km 22 war geschafft und das war für einen abergläubischen
Menschen wie mich schon der erste Teilerfolg, denn es war nun nach
Mitternacht und Freitag, der 13. war Geschichte, wir hatten nun
Samstag, den 14.
Bei km 30 kam dann meine erste Krise, als ich daran dachte, dass
ich nun ja schon 18 Stunden auf den Beinen war und für meine
erwartete Laufzeit von 10 Stunden noch sieben Stunden vor mir hatte.
Es war bewölkt, relativ dunkel und ich schätze die Temperaturen
lagen inzwischen bei 8 Grad. Ich erinnerte mich daran, dass man
speziell bei Kälte mehr Nahrung zu sich nehmen soll, um dem
Körper die Energie zu geben, die er benötigt um seine
Temperatur zu halten. Diverse Riegel, Obst, Suppen, Brot und Cola
schaufelte ich also regelmäßig bis km 50 in mich rein…
keine so gute Idee, denn ab km 55 konnte ich keine feste Nahrung
mehr aufnehmen. Allein der Gedanke an eine Banane löste Brechreiz
bei mir aus.
Km 55, 3:10 Uhr, 5 Grad, Ho Chi Minh–Pfad: Das Elend nahm
seinen Lauf.
Die Radbegleiter konnten auf diesem Trampelpfad nicht fahren und
wurden bis km 65 umgeleitet. Ich legte meinen MP3-Player an und
machte mich auf diesen harten Abschnitt. Der Boden war sehr schwer
zu laufen, Wurzeln, grobe Steine, rutschige Stellen und rechts und
links ging es 5 Meter in die Tiefe. Ich war froh, dass ich in eine
sehr gute Stirnlampe investiert hatte. Es gab auch Läufer ohne
Lampe, die meisten von Ihnen warteten bis einer mit Licht kam, denn
sonst ist dieser Teil des Rennes sehr gefährlich. Die nächste
Stunde verlangte höchste Konzentration, man musste jeden Schritt
genau setzten, um einen Sturz zu vermeiden und das kostet zusätzlich
Kraft.
Als bei km 65 mein Coach wieder an meiner Seite war ging es mir
sehr schlecht. Die Temperatur war bei 4 Grad und ich hatte keine
Lust mehr auch nur einen Kilometer zu laufen. Aber wie heißt
es immer bei den Ultra-Läufern: "Nach jedem Tief kommt
auch wieder ein Hoch". Kilometer 75… es kam und kam einfach
kein Hoch mehr.
Wenn mich jemand nach dem Streckenabschnitt zwischen km 65 und 75
fragt, ich kann dazu nichts sagen, sorry, keine Erinnerung mehr.
Ich erinnerte mich, dass man bei Kilometer 76 aussteigen kann und
gesondert gewertet wird. So mein Plan, aber leider verpasste ich
die Abzweigung …im Unterschied zu meinem Begleiter, der auch
noch ein Foto als Beweis schoss.
Inzwischen war es wieder hell und da war es: DAS HOCH!
Ab km 80 liefen die Beinchen wieder und ich machte Platz um Platz
gut.
Den letzten größeren Anstieg bei km 85 nahm ich locker
laufend und die Musik in meinem iPod trug mich Richtung Ziel. Bei
km 90 überholte ich Joey Kelly, mit dem ich mich auch noch
kurz unterhalten habe. An dieser Stelle noch mal ein herzliches
"Danke" an meinen Radfahrer. Ich weiß wie hart es
sein muss bei Kälte, so langsam fahren zu müssen, aber
trotzdem immer konzentriert zu bleiben.
Km 99 es war fast geschafft. Auch wenn die letzten 20 Kilometer
nicht sehr einfach sind, sehr grober steiniger Boden, langweilige
Felder, mir gefielen sie einfach, ich glaube das war das "Runner-High".
Noch eine Kurve und es war geschafft. In 9:38:02
Stunden war ich, mit Platz 189 gesamt und mit Platz
35 in meiner Altersklasse im Ziel.
Mein Fazit: Ich war in Biel und im Moment muss ich da nicht mehr
hin. Aber wie schnell sind die Schmerzen und Qualen vergessen und
wie lange erinnert man an sich an das tolle Publikum, das noch nachts
um 4:00 Uhr an der Strecke feiert. Deshalb werde ich sicher niemals
"nie" sagen, sondern belasse es bei einem "schau
mer mal".
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